Sind himmlische Sphären harmonisch geordnet? Ist Musik ein Modell zur Erklärung der Welt? Komponisten und Interpreten versuchen seit jeher, das Universum in seiner Unendlichkeit auszuloten. Und obwohl niemand sie hören kann, lebt seit der Antike die Vorstellung der Sphärenharmonie, der Musik als Inbegriff des Harmonischen schlechthin. Das Musikfestival Bern schlägt mit dem Motto «Vom Himmel» eine Brücke zwischen der Ordnung des Universums und dem Himmel als Ort von Sehnsucht und Projektionen. Zwanzig Veranstalter und Ensembles haben sich dem Himmel zugewandt und evozieren mit unterschiedlichsten Formationen und Medien weltliche und sakrale Himmelsvorstellungen. Zwischen Dampfzentrale und Heiliggeistkirche, Sternwarte Muesmatt und Zentrum Paul Klee, Stadttheater und Konservatorium werden sich über zehn Tage laufend neue Konstellationen bilden.
Ein interstellarischer Ruf
Auf höchst unterschiedliche Art werden hier musikalisch die Himmelsdimensionen abgesteckt. Zum Auftakt am 23. April führen das Bieler Sinfonie Orchester und Studierende der Hochschule der Künste Bern Olivier Messiaens «Des Canyons aux Etoiles» auf. Der Komponist feiert mit aussergewöhnlichem Instrumentarium den Blick aus den Schluchten des amerikanischen Staates Utah zu den Vögeln und Sternen, in die unendlichen Weiten des Alls «et plus haut, jusqu’aux ressusités du Paradis». Ein gewaltiger «interstellarischer Ruf» des Solohorns (Thomas Müller) erschallt, und der Pianist Vladimir Lawrinenko stellt sein Können unter Beweis; Messiaens Weltenmusik ist auch ein gigantisches Klavierkonzert. Die Aufführung der zwölfteiligen Orchestersuite in der hallenden Akustik des Berner Münsters stellt ein wohl einmaliges Experiment dar. Kompositionswerkstätten «Himmlischer Hof» nennt die sakrale Kunst die farbenprächtige Anordnung von 87 Heiligen, Märtyrerinnen, Kirchenvätern und Aposteln im Chor des Berner Münsters. Manchen Besuchern unbekannt, birgt das Gewölbe das bedeutendste Werk der Schweizer Bildplastik aus dem 16. Jahrhundert. Angeregt durch die reiche Ausstattung entwickelte der Komponist und Münsterorganist Daniel Glaus die Idee einer Kompositionswerkstatt: Das Musikfestival beauftragte Masterklassen an Schweizer Hochschulen, für das einmalige Renaissance-Kunstwerk Kompositionen zu entwickeln und je ein Konzert zu gestalten. In fünf Programmen (jeweils 21 Uhr) stellen Kompositionsstudierende und Dozierende im Chorraum des Münsters 26 neue Werke vor, vom intimen Gesangssolo bis zum rockigen Swing.
Ein vielchöriger Kosmos
Gleich vier Berner Chöre (Belcanto, Cantemus, Kleine Kantorei, Novantiqua) kosten in einem festlichen Konzert die besonderen Gegebenheiten des Berner Münsters aus. Das Abschlusskonzert spannt einen Bogen von einstimmiger Gregorianik bis zu achtchöriger Musik aus der Zeit der römischen Gegenreformation. Die Kompositionen wurden vom Musikwissenschaftler Florian Bassani eigens in Rom «ausgegraben» und für die Berner Aufführung eingerichtet: Ein grossartiges musikalisches Unterfangen, rekonstruieren doch die Interpreten erstmals die Umstände vergleichbarer Konzerte aus der Zeit um 1600. Auf acht Podien werden Klangeffekte von historischen Dimensionen Wirklichkeit. Das Musikfestival präsentiert die prachtvollste Erscheinung liturgischer Musik überhaupt und bietet der Chormusik und ihren Liebhabern eine Plattform. Himmel für jeden Geschmack «Vom Himmel» legt Spuren quer durch die Musikgeschichte und bietet zu Tages‑, Abend- und Nachtstunden Programmefür jeden Publikumsgeschmack. «schindelkiliusdutschke » ist zu Besuch mit «Mondflucht», einem musikalisch-theatralen Bühnengeschehen zwischen Gravitation und Kommunikation, Intellekt und Gefühl. Michael Eberli und Michael Sauter integrieren ihre Klanginstallation «Screaming Planets» in eine Performance, welche planetarische Liveaufnahmen und interstellare Texte zu einem kosmischen Zaubersüppchen verwebt. Zu Gast in der Sternwarte Muesmatt ist in derselben Nacht der Lyriker Raphael Urweider. «Laika & Ham» des Klavierduos huber/thomet ruft den Himmel als Kampfplatz zweier Weltmächte in Erinnerung und lässt dennoch – als Projektion und im Klang – die Sterne funkeln. Ein sechsteiliger Zyklus von kurzen Veranstaltungen bietet mittags Improvisationen und Orgelkonzerte. Nach 22 Uhr treffen sich Nachtschwärmer im Kellertheater Katakömbli, wo Studierende der HKB in acht Darbietungen ihr Können unter Beweis stellen: Programme mit Harfe solo oder Kontrabassduo, Jazz-Klavier oder Filmmusik in Kleinstformationen. Schuberts Romantik wird nicht fehlen und die digitale Kultur spielt mit. Und schliesslichgibt es auch ein Programm für den Nachwuchs, der das Spiel noch abseits vom Rampenlicht erkundet:Im Rahmen von «Tönstör» gastiert Barbara Weber beim Festival mit einem Kinder-Programm: «Kinderholen den Himmel auf die Erde, greifen zu Sternen, basteln aus alten Klängen neue und aus neuen nochneuere, erobern sanft das Weltall, erfinden die Musik von vorne, bringen altes Spielzeug zum Klingenund hängen in den Himmel anderes als Geigen.»
Vom Himmel
Musikfestival Bern, 23. April – 3. Mai
Info: www.musikfestivalbern.ch




