Gottesanbeterin on, Gottesanbeterin off

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Montagabend, Premiere in der Kammer des Schauspielhauses. Das Stück «Die Gottesanbeterin» (Anna Papst) erhält begei­ster­ten Applaus. In der Tat zeigt es beacht­li­che Stärken. Als Ganzes funk­tio­niert es den­noch nicht.

Die Fabel der Geschichte ist schnell erzählt . Eine Lehrerin hat Gottesvisionen und grün­det eine Religionsgemeinschaft. Ihre mann­stol­le Schwester fasst sich dar­ob an den Kopf, wäh­rend ein Junkie, den die Frauen von der Strasse auf­le­sen, zum geld­gie­ri­gen Geschäftsführer der Sekte auf­steigt. Wegen ihres reli­giö­sen Wahns wird die Lehrerin aus dem Schuldienst ent­las­sen und erlei­det einen Zusammenbruch. Daraufhin macht ein befreun­de­ter Psychiater mit sei­nen Pillen den Gottesvisionen den Garaus. Insgesamt ist es eine etwas dün­ne Geschichte. Das allein heisst aber noch gar nichts.

Lebendige  Charaktere

Die Aufführung hat ande­re Qualitäten. Da sind die Bühnengestaltung und die Kostüme her­vor­zu­he­ben, was hier jedoch nicht im Mittelpunkt steht. Besonders beein­druckt hat die Figurengestaltung. Die Rolle, die Funktion der Charaktere kom­men im Schauspiel klar zum Ausdruck. Dies ist der Vorteil der ein­fa­chen Fabel. Da ist die lebens­süch­ti­ge aber etwas nai­ve Schwester Meret (Yanna Rüger). Sodann Peter (Christian Baumbach), zuerst ein Haufen Elend, doch bald her­ri­scher Liebhaber bei­der Frauen. Ferner der über­mäch­ti­ge und kalt­her­zi­ge Psychiater Stefan (Alexander Maria Schmidt) mit sei­ner ver­zwei­fel­ten, krebs­kran­ken Frau Carina (Julie Bräuning). Im Mittelpunkt, wie Gott zwi­schen den vier Erzengeln, steht Rita (Julia Kreusch), die Gottesanbeterin. Sie fröm­melt, froh­lockt, droht, wim­mert, singt, ist am Ende leer geschos­sen und am Boden. Sie spielt bra­vou­rös eine gan­ze Palette von Gefühlsregungen. Perfekt und mit einem Schuss Humor gibt sie die Sektentante in ihrem gan­zen reli­giö­sen Eifer und Geifer.

Dennoch mag Rita als Figur nicht mit­zu­reis­sen. Gewiss, die Szenen im Stück sind flüs­sig geschrie­ben; der Dialog ist wit­zig und schnell. Doch die Hauptfigur durch­lebt kei­nen inne­ren Konflikt und wird zu kei­nen Entscheidungen gedrängt. Rita folgt den Anweisungen Gottes. Ihre Religiosität wird von Pillen an- und abge­stellt. Statt eines leben­di­gen Charakters steht hier eine Marionette auf der Bühne. Dieser grund­le­gen­de Konstruktionsfehler des Stücks ver­hin­dert eine wirk­li­che Dramatik. Das Drama plät­schert gefäl­lig, aber ohne jeg­li­che Spannung dahin. Es ist abseh­bar, was geschieht. Überraschende Wendungen feh­len. Unter die­sen Voraussetzungen wird «Die Gottesanbeterin» natür­lich auch nicht zum Charakterstück. Man muss es an sei­nen Aussagen und deren Relevanz mes­sen.

Schwächen im Theaterstück

Doch genau in die­sem Punkt ver­sagt das Stück. Manche Aussagen, die es ver­mit­teln will, wie: «Religion ist oft mit Geldgier ver­bun­den», oder «Die Psychiatrie arbei­tet mit Pillen» sind Binsenweisheiten. Sie wer­den eins zu eins, plump und line­ar, trans­por­tiert, ohne Augenzwinkern, ohne Zwischentöne, ohne Doppelsinn. Das wirkt unge­lenkt. Geradezu fahr­läs­sig wird das Stück, wenn es – ohne jeg­li­chen Bezug zur tat­säch­li­chen moder­nen Psychiatrie – den Psychiater als grob kli­schier­ten Bösewicht hin­stellt. So tri­um­phiert am Ende der Wunderglaube, die unver­hüll­te Anti-Aufklärung. Befremdend.

«Die Gottesanbeterin» weist als Stück auch wenig über sich hin­aus. Es wird höch­stens die Frage gestreift, ob zwi­schen Wahn und Pille noch eine mensch­li­che Wirklichkeit besteht. Im Übrigen ist es schlicht ein Stück über das fana­ti­sche Christentum. Dies in einer Zeit, in der die christ­li­che Religiosität dra­stisch schwin­det. Die Frage, war­um man ein sol­ches Stück gese­hen haben muss, ist so nicht zu beant­wor­ten – aus­ser viel­leicht der Regie und der jun­gen Schauspieler wegen. Sie über­dre­hen zwar in gewis­sen Szenen. Sie geben zuviel Pfeffer. Grosse Schauspieler kön­nen flü­stern ohne zu flü­stern, sie schrei­en ohne zu schrei­en. Das gilt gera­de für ein Kammerspiel! Davon abge­se­hen brin­gen die fünf Darsteller jedoch viel Talent auf die Bühne. Man wünsch­te ihnen ein­fach ein auf­re­gen­de­res Stück.

 

 

 

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