Sucht und Sühne

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Von Dr. Regula Stämpfli - Adèle ist eine ganz nor­ma­le Frau. Sie arbei­tet für eine Pariser Tageszeitung, hat einen klei­nen Sohn mit des­sen Vater, Chirurg von Beruf, sie ver­hei­ra­tet ist. Glaubt man der „Young Adult Fiction“ lebt Adèle genau das, was jun­gen Frauen heu­te stän­dig vor­ge­lo­gen wird: Ein biss­chen Job, einen Ehemann, der viel Kohle anschef­felt, das Kind als Krönung, dazu Zeit genug, sich aus­schliess­lich mit sich sel­ber zu beschäf­ti­gen. Adèles Weg ist eine typi­sche weib­li­che „Karriere“ des begin­nen­den 21. Jahrhunderts: Narzisstisch, total­ly lost und eis­kalt, wenn es dar­um geht das Leben ihres farb­lo­sen Gatten und ihres Kindes zur Hölle zu machen. Angesichts Millionen von Frauen, die aus Adèles Leben eine Quelle von Glück und Freude machen wür­den, ist Adèles Selbst- und Familienzerstörung ein­fach nur zum Kotzen. Lassen wir Leïla Slimani spre­chen:

«Sie erin­nert sich an nichts Genaues, doch Männer sind die ein­zi­gen Bezugspunkte ihres Daseins. Zu jeder Jahreszeit, jedem Geburtstag, jedem Ereignis in ihrem Leben gehört ein Liebhaber mit ver­schwom­me­nen Zügen.»

Adèles Jugend defi­niert sich durch die in den Medien, den Narrativen jun­ger Feministinnen und Transmenschen so belieb­ten Veropferung, die jede Selbstvernichtung und Hassausbrüche gegen ver­meint­li­che Unterdrücker legi­ti­mie­ren, hoch­sti­li­sie­ren. Slimani gelingt die poe­ti­sche Kritik an die­ser unmensch­li­chen Fiktion: Sie zeigt die inne­re Leere Adèles und ihr bös­ar­ti­ges Verhalten. Jede weiss, dass sie sich vom Umgang mit einer sol­chen Person fern­hal­ten soll­te. Slimanis Roman ist hier Warnung an uns alle, uns sol­che Frauen sprich­wört­lich vom Leibe zu hal­ten.

Slimani ist Antizeitgeist und das empört selbst­ver­ständ­lich die Opfer-Selfies und die TAZ. Die ärgert sich unge­mein, dass Leila Slimani es wagt, die Pathologie von Adèle zu benen­nen statt sie als „freie Sexualität“ zu zele­brie­ren. Ganz in der Tradition der Macho-68 unter­stellt der TAZ Slimani ein „kon­ser­va­tiv-bür­ger­li­ches Weltbild“ zu zele­brie­ren. Die TAZ fin­det die Fuck-Feldzüge, die Unterwerfungslogik von Adèle näm­lich gran­di­os femi­ni­stisch, echt jetzt? Seit wann sind Ficktouren von mager­süch­ti­gen Müttern, die sich mit irgend­ei­nem Notgeilen paa­ren sexu­el­le Befreiung? Ist die TAZ wütend auf Slimani, dass sie es wagt in den post­pu­ber­tä­ren, post­mo­der­nen, gen­de­ri­fi­zier­ten Porno-Optimierungen see­li­sche Nöte zu dia­gno­sti­zie­ren? Findet die TAZ es ech­te Befreiung, wenn eine Frau will, dass man sie packt und ihren Kopf auf der Strasse, an einer Scheibe auf­plat­zen lässt wäh­rend gleich­zei­tig unzäh­li­ge Blutergüsse ihren Unterleib bru­tal zeich­nen?

«Sie will, dass man sie packt, dass ihr Kopf gegen die Scheibe prallt. Sobald sie die Augen schliesst, hört sie die Geräusche; das Stöhnen, das Klatschen der Körper. Ein nack­ter, keu­chen­der Mann, eine Frau, die kommt. Sie will nur das Objekt inmit­ten einer Meute sein. Gefressen, aus­ge­saugt, mit Haut und Haar ver­schlu­gen wer­den.»

Würden die Hashtagfollowers etwas von Politik ver­ste­hen, dann wüss­ten sie: Slimani macht aus Adèle DIE femi­ni­sti­sche Metapher der Gegenwart. Geschlagen zu wer­den, weil frau nur noch so kom­men kann in einer Gesellschaft, die Menschen frisst oder wie Zygmunt Bauman es aus­drückt: „Ein Leben als Konsum“ führt und dar­über zugrun­de geht.  Die Hashtaggerinnen und selbst­er­nann­te Genderisten ver­ken­nen  – meist aus pro­pa­gan­di­sti­scher Selfie-Legitimation – die Brutalität ihrer Philosophie, die sich als Freiheit tarnt und in Wahrheit zur Fiktion der Hölle für die Betroffenen mutiert.

«Die Erotik bemän­tel­te alles. Sie ver­barg die Trivialität, die Nichtigkeit der Dinge. (…)»

Slimani ist gross­ar­tig. Sie weiss, dass Adèle ent­setz­lich lei­det, dass sie als Frau höch­stens markt­üb­li­chen Meinungen zu gehor­chen hat. Ihre Intelligenz ist nur dazu da zu rea­li­sie­ren, dass es für Adèle und mit ihr alle Frauen in allen Lebenslagen und Alterstufen, nichts gibt. Adèle ist im Niemandsland einer pri­va­ti­sier­ten Welt; allein, unver­stan­den und furcht­bar ein­sam, lapi­tar und grau­sam.

Es gibt kei­ne indi­vi­du­el­len Antworten auf kol­lek­ti­ve Fragen und doch hat es Leila Slimani mei­ster­haft geschafft, die gan­ze Misère des Frauseins im 21. Jahrhundert auf den Punkt zu brin­gen. Kein Wunder sind die neu­en Feministinnen so wütend über die­ses Buch, das als Fiktion die Wirklichkeit bes­ser beschreibt als jeder Hashtagaktivismus. Adèle ist ein Nichts, aus­ser ihrem Körper ist ihr Leben so leer wie ihr selbst­ob­ses­sio­nier­ter Kopf. Sexroboter haben mehr Zwiegespräche mit sich sel­ber als die Hauptfigur bei Slimani. Hätte die­sen Roman ein Mann geschrie­ben, der Shitstorm wäre vor­pro­gram­miert. Doch als Frau so über ande­re Frauen zu schrei­ben?

Verstörend. Wahrhaft. Wirklich.

Verdikt: Unbedingt lesen.

 

PS: Das Buch kam auf Englisch zu mir da ich Sam Taylor als begna­de­ten Übersetzer ver­eh­re und schon vor eini­ger Zeit in einem ande­ren Zusammenhang gele­sen habe:
Leïla Slimani, Adèle, Bloomsbury House, London 2019.

Auf Deutsch ist der Roman unter dem sehr selt­sa­men Titel (weil er qua­si das Ende ver­rät): „All das zu ver­lie­ren“ seit den ersten Junitagen 2019 bei Luchterhand greif­bar. Es wur­de von Amélie Thoma über­setzt.

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