Von einem, der …
– ein Nachruf auf ein Vierteljahrhundert Kulturgeschichte

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Von Lukas Vogelsang - Ein Vierteljahrhundert war Peter J. Betts für die Kulturpolitik der Bundesstadt Bern ver­ant­wort­lich. Er schrieb das wohl wich­tig­ste Kulturkonzept der Schweiz, eines, das die­sen Namen auch ver­dien­te, und brach­te die Berner Stadtpolitiker dazu, Kultur zu för­dern, «auch wenn die­se im Moment der Förderung nicht rich­tig ver­stan­den wird». Durch ihn wur­de Kultur zu einem festen Bestandteil der Stadtpolitik und der Entwicklung der Stadt. In sei­ner Amtszeit als Kultursekretär von Bern ent­stand der Nährboden der kul­tu­rel­len Vielfalt, die noch heu­te über­all hoch­ge­lobt und tou­ri­stisch ver­mark­tet wird. Bei sei­nem Amtsantritt 1978 stan­den für das zeit­ge­nös­si­sche Kulturschaffen nur etwas mehr als 600 000 Franken zur Verfügung. Als er sich 2002 pen­sio­nie­ren liess, waren es rund 2,278 Millionen. Selbst die insti­tu­tio­nel­le Kulturförderung wur­de zwi­schen 1980 und 2001 von 18,5 auf 29,6 Millionen Franken ange­ho­ben (Zahlen «Der Bund», 21.11.2002). Seien wir ehr­lich: Keine Nachfolgerin, kein Nachfolger konn­te ihm bis­her in irgend­ei­ner Form nur annä­hernd das Wasser rei­chen – und trotz­dem: Der Stadtpräsident und der Gemeinderat von Bern igno­rier­ten den Tod von Peter John Hornbuckle Betts am 10. Dezember 2019 ohne Würdigung und ohne öffent­li­che Kenntnisnahme. Dabei hät­te der Mann ein Denkmal ver­dient. Jetzt bleibt’s bei einem Denkzettel für die­se Stadt: Ist es so schwie­rig, eine wich­ti­ge Person, die euch viel­leicht nicht gefal­len hat, zu wür­di­gen?

Ich kann­te Peter J. Betts lan­ge, aber nicht zu inten­siv. Für mei­ne kul­tu­rel­len Projektgesuche in den 90er-Jahren waren die Absagen vor­pro­gram­miert, kaum jemand aus mei­nem Bekanntenkreis erhielt damals Geld – es war schlicht noch nicht vor­han­den. Für mich waren dies die ersten Kontakte mit der Welt der Kulturbehörden. Es exi­stier­ten so vie­le Kontroversen über die­sen Kultursekretär damals, dass ich die Eingaben eher als Pflicht, einer Lotterie gleich, denn als finan­zi­el­le Hoffnung sah. Auch ich ging damals davon aus, dass Kultur ein­fach «wich­tig» sei und die öffent­li­che Hand dafür Geld geben müss­te. Und sowie­so war das, was man gera­de tat, das Wichtigste in der Welt. Daran hat sich bis heu­te nichts geän­dert – aber ich habe mich ver­än­dert und eini­ges gelernt. Als ich zum ersten Mal das Konzept «Die Kulturpolitik der Stadt Bern für die Jahre 1996–2008» las, fing ich an, über Kultur nach­zu­den­ken. Mir fiel auf, dass die Zurückhaltung von Peter J. Betts im Zusammenhang mit sei­nem Konzept einen Sinn ergab, den man aber erst ver­ste­hen muss­te. Sein Nachfolger, Christoph Reichenau, mein­te, er habe «sich distan­ziert von den Kulturschaffenden» oder «beruf­lich wur­de er ein­sam». Mir fiel aber auf, dass Betts das Richtige tat und nicht ver­stan­den wur­de: Er hielt sich oft bewusst raus. Manchmal auch, um der Banalität zu ent­rin­nen.

Um das zu ver­ste­hen, muss man erst ver­ste­hen, wor­um es geht: Kultur ist der Leim der Gesellschaft. Dieser Leim wird nicht vom Staat über die Menschen gegos­sen, son­dern soll­te, so die opti­ma­le Funktion, durch das Zusammenleben selbst ent­ste­hen und dann unter­stützt wer­den. Im Gegenteil: Wenn der Staat selbst aktiv den Leim giesst, mani­pu­liert er die kul­tu­rel­len Werte. Am ein­fach­sten funk­tio­niert die­se Manipulation durch Geld. Wer zahlt, befiehlt – auch wenn wir das nicht ger­ne hören, so ist das doch auch in der Kultur das Mass aller Dinge. Betts ärger­te sich laut dar­über: «Verteilungskampf ohne inhalt­li­che Diskussion. Es ist ein schlech­tes Zeichen, wenn Kommunen nur noch nach mone­tä­ren Gesichtspunkten ent­schei­den, wie viel ihnen die Kultur wert ist.» Und wie recht er hat­te.

Geld ent­bin­det uns in den mei­sten Fällen von der Zusammenarbeit mit ande­ren Menschen und lässt uns dele­gie­ren und herr­schen: Wir «bestel­len» Leistungen. Die berühm­te Berner Kultur ist aller­dings durch vie­le klei­ne Vereine gewach­sen. Diese Vereine wur­den durch Mitglieder und SponsorInnen auf­ge­baut, erfüll­ten und erfül­len vie­le kul­tu­rel­le Funktionen. Viele Theaterbühnen sind so ent­stan­den. Die Altstadtkellerkultur vom Bern der 70er- und 80er-Jahre ist legen­där – und die mei­sten noch exi­stie­ren­den Kulturengagements fan­den ihren Ursprung in die­ser Zeit. Kulturschaffende waren ange­wie­sen dar­auf, dass pri­va­tes Mitwirken von Interessierten oder Firmen die Ziele mit­fi­nan­zie­ren half. So ent­stan­den Interessengemeinschaften – «Partizipation» war ein geleb­tes Fremdwort und muss heu­te ver­zwei­felt künst­lich reak­ti­viert wer­den. Im Vergleich zu damals fin­den wir heu­te auf den Produktionsflyern von Kulturhappenings noch knapp drei oder vier öffent­li­che Institutionen: Stadt, Kanton und Burgergemeinde Bern, wenn es gut kommt, noch die Göhner-Stiftung oder die Mobiliar-Versicherung. Der Kulturbetrieb hat sich im Vergleich zu frü­her vie­ler­orts iso­liert.

Peter J. Betts sag­te 19.6.1996 in einem Interview im «Bund» zu sei­nem Kulturpapier: «Das Konzept baut auf eine lan­ge Arbeit auf. Schlagartig wird sich die Kulturpolitik nicht ändern. Sie soll aber gestärkt wer­den und die Kulturschaffenden in die Aufgaben des Alltags ein­be­zie­hen. Die Förderung hin­ge­gen wird gegen­über den Institutionen ver­läss­li­cher wer­den.» Dieser Satz ist noch heu­te das Zentrum der städ­ti­schen Kulturförderung. Man könn­te und müss­te selbst­ver­ständ­lich heu­te über die Gültigkeit nach­den­ken – doch just da fehlt es an der Diskussionskultur, wie sie Betts zele­briert und gefor­dert hat. Er war der letz­te kul­tur­po­li­ti­sche Denker im Amt der Stadt Bern.

«Kultur ist die Summe
aller schöp­fe­ri­schen Kräfte des Einzelnen und der Gemeinschaft. Sie stif­tet Sinn und Lebensqualität und hilft
Identität bewah­ren.»

Als Christoph Reichenau 2003 als Nachfolger in das Kultursekretariat sprang und wild gesti­ku­lie­rend alles über den Haufen warf, wur­de der Unterschied rasch klar: Reichenau ver­teil­te und ver­sprach Geld – die Kulturvereine bra­chen zusam­men. Das war selbst­ver­ständ­lich nicht allein sei­ne Schuld, aber er pfleg­te nicht die Diskussionskultur, son­dern die Führungskultur und schloss mehr aus, als dass er inte­grier­te. Es ent­sprach nicht mehr dem Zeitgeist, zu dis­ku­tie­ren. Zwar mein­te Reichenau sel­ber, das Konzept sei nach wie vor ein guter Text, doch es spre­che nicht vom Geld. Und im Jahr 2014 schrieb Wolfgang Böhler, eben­falls mal Kulturredaktor: «Kulturpolitik darf nur Finanzpolitik sein.» Welch him­mel­trau­ri­ger Gedankenverlust.

Und genau des­we­gen ver­schwand unter der Ägide von Reichenau viel Engagement, weil die einen Geld erhiel­ten und ande­re nicht – das schuf eine nicht nach­voll­zieh­ba­re Ungerechtigkeit, und die Stadt begann «Kultur zu bewil­li­gen», ver­hin­der­te dadurch aber mehr. Viele Privatpersonen zogen sich zurück und über­lies­sen das Feld den Beamten und den «Finanzpolitikern».

Zurückhaltung – das war die Haltung von Peter J. Betts. Das klingt wie ein Paradox, wenn man ihn kann­te und sei­nen manch­mal uner­träg­lich pathe­ti­schen Inszenierungen folg­te. Aber es ging eben um Inhalt, nicht um ihn – und das wuss­te er. Allerdings war das Scheinwerferlicht für ihn unan­ge­nehm und gleich­zei­tig auch ange­nehm – nur die Entscheidung, wie er sich ver­hal­ten soll­te, war schwie­rig. Klar, die eige­nen Interessen und Pflichten in die­ser Funktion sind schwie­rig zu ver­ei­nen – vor allem in einer Stadt, in die er kul­tu­rell ein­ge­fleischt war und die nicht mit­dis­ku­tie­ren woll­te. Das war eine Gratwanderung, die nicht ange­nehm war und die er wohl manch­mal nur schwer zu ertra­gen schien.

«Wie sich Menschen
begeg­nen, wel­che Werte
und Ziele ihnen wich­tig sind, wel­che Verantwortung
sie wahr­neh­men, wie sie ihr Zusammenleben
orga­ni­sie­ren, Rechte und Pflichten
aus­ge­stal­ten, das sind
kul­tu­rel­le Fragen.»

Doch das Verdienst für die Berner Kultur und die kul­tu­rel­le Diskussion für die Zukunft hat nie­mand so ehren­wür­dig hin­be­kom­men wie er. Jene, die sich mit ihm über­wor­fen hat­ten, muss­ten sich über die eige­nen Interessen klar wer­den. Betts liess sich nicht ein­fach instru­men­ta­li­sie­ren.

Im Jahr 2006 aller­dings ver­link­te eine gute Freundin von Peter J. Betts uns bei­de und dann lern­ten wir uns auch pri­vat ken­nen. Seit der ensuite-Ausgabe Nummer 44 (4. Jahrgang, August 2006) schrieb Peter J. Betts bei uns monat­lich eine Kolumne (ins­ge­samt 149) – ohne eine ein­zi­ge aus­zu­las­sen. Es war für mich eine der gröss­ten Würdigungen, dass der ehe­ma­li­ge Kultursekretär in mei­nem Magazin schrieb. Sehr amü­siert habe ich mich, als ich in den vie­len Magazinen zurück­blät­ter­te und auf den ersten Text stiess: «Service (au?) public – Allen Herren recht getan, ist …». Betts war lan­ge Zeit der Einzige, der in die­ser ver­knorz­ten Stadtbehörde ver­stand, was wir monat­lich mit unse­rer Zeitschrift pro­du­zier­ten. Ensuite baut auf sein Konzept auf. Und in die­ser Stadt wer­den nicht jene aus­ge­zeich­net, die wirk­lich etwas erreicht haben, son­dern jene, die gute Beziehungen pfle­gen.

Sein Tod kam über­ra­schend. Er sei fried­lich ein­ge­schla­fen und nicht mehr auf­ge­wacht, nach­dem er am Abend noch die Weihnachtspost zum Briefkasten gebracht habe, erzählt man. Das ist schön. In die­ser Ausgabe von ensuite erscheint sein vor­aus­sicht­lich letz­ter Text. Das irri­tiert. Nein, Betts, so schnell ver­schwin­dest du mir nicht. Ich ver­ges­se dich nicht. Du hast mir und der Bundesstadt Bern mehr gege­ben, als wir dir je ver­dan­ken kön­nen. Erst eine Woche spä­ter ent­deck­te ich im Briefkasten sei­ne all­jähr­li­che Weihnachtskarte mit dem Spruch:

Dunkelheit hin­ge­gen ist immer die Quelle für Farbe und Licht.
Darkness howe­ver is the very spring of colour and light.

Lieber Bär.
Erhol dich und schlaf gut. Danke.

 

Foto: Foto: Alexander Egger – www.eggerx.ch

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