Am Ende geht es einem doch immer um die lau­fen­den Kosten

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Von Dr. Regula Stämpfli - Achtung, Feuilletonisten-Falle im gross­deutsch­spra­chi­gen Raum. Machen wir zur Abwechslung mal «Spot the dif­fe­rence“:

„Ich bin sechs­und­vier­zig Jahre alt, ich heis­se Paulette-Charlotte Dubrois,
und ich has­se mei­nen Vornamen.“

„Ich bin sechs­und­vier­zig Jahre alt, ich heis­se Florent-Claude Labrouste,
und ich has­se mei­nen Vornamen.“

Richtig.

Ersteres Werk wird als Frauenliteratur im Ratgeberbereich mit Bestseller-Potenzial ent­sorgt. Es muss mög­lichst depri­mie­rend, schlecht geschrie­ben und alle aus­ge­gra­be­nen Klischees des nächst­ge­le­ge­nen über hun­dert­jäh­ri­gen Friedhofs ent­hal­ten und von einem Menschen mit Menstruationshintergrund unde­fi­nier­ba­ren Aussehens ver­fasst wor­den sein. Dieser Mensch, Schreibende, darf nicht blond, nicht beson­ders hübsch, nicht beson­ders häss­lich, nicht beson­ders gross, nicht beson­ders dick, aber auch nicht mit Hammerfigur geseg­net sein. Ein Buch, das mit einem der­ar­ti­gen Satz beginnt, funk­tio­niert nur bei einem Mann.

Michel Houellebecq hat einen neu­en, atem­be­rau­bend zyni­schen Roman geschrie­ben. Die Lektüre ver­lei­tet mich dazu, ent­we­der sofort in Polen ein­zu­mar­schie­ren oder ein Massensterben an Frauen über 45 anzu­den­ken. Der asch­fah­le Franzose, der jeden Tag erneut sei­nem Nikotin- und Alkoholsarg ent­steigt, um einen wei­te­ren umwer­fend bösen, prä­zi­sen, hoch­klu­gen, nüch­ter­nen Roman zur Gegenwart zu ver­fas­sen, macht mich der­mas­sen aggres­siv, dass ich selbst bei des­sen Rezension für nichts garan­tie­ren kann. Hier also die Triggerwarnung: Die fol­gen­den Zeilen ver­stö­ren, da sie das Sag- und Zeigbare neu kar­to­gra­fie­ren. Selbst mei­ne bei­den Hauskatzen ver­las­sen krei­schend mein Büro, wenn ich mit Houellebecq rum­fucht­le, schnau­be, flu­che, schreie, mein Gesicht zu einer gräss­li­chen Fratze zie­he und ab und an in hyste­ri­sches Gelächter ver­fal­le.

Houellebecq ist unver­dau­lich bös­ar­tig. Er hasst alle Frauen eben­so begie­rig, wie er das Fleisch jun­ger Mädchen zwi­schen vier­zehn und acht­zehn Jahren begehrt. Sein Männerbild ist ein ewig gei­ler Schwanz, vol­ler Selbsthass und impo­ten­ter Kriecherei. Hätte der Kapitalismus eine Buchform, er wür­de Houellebecq wäh­len. Michels Figuren – nie­mand nennt ihn Michel aus­ser mir, ich kann mir das erlau­ben, denn die Liste der Michels, die ich schon vor dem Frühstück zu ver­spei­sen pfleg­te, ist lang – also, Michels Figuren sind von einer gna­den­lo­sen Präzision und oft so bil­lig wie der Preis eines Stücks Schweinefleisch.

„Ich war näm­lich tat­säch­lich abge­reist, bevor ich mei­nen umfas­sen­den Bericht über die Aprikosenerzeuger aus dem Roussillon ein­ge­reicht hat­te, ange­wi­dert von der Nichtigkeit mei­ner Arbeit. Sobald die Freihandelsabkommen, über die gera­de mit den Mercosur-Staaten ver­han­delt wur­de, unter­zeich­net wären, wür­de klar auf der Hand lie­gen, dass die Aprikosenerzeuger aus dem Roussillon kei­ne Chance mehr hat­ten, der Schutz durch die Ursprungsbezeichnung „Rote Aprikose aus dem Roussillon“ war bloss eine lächer­li­che Farce, der Vormarsch der argen­ti­ni­schen Aprikosen war unab­wend­bar, man konn­te die Aprikosenerzeuger aus dem Roussillon im Grunde schon als tot betrach­ten, kei­ner, nicht ein Einziger von ihnen wür­de übrig blei­ben, nicht ein­mal ein Überlebender, um die Leichen zu zäh­len.“

„In your face, Schneider-Ammann oder Sigmar Gabriel!“, rufe ich über das Buch hin­weg und wei­ter: „Hier steht die Analyse des Migrationspaktes!“ Verkürzt, lite­ra­risch, pole­misch, unan­ge­nehm und selt­sa­mer­wei­se doch auf dem Weg zur Wahrheit. Donald ist für den Franzosen die ein­zig rich­ti­ge Antwort auf die Arschfickerei u. a. auch der euro­päi­schen Sozialdemokratien gegen Demokratie, Menschenwürde und Frauenrechte.

Ich wie­der­ho­le: Houellebecq lesen trans­for­miert jede Intellektuelle nicht in einen harm­lo­sen Käfer, son­dern in eine mache­ten­schwin­gen­de Wortakrobatin, die das Glied jedes Feuilletonisten, Bürokraten, Bankiers, ja aller Männer zwi­schen den fleisch­süs­sen sech­zehn­jäh­ri­gen Knackarschfantasien zuerst erdrücken und dann abschnei­den soll­te.

Schockiert?

Ich auch. Wahrhaftige Literatur bringt in Menschen Gefühle her­vor, die sie längst ver­ges­sen haben. Wollen Sie Kotze und Pisse so gut beschrie­ben haben, dass sie die­se rie­chen kön­nen? Dann sind Sie bei Houellebecqs neu­em Buch bestens bedient. Doch was in „Unterwerfung“ noch ein gran­dio­ser Wurf im Stile von Klaus Manns „Mephisto“ war, ist in „Serotonin“ vor allem Splatter-Gegenwartspoesie. Da gibt es wohl­for­mu­lier­te Scheisse, die wie Crème brulée ser­viert wird und beim zwei­ma­li­gen Lesen doch nur nach Kot schmeckt. Solche Literatur geht an die Eingeweide, ver­fasst von besag­tem Michel mit einem Nachnamen, der selbst die Tastatur auf­schrei­en lässt.

Sollen Sie „Serotonin“ lesen? Ja. Unbedingt. Als Frau indes­sen nur, wenn Sie genü­gend Selbstvertrauen besit­zen, das Ihnen die Stärke gibt, Houellebecqs unfass­ba­re Frauenhasserei gegen alle weib­li­chen Wesen über acht­zehn auch nicht nur eine Nanosekunde ernst zu neh­men. Auch Beamte, Universitätsprofessoren, lin­ke Journalisten oder son­sti­ge Eliten die­ser Welt, die sich noch was auf ihre Kritikfähigkeit ein­bil­den, könn­ten bei der Lektüre erheb­li­chen Schaden neh­men: Denn der Blick in den Spiegel von Houellebecqs Männerfiguren ist knall­hart und zer­stö­re­risch, schwel­gen doch die mei­sten in einer abgrund­tief kit­schi­gen Sentimentalität über glor­rei­che ver­gan­ge­ne Zeiten ihres Penis und Charakters.

Doch dar­über hin­aus erzählt Houellebecq zusätz­lich von der Elite, deren anpas­se­ri­sches Kriechtum nicht nur die Kontrolle über Geld und Zeichen aus­übt, son­dern einem „Globalismus“ frönt, die den moder­nen Gender‑, Trans- und Post-Kosmopoliten Gratis-Solidaritäten ohne Demokratie auf dem Freihandelstablett ser­viert. Und, so erstaun­lich es immer wie­der ist: Auch mit „Serotonin“ erweist sich Houellebecq als Prophet. Er beschreibt die Gilets jau­nes, noch bevor sie sel­ber rea­li­sie­ren, was sie eigent­lich auf die Strasse treibt. Der Verdacht, dass sich letzt­lich alles nur um Sex dreht, erweist sich aber als falsch.

 

Michel Houellebecq, Serotonin, Roman. Aus dem Französischen von Stephan Kleiner, Dumont 2018.

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