Von Fabienne Naegeli – Ein Stück über Irr‑, Ein und Überfahrten von Migrantinnen und Migranten:
Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Drogen, Wohnungsknappheit, sinkende Flüchtlingsboote, Einwanderungswellen, freier Personenverkehr, Schengen/Dublin, Ausschaffung, schwarze Schäfchen und böse Raben – das sind nur einige der Schlagworte und Bilder, die in den Medien im Zusammenhang mit Migration auftauchen. Frontex, die europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten an den Aussengrenzen, ist in der Presse hingegen kaum zu finden. Die Gemeinschaftsagentur der Europäischen Union mit Sitz in Warschau sorgt erfolgreich und kaum sichtbar dafür, dass die Grenzen dicht bleiben. Mit ihren grossen finanziellen Ressourcen erstellt sie Risiko- und Gefahrenanalysen, koordiniert aktiv die Überwachung sowie den Schutz der Aussengrenzen, stimmt die Ausbildung von nationalen Grenzschutzbeamten der einzelnen Staaten aufeinander ab und hilft den EU-Mitgliedsstaaten bei der Abschiebung von Personen aus Drittstaaten. Zahlreiche humanitäre Organisationen kritisieren die Einsätze von Frontex beispielsweise im Mittelmeerraum, bei welchen Flüchtlinge auf offener See zurückgewiesen und somit zu immer gefährlicheren Routen gezwungen werden, wodurch immer mehr ihr Leben verlieren.
Frontex steht für Vernetzung und wirkt als Bindeglied zwischen den einzelnen EU-Staaten oder für Migrationsgeschichten, wie im neuen Stück der Compagnie Majacc. Was passiert, neben Würstchen braten und banalen Alltagsproblemen diskutieren, wenn zwei Schweizer in den Alpen wandern und plötzlich einem Türken begegnen, Frauen in einer Bar bei einem Glas Wein sich über lebensverändernde Bootsfahrten unterhalten oder wenn zwei illegale Migranten auf einem griechischen Grenzposten mal eben kurz unbeaufsichtigt warten müssen? Dies erzählt die Compagnie Majacc mit sarkastischem Blick in drei bittersüssen, grotesk komischen, leicht surrealistischen Szenen in ihrer aktuellen Produktion «Frontex», die sich mit Versuchen des illegalen Grenzübertritts und Schicksalen von Migrantinnen und Migranten auseinandersetzt. Die fiktiven Geschichten nehmen keine konfrontative Gegenposition zur Organisation Frontex ein, sondern erzählen von wandernden Menschen, welche bereit sind, für eine Fahrt alles aufzugeben und jedes Risiko einzugehen, um einem unerträglich hoffnungslosen Leben zu entfliehen. Sie zeigen das Unverständnis, die Grenzen der Sprache, ja die Sprachlosigkeit der Öffentlichkeit wie auch der Migrantinnen und Migranten. Sie bilden das Fremde ab, stellen es hin und lassen es wirken.
Die 2005 von Regisseur und Autor Roger Binggeli Bernard gegründete Compagnie Majacc gewann letztes Jahr mit dem Stück «Nevreståd», welches von Ausländern in der Schweizer Rekrutenschule handelt, am zweiten nationalen Secondo-Theaterfestival im Stadttheater in Olten. Migrantinnen und Migranten werden im diesjährigen Stück «Frontex» zur Hälfte von Migrantinnen und Migranten gespielt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler besitzen den Türkischen, Griechischen, Kolumbianischen, Bolivianischen, den Österreichischen und den Schweizer Pass. In «Frontex» erhalten sie Gelegenheit, die Öffentlichkeit zum Hinschauen und Nachdenken über schicksalshafte Irr‑, Ein- und Überfahrten zu bewegen.
18. – 21. Februar, 20:30h, Tojo Theater
Idee/Regie: Roger Binggeli Bernard. Spiel: Katja Brochet, Adi Halter, Murat Akdas, Nicole Tochtermann, Chantal Tinguely, Judith Kreis, Pinto Galli, Patrik Locher, Savvas Sarikostas. Musik: Pinto Galli. Bühne/Kostüm: Sara Weingart. Dramaturgie: Sibylle Heiniger. Produktion: Mathias Bremgartner, Roger Binggeli Bernard.
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2009





