Betanzte Plätze

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Von Kristina Soldati - Im ame­ri­ka­ni­schen Tanz-Boom der 60er, als Balanchine genau­so auf dem Höhepunkt sei­nes Schaffens war wie Merce Cunningham, ent­stand ein äus­serst expe­ri­men­tier­freu­di­ger Tanz. Er posi­tio­nier­te sich absicht­lich ins Abseits, mied thea­tra­le Strukturen. In einer ver­las­se­nen Kirche, der Judson Memorial Church in Greenwich Village in New York, gab es kei­ne Ränge, weder Rampe, noch Vorhang, die die Experimentierfreudigen von ihren zuschau­en­den Mitstudenten trenn­ten. Sie forsch­ten auch nicht im übli­chen Bewegungsbereich nach Tanzmaterial, son­dern lug­ten absicht­lich über die Grenzen des Tanzes. Sie mach­ten auch nicht halt vor den Grenzen des eige­nen Körpers. Die noch namen­lo­se Contact Improvisation bot die Grenzüberschreitung, auf die sie abziel­ten. Übertrug man Schwünge und Gewicht des eige­nen Körpers auf ande­re, konn­te Neues in der Bewegung ent­ste­hen. Hinzu kam die Öffnung hin zu den neu­en Technologien. Es ent­stand eine Event-Kultur, wie wir sie schon bei John Cage, Merce Cunningham und dem Maler Robert Rauschenberg sahen. Eine wei­te­re Besonderheit der krea­ti­ven Köpfe der Judson Church war die Demokratisierung der Kunst. Keine anspruchs­vol­le Technik soll­te die Künstler vom Zuschauer abson­dern, son­dern das gemein­sa­me Erlebnis extra­va­gan­ter Ideen ihn zu ihrem Komplizen machen. Wenn ein Gründungsmitglied der Zeit, Steve Paxton, sich in einem Museum von Gleichgesinnten ansprin­gen liess und die zuge­flo­ge­ne Energie abfing und umwan­del­te, war das ein Austasten eines neu­en Bewegungsbereichs (spä­ter Contact Improvisation). Wenn ein wei­te­res Gründungsmitglied, Trisha Brown, 1971 mit Tänzern Dächer im SoHo bestieg, so war das ein Austasten der Dehnbarkeit des Zuschauerbereichs: Kein Zuschauer konn­te den gesam­ten Tanz ins Auge fas­sen, berich­tet Maria B. Siegel, viel­leicht die bedeu­tend­ste Kritikerin der Zeit. Dennoch war es span­nend zu sehen da oben, wie Bewegungen, die Trisha über Dächer hin­weg ihrer Mittänzerin «zuspiel­te», sie die­se dann wie­der­um der näch­sten reih­um im wei­ten Kreis wei­ter­gab, bis sie schliess­lich bei Trisha wie­der anka­men. Das war Kommunikation über Wolkenkratzer hin­weg. «Man Walking Down the Side of a Building» war ein wei­te­res Outdoor-Event der Choreografin Anfang der 70er. Ein Mann wur­de an einem Haken am Dach ange­seilt und mar­schier­te kur­zer­hand an der Fassade her­un­ter.

Überflüssig zu erwäh­nen, dass kei­ner von den Gründern bis zu ihrer Anerkennung als «die Postmoderne im Tanz» sich je einer Tanzinstitution unter­ge­ord­net hat­te. Auch nicht zur Ausbildung. Sie hin­ter­frag­ten tän­ze­ri­sche Bewegung so radi­kal, dass der Begriff no-dance auf­kam und Steve Reich dazu bemerk­te: «In den frü­hen 60ern ging jeder zu einer Tanzvorstellung, um Herumstehende zu betrach­ten, und anschlies­send auf eine Party – um zu tan­zen.»

In den 80ern wur­de die Postmoderne vom Mainstream auf­ge­so­gen. Während sie sozu­sa­gen von aus­sen und über die Fassaden die Theaterbühne erklomm, brach­ten jun­ge Europäer sie unter den hei­mi­schen Himmel. Die Bewegung schwapp­te nach Europa über.

Ein Beispiel davon ist DaMotus, deren Gründer in den 80ern viel­leicht die letz­ten Freiluft-Veranstaltungen die­ser Avantgarde in New York mit­be­ka­men. Dass die Freiburger Tänzer in der länd­li­chen Gegend das­sel­be prak­ti­zier­ten wie die Vorreiter, ver­dank­ten sie aber der damals miss­li­chen Infrastruktur des Kantons. «Es gab kei­nen Proberaum für uns», meint Antonio Bühler. «Da trai­nier­ten wir im Freien und ent­deck­ten unse­re Kindheit wie­der, wo wir Rumliegendes umfunk­tio­nier­ten, bestie­gen und bespiel­ten. Ein Stück bei­spiels­wei­se erobert die Pyramiden der pla­si­ti­fi­zier­ten Heuballen auf den Äckern, wonach – geben wir es zu -, auch uns schon immer in den Fingern juck­te.»

Site-Specific-Dance Als das Festival Belluard 1987 ein Outdoor-Event such­te, reif­te ihre Idee des Urbanthropus. Halb aus der Wechselblüter-Vorgeschichte der Menschheit, halb aus Fiction-Filmen ent­schlüpft, bekriecht die­se Kreatur die Zementauftürmungen unse­rer Zivilisation. Sie beklet­tern Verkehrsschilder, hän­gen an ihnen kopf­un­ter zur Rast. Sie flech­ten ihre metal­le­nen Gliedmassen durch Schmiedeeisentore von Kathedralen. Sie sind kei­ne aso­zia­len Wesen, beschnüf­feln die Einkaufstüten der Passanten und neh­men gern das Versteck- und Erschreckspiel necki­scher Kinder vor Ort auf. Improvisation ist genau­so ein Teil ihres Stückes wie ein­stu­dier­te Elemente. Solche Elemente wer­den auf ver­schie­de­ne Städte ange­passt. Schilder, Brückengeländer und Winkel gibt es über­all. Und was an sol­chem Geländetanz ist dann noch spe­zi­fisch? Nun, es gibt zwei Arten von Site-Specific-Dance, erklärt uns der Experte: Der eine ent­steht kon­zep­tu­ell an einem beson­de­ren Ort. Dieser Ort löst die Idee und das Thema aus. Das Kloster Part-Dieu und sein ver­fal­le­ner Friedhof bei­spiels­wei­se, oder das Gruyerzer Schloss mit sei­nen immensen Gitterstäben an den Fenstern. Dann gibt es den­je­ni­gen Tanz, der Typisches, aber Wiederholbares, an sol­chen Plätzen the­ma­ti­siert. Kreisverkehr gibt es in allen Städten, einen Schilderwald auch, sie zeu­gen von Urbanität.

Demokratisierung der Kunst Wenn Tänzer Plätze unse­res Alltags betan­zen, dann bege­ben sie sich gewis­ser­mas­sen in den Rachen des Löwen. Hier sind nicht Zuschauer in Freizeitstimmung, auch nicht Kunstgebildete und Zahlungswillige. Indem die Tänzer sich auf unse­ren Alltagsstress ein­las­sen, lei­sten sie einen gewag­te­ren Schritt Richtung Demokratisierung der Kunst als noch die Avantgarde der beschwing­ten 60er. Site-Specific-Tänzer wol­len auch kei­nes­wegs mit den Strassenkünstlern wett­ei­fern. Keine vir­tuo­sen Tricks sol­len die Aufmerksamkeit auf sich len­ken, son­dern stil­le Irritationen. Man darf auch nicht den­sel­ben Massstab wie an ein ein­heit­li­ches Kunstwerk anle­gen. Auch damit ste­hen sie durch­aus in der Entwicklungslinie der Event-Kunst. Das Hier und Jetzt ist wich­tig, beto­nen sie, und wir Zuschauer sind als Komplizen gefragt. Sie grei­fen Formen, die wir an unse­rer Stadt gar nicht wahr­neh­men, auf und machen den Rhythmus ihrer Anordnung durch Bewegung erst sinn­fäl­lig. Solche Werke wol­len zugäng­lich sein. Keine Kopfkunst stösst uns vor den Kopf.

Dialog mit dem Platz Was aber ist genau das Aufgreifen von Formen und rhyth­mi­scher Anordnung? Worin besteht die­ser hoch­ge­rühm­te Dialog mit der Architektur und der Landschaft? Wir müs­sen eine Antwort fin­den, sonst sind die Begriffe nichts wei­ter als lee­re Metaphern zu einem scha­len Genre.

Das Markante am Ort Wie kann eine Auseinandersetzung mit räum­li­chen Besonderheiten aus­se­hen? Das Markante am Ort her­vor­zu­he­ben kann ein Vorhaben inner­halb der Auseinandersetzung sein. Ein ande­res, das Markante zu bre­chen, sich die­sem quer zu stel­len. Kann man bei­des machen? Nehmen wir als Beispiel ein metal­le­nes Treppenhausgerüst, das an eine Fassade ange­baut ist. Über meh­re­re Etagen tür­men sich die Stufen. Jede Etage erscheint wie ein Kubus, ja Käfig, mit einer Zwischenplattform, wo der Besteiger zur gegen­läu­fi­gen Treppe sich wen­det. Die Stiegen sind nicht mas­siv, son­dern nur fla­ches Metall, so dass Benutzer durch­weg mit dem Auge ver­folg­bar sind. Was am Treppengerüst mar­kant ist, wenn man die Stufen fron­tal anblickt, steht im Kontrast zum Hausblock mit gross­flä­chi­ger Fassade: Das Durchlässige sowie das eng­struk­tu­riert Regelmässige. Alle sicht­ba­ren Linien sind hori­zon­tal (Stufen sowie Geländer der Zwischenplattform). Dieses beson­de­re Merkmal heben die Arabesquen (90° geho­be­ne gestreck­te Beine) der DaMotus-Companie her­vor, sowie par­al­lel aus dem Gerüst ragen­de waa­ge­rech­ten Arme. Den Bruch des Markanten dage­gen lei­sten Diagonalen. Und zwar in Form stei­fer Körper, wenn sie im 45°-Winkel zur Hauswand geneigt die Stufen erklim­men. Oder wenn die Tänzer je auf einer Zwischenplattform syn­chron die Beine an den Kubusecken wie Winkelhalbierende her­aus­strecken. Sie beto­nen einer­seits das Geometrische, sei­ne Wiederholungen in der Auftürmung, und set­zen doch mit der Diagonalen Gegenakzente.

Körperglieder als archi­tek­to­ni­scher Anbau? Das klingt ja noch alles sehr sta­tisch. Körperglieder als archi­tek­to­ni­scher Anbau? Site-Specific-Dance wird sich im Idealfall aber auch mit dem Rhythmus der Architektur aus­ein­an­der­set­zen. Und sie in dyna­mi­schen Rhythmus umset­zen. Was genau in der Architektur Rhythmus ist, ist ein Thema für sich. Die Fachleute brin­gen den Begriff mit Wiederholungen von klei­ne­ren Einheiten inner­halb eines (grös­se­ren) Ganzen in Verbindung und fügen die Frage hin­zu: In wel­chem Verhältnis? Wenn jedes zwei­te Fenster einen Balkon hat, so ist die klei­ne­re Einheit «Öffnungen» der Fassade in der grös­se­ren Einheit Stockwerk zum Beispiel eine regel­mäs­si­ge Wiederholung im Verhältnis 1:2 (Balkonfenster sei­en dop­pel so gross wie schlich­te). Kurz-lang, kurz-lang, … wäre eine aku­sti­sche Entsprechung. Unser Treppengerüst ist gleich­mäs­sig struk­tu­riert. Die erwähn­te Plattform zum Wenden reiht sich da ganz unauf­fäl­lig ein. Hüpft man die Stufen Knöchel an Knöchel hin­ab, ist die Plattform eine erzwun­ge­ne Pause. Indem nun meh­re­re Tänzer sowohl das gleich­mäs­si­ge Runterhopsen als auch ein regel­mäs­si­ges Einhalten kanon­ar­tig unter sich über meh­re­re Etagen ver­tei­len und mit 180°-Wendungen von fron­tal zu dor­sal Überraschungsmomente set­zen, grei­fen sie den Rhythmus des Baus auf und spie­len mit ihm. Es ent­steht eine nahe­zu fugen­ar­ti­ge Komposition. Die Idee ist bril­lant, viel zu wenig aus­ge­ko­stet lei­der von der Gruppe DaMotus.

Negativer Raum Einen eigen­wil­li­gen Dialog geht Willi Dorner mit der Architektur ein (unlängst auf dem Festival Tanz In. Bern zu sehen). Er sucht oft «nega­ti­ve Räume» auf. Das sind bei­spiels­wei­se Zwischenräume. Wenn er in Hauswandnähe einen Schilderwald spries­sen sieht, gehen ihm sei­ne Tänzerkörper durch den Kopf. Und schon weiss er, wie­vie­le von ihnen in den Spalt rein­ge­zwängt wer­den kön­nen. Zwischen Fassade und Stäbe gepfercht hält sie die Reibungskraft, auch kopf­un­ter, ganz ohne Bodenkontakt. Was betont Willi Dorner hier? Das Marginale, Randzonen. Indem Tänzer zusam­men­ge­drängt Volumen bil­den, kön­nen der­art auf­ge­füll­te Leerräume über­haupt erst sicht­bar wer­den. Die Skulpturen, die dabei ent­ste­hen, sind bizarr und komisch. Bevor Gesichter blau anlau­fen, (Kapuzen sor­gen zudem für die nöti­ge Neutralisierung der Körper), sprin­gen sie aus den Posen und lau­fen zur näch­sten. Hundert Meter wei­ter tür­men sie sich erneut. Sobald der Betrachter nach­folgt, lebt auch schon die­ser stadt­ar­chi­tek­to­nisch ver­ges­se­ne Raum.

Funktionalität der Städte Wenn er an gut struk­tu­rier­ten Bushaltestellen die Körper säu­ber­lich sta­pelt, um die beste Raumnutzung zu bie­ten (indem er die Bankflächen auch von unten «besetzt»), nimmt Willi Dorner den Ordnungswahn und die Funktionalitätsmanie auf die Schippe. Mit dem Dialog zwi­schen Tanz und Architektur ist es nicht getan. «Ich wün­sche, dass die Stadtbewohner ihres Umfeldes über­haupt wie­der gewahr wer­den, auch bei Unscheinbarem auf­mer­ken. Und mehr: Sie sol­len den städ­ti­schen Raum wie­der zurück­ge­win­nen kön­nen!» Die Leiterin des Centre Pompidou reiz­te der Gedanke, mit ihrer beauf­trag­ten Kunst auch mal Stadtteile ver­kehrs­tech­nisch lahm zu legen. «Störungen und Irritationen» nennt sie das dann. Denn wo der Fussgänger zur Site-Specific-Kontemplation ein­ge­la­den wird und wei­te­re Neugierige anlockt, gerät so man­che städ­ti­sche Funktion ins Stocken.

Dass dabei der rhyth­mi­sche Charakter von Bewegung, ja die ver­schie­de­nen Dynamiken von Bewegung im Tanz auf der Strecke blei­ben, nimmt der Choreograf in Kauf. «Ich will in die­ser Alltagshektik das Meditative ver­brei­ten.»

Wer also noch die rebel­li­sche Bewegungswut der New Yorker Strassentänzer in Erinnerung hat, die den öffent­li­chen Raum ver­un­si­cher­te, sieht sich also ent­täuscht. Aber die woll­ten toten Beton zum Beben brin­gen und die Wüste der Vorstädte pul­sie­ren las­sen. Auch eine durch­aus gelän­de­ty­pi­sche Antwort…

Inhärente Bewegung Heidi Amisegger, die Leiterin der öff öff pro­duc­tions in Bern, pro­du­ziert seit fünf­zehn Jahren für beson­de­res Gelände. Ob für Brücken oder hohe Wände, bei ihr ist Akrobatik mit im Spiel. Trisha Browns Wandgang treibt sie gar auf die Spitze, wenn sie ihre Leute kopf­un­ter wan­deln lässt (upsi­de-down-walk). Indem sie gern ange­seilt arbei­tet, kann Dynamik unge­wohn­te Ausmasse anneh­men. Obwohl, auch wie­der nicht: kennt man schon vom Bungee-Jumping. Wenn wir nicht jede rhyth­mi­siert vor­ge­führ­te Bewegung Tanz nen­nen wol­len und nicht jede Erweiterung des Bewegungsspielraums (in den Lüften) als tanz­för­der­lich anse­hen, dann müs­sen wir uns um ein kon­kre­tes Beispiel bemü­hen: Die Aufführung mit Alphorn auf dem Dach des Zentrum Paul Klee.

Das Markante an die­sem Gebäude von Renzo Piano, das wel­len­för­mi­ge Stahldach, hat die Statur eines Wahrzeichens. Da das Dach in die umlie­gen­den Äcker ein­fliesst, kann man es beim Spazieren betrach­ten: «Das glän­zen­de Metall spie­gelt den Himmel wie­der und erin­nert mich an die Gletscher. Die tie­fen Rillen zwi­schen dem wel­len­för­mi­gen Gerippe sind wie Gletscherspalten. Das nutz­ten wir.» Tatsächlich, beim Erklimmen der Höhen sinkt immer wie­der jemand in die Spalten ab. Die abwech­seln­den Posen, auf allen Vieren, die steil dem «Berg» zuge­neigt ste­hen, auf dem Hintern rut­schend und plötz­lich absackend, bie­tet an sich Material genug für einen Tanz. Die Choreografin macht uns auf einen neu­en Aspekt auf­merk­sam, den die vori­gen Choreografen über­gin­gen: «Die Architektur hat eine inhä­ren­te Bewegung. Diese woll­te ich auf­zei­gen».

Die Sinuskurve des Paul-Klee-Zentrums Sehen wir Bewegung am Dach, weil wir die Wogen des Meeres asso­zi­ie­ren? Weil laue Hügelketten zum Wandern ein­la­den? Weil die Bahnen uns an die par­al­lel­ver­lau­fen­de Autobahn und ihre Geschwindigkeit gemahnt? Neben sol­chen kon­text- und kul­tur­ab­hän­gi­gen Antworten gibt es viel­leicht auch wel­che, die mit der Gleichförmigkeit der Struktur zusam­men­hän­gen. Die regel­mäs­si­ge Reihung von Wölbungen der Sinuskurve ver­sinn­bild­licht in der Mathematik unter ande­rem die har­mo­ni­sche Schwingung, also Bewegung. Sowohl der Feder- als auch der Fadenpendel, ein­mal in Bewegung gebracht, schwingt (ohne Luftwiderstand) je in einer kon­stan­ten Auslenkung und Dauer. Die Amplitude und die Schwingungsdauer sind den Koordinaten der Sinuskurve abzu­le­sen. Es steckt noch mehr ables­ba­re Bewegung hin­ter die­ser Kurve: Die Dynamikveränderung des Pendels. Die Höhen und Tiefen der Kurve ent­spre­chen dem Umschlagspunkt des Pendels, an wel­chem die Geschwindigkeit null ist. Zwischen ihnen wird’s rasant. Wo die Beschleunigung am gröss­ten ist, ist die Spitze der Cosinuskurve – wel­che genau­so har­mo­nisch sich hin­wellt. Ist das zu abstrakt? Ganz ähn­li­che Kräfte sind aber am Werk, wenn wir uns oben auf der ersten Höhe des Dachs plat­zie­ren wür­den. Unsere poten­ti­el­le (die soge­nann­te Lage-)Energie las­sen wir frei, indem wir gegen das Tal ren­nen, unten ange­langt ist die­se Fallkraft gehemmt und ledig­lich der Schwung gibt uns Auftrieb. Die Reibungskraft kön­nen wir nicht aus­schal­ten, also kom­pen­sie­ren wir das letz­te Stück mit Muskelkraft. Am obe­ren Punkt spü­ren wir ein leich­tes Verhalten (Geschwindigkeit null), spü­ren wohl aber unser «Potential», bevor wir uns ins näch­ste schwin­gen­de Ereignis stür­zen. Wäre es mög­lich, dass wir am Bau die­se Bewegung als «inhä­ren­te» wahr­neh­men? Bei die­ser Erklärung spiel­te aber erneut der Rhythmus der archi­tek­to­ni­schen Struktur eine Rolle. Rhythmus fin­den wir aber in die­ser öff-öff-Produktion kei­nen. Rhythmus ist bis auf eine Ausnahme weder im Bewegungsablauf aus­zu­ma­chen, noch in der Musik. Damit scheint aber die Aufführung wie aus­ein­an­der­zu­fal­len. Das Gelände ist weit, die Tänzer ver­liert man aus dem Blick. «Das ist bezweckt» bemerkt Heidi Amisegger, «es geschieht wie in der Natur: Auf einen Ruf eines Horns oder Tiers folgt eine Antwort. Man weiss nur nicht wann und nicht wo.»

Ja, auf man­chem Gelände kann man sich halt auch ver­lie­ren. Eines ist sicher, wenn man sich auf eine Site-Specific-Veranstaltung begibt: Unmöglich zu wis­sen, was einen erwar­tet auf dem betanz­ten Platz.

www.tanzkritik.net

Die näch­sten Folgen von «Tanz der Gegenwart»:
VIII. Folge: Software & Tanz
IX. Folge: Tanz wird reif fürs Alter (oder wahl­wei­se: Das Alter im Tanz)

Bild: Akram Khan / Foto: Carl Fox und «d’schwyz tanzt»
Ensuite, Januar 2009

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