Der erste Schweizer Buchpreis

Von

|

Drucken Drucken

Von Tabea Steiner – Am ersten Basler Literaturfestival, das neu die Basler Buchmesse ersetzt, wur­de der erste Schweizer Buchpreis ver­lie­hen. Unter den Nominierten fand sich mit Adolf Muschg ein Doyen der deutsch­spra­chi­gen Literatur aus der Schweiz, mit Anja Jardine zwar kei­ne Unbekannte, aber doch in Sachen Belletristik eine Newcomerin, und mit Lukas Bärfuss und Peter Stamm zwei, die sich längst weit über die Landes- und Sprachgrenzen hin­aus einen Namen gemacht haben. Nur Rolf Lappert, den kann­te man irgend­wie nicht mehr, bevor er letz­ten Frühling «Nach Hause schwim­men» ver­öf­fent­licht hat.

Die short list für den ersten Schweizer Buchpreis bot also kei­ne gros­sen Überraschungen. Die fünf Bücher und ihre VerfasserInnen wur­den in den Feuilletons bespro­chen und gelobt. Man war froh, dass die Schweiz eine der­art rei­che Literatursaison hat­te, und man war froh, dass man stolz dar­auf sein konn­te. Nach all den Beschimpfungen aus dem Ausland auf die deutsch­schwei­ze­ri­sche Literatur, die gar kei­ne mehr sei, freu­te man sich dar­über, dass bereits für den deut­schen Buchpreis zwei Schweizer nomi­niert wor­den waren. Die Schweiz, so wur­de bewie­sen, hat Autorinnen und Autoren von Format.

Doch was sind das denn für Bücher, wel­che die Jury, die aus leid­lich bekann­ten Personen bestand, nomi­nier­te und schliess­lich eines davon aus­wähl­te und den Verfasser mit 50’000 Schweizer Franken bedach­te? «Kinderhochzeit» von Adolf Muschg wur­de vom Autor bezeich­nen­der­wei­se «Opus Magnum» genannt. Wenn man in den letz­ten Jahren Altherrenprosa von ähn­li­chen Kalibern gele­sen hat, weiss man, was hin­ter die­sem Begriff steckt, zumal wenn der Roman 580 Seiten stark ist. Warum sich Herr Muschg so kurz­fri­stig aus dem Wettbewerb zurück­ge­zo­gen hat, ist also unklar.

Erfreulich aber war die Nomination der ande­ren vier Bücher. Mit Anja Jardine hat die Jury den Nagel auf den Kopf getrof­fen und die Schweiz eine neue gros­se Erzählerin gewon­nen. Ihre Erzählungen aus dem Band «Als der Mond vom Himmel fiel» sind gross­ar­tig. Sie erzählt oft­mals auf weni­gen Seiten Geschichten mit meh­re­ren Erzählsträngen, die sich am Ende wie ein Teppich zu einem gros­sen Ganzen zusam­men­fü­gen. Sie schil­dert Situationen und Bilder, die man nicht so schnell wie­der ver­gisst, und die Situationen, in wel­che sie ihre ProtagonistInnen hin­ein­stellt, mögen noch so unrea­li­stisch sein, Anja Jardine ver­leiht ihnen Leben. Da kann eine jun­ge Frau, die soeben ver­las­sen wor­den ist, stun­den­lang im kal­ten See ste­hen und eine älte­re, unbe­kann­te Frau fest­hal­ten, damit die­se nicht ins Wasser geht, und man wun­dert sich nicht. Es ist eine Situation, wie sie nie­man­dem pas­siert und trotz­dem ist sie mit­ten aus dem Leben gegrif­fen. Anja Jardine arbei­tet bei der NZZ als Reporterin, und auch dort beweist sie, dass sie ihr Handwerk beherrscht; sie kann erzäh­len.

Peter Stamm hat mit sei­nen Erzählungen im Band «Wir flie­gen» ein­mal mehr ein Buch vor­ge­legt, das durch sprach­li­che Präzision, vor allem aber durch Geschichten, die den Leser berüh­ren, besticht. Wie Lukas Bärfuss ist auch er ein Meister sei­nes Fachs, Autoren, die ein­fach schrei­ben kön­nen, Autoren, von denen man weiss, dass, wenn ein neu­es Buch erscheint, es dann gut ist. «Hundert Tage» von Lukas Bärfuss ist ein Buch über die Schweizer Entwicklungshilfe, das poli­tisch ist und exakt recher­chiert, zugleich aber ein Werk von hohem lite­ra­ri­schen Gehalt und aus­ser­dem Unterhaltung vom Feinsten bie­tet.

«Nach Hause schwim­men» von Rolf Lappert, das mit dem ersten Schweizer Buchpreis aus­ge­zeich­net wur­de, ist ein Glücksfall. Der Autor hat vor zehn Jahren sein letz­tes Buch ver­öf­fent­licht, seit­her einen Jazzclub gegrün­det und als Sitcom-Autor von «Mannezimmer» gear­bei­tet. Mit «Nach Hause schwim­men» been­det er sei­ne «Amerikanische Trilogie», deren erster Band «Der Himmel der per­fek­ten Poeten» heisst und der zwei­te «Die Gesänge der Verlierer». Rolf Lappert erzählt in «Nach Hause schwim­men» von Wilbur, einem Knaben, des­sen Mutter bei sei­ner Geburt stirbt. Der Vater ver­schwin­det dar­auf­hin, und nach­dem der Junge sei­ne Kindheit zuerst bei der Grossmutter, und dann in Heimen und Pflegefamilien ver­bracht hat, macht er sich auf die Suche nach sei­ner Herkunft, auf die Suche nach sei­nem Vater. Das Buch kann gele­sen wer­den als eine coming-of-age-Geschichte, ein Entwicklungsroman, ein Reisebericht. Die vie­len ver­schie­de­nen Stationen, wel­che Wilbur durch­lebt, sind so viel­fäl­tig und in ihrer Vielfalt so anschau­lich geschil­dert, dass man am Ende das Gefühl hat, man habe mit Wilbur zusam­men­ge­lebt. Es gelingt Rolf Lappert, eine Geschichte so zu erzäh­len, als wäre sie mit­ten aus dem Leben gegrif­fen. Wenn Wilbur zusam­men mit sei­nem Freund Connor bei Orla, der Grossmutter, heis­se Schokolade trinkt, dann weiss man, dass dies die beste heis­se Schokolade der Welt ist, und es ist einem, als wür­de man mit am Tisch sit­zen und Schokolade trin­ken. Bei jeder heis­sen Schokolade, die man spä­ter trin­ken wird, wird man unwei­ger­lich an Wilburs heis­se Schokolade den­ken müs­sen, an sei­nen Freund, sei­ne Grossmutter und deren tra­gi­schen Tod.

Aber auch spä­ter, als Wilbur Aimee ken­nen­lernt und sich in sie ver­liebt, ver­steht man nur zu gut, war­um er sie ver­lässt, war­um er ein­fach aus dem Haus her­aus­läuft, obwohl er Aimee liebt. Man kann es zwar nicht ratio­nal begrün­den, aus­ser damit, dass Rolf Lappert es ver­steht, auch Emotionen so lebens­echt zu beschrei­ben, dass man sie nach­voll­zie­hen kann, kurz, dass man mit­fühlt.

Dass Rolf Lappert sei­ne letz­ten drei Bücher «Amerikanische Trilogie» nennt, dürf­te ein Segen sein. Es dürf­te ein Segen sein, weil er in der Tat ein Erzähler ist, wie man sie aus der ame­ri­ka­ni­schen Literatur kennt, wo Geschichten aus dem Leben erzählt wer­den, Geschichten, die einen berüh­ren und packen und nicht so schnell wie­der los­las­sen.
Rolf Lappert hat an der Preisverleihung die ande­ren nomi­nier­ten Autoren auf die Bühne gebe­ten, da die­sen eben­so­viel Ruhm zukom­me wie ihm, und gemeint, dar­aus soll­te sich eine «klei­ne Tradition» ent­wickeln. Einer, der imstan­de ist, so leicht­füs­sig an die gros­se Tradition ame­ri­ka­ni­scher Erzähler anzu­schlies­sen, hat den ersten Schweizer Buchpreis mehr als ver­dient. Und darf ger­ne wei­te­re Traditionen ins Leben rufen und vor allem darf er ger­ne noch vie­le wei­te­re Bücher schrei­ben.

Bild: Gerard Clifford
ensuite, Januar 2009

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo