Software & Tanz

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Von Kristina Soldati - Virtueller Schwanensee? Wollten Sie schon immer einer ent­ge­gen rau­schen­den Schwanenreihe har­ren, ja, ohne Federn zu las­sen ihr trot­zen kön­nen? Zwischen den makel­lo­sen weis­sen Linien als «Geisterfahrer» sich hin­durch­sur­fen? Das ist nun mit den Animationsprogrammen wie Life Forms, Poser und 3D Max nahe­zu mög­lich. Man kann sich die vir­tu­el­len Figuren wäh­len, sie mit fer­ti­gen Schrittarten ani­mie­ren, ihnen den Weg vor­schrei­ben, sie ver­viel­fa­chen, ihnen Tüllröckchen ver­pas­sen und durch Nebelschwaden schicken.

Erste digi­ta­le Tanzschritte Mag sein, dass die Freizeitindustrie, Film- und Computerspielbranche früh in den 80ern den lukra­ti­ven Braten roch und Companien wie Credo soft­ware pro­ducts zu schnel­lem Fortschritt antrieb. Die jun­ge Software Life Forms lies­sen sie aber in künst­le­ri­schem Ambiente gedei­hen: In den Händen kei­nes gerin­ge­ren als Merce Cunningham. Als Mitglied der ursprüng­li­chen Life-Forms-Grafikgruppe nutz­te die tanz­kun­di­ge Thecla Shiphorst an Cunninghams Seite die Bedürfnisse des erfah­re­nen Choreografen, um das Programm zu prä­zi­sie­ren und hand­hab­bar zu gestal­ten. Zeitgleich arbei­te­te der Musiker und Informatiker Mark Coniglio in Kalifornien an der Verknüpfbarkeit von Musik- und Videodaten mit Tanz. Er schaff­te 1989 dem MIDI-Programm (Musical Instrumental Digital Interface) eine Schnittstelle und impf­te dort sein eigens kei­er­tes MidiDancer-Programm ein. Es konn­te über Gelenkwinkelmessungen gespei­cher­te Tonfolgen und Videosequenzen aus­lö­sen.

Interaktiver Tanz Beim MidiDancer wer­den acht Sensoren an die Hauptgelenke gehef­tet, sie mes­sen die Winkel. Über Kabel sind sie mit einem win­zi­gen Gehäuse auf dem Tänzerrücken ver­bun­den, wel­ches der vol­len Gelenkstreckung die Zahl 0, der vol­len Beugung 100 bei­misst. Über Radiowellen sen­det es dreis­sig­mal die Sekunde einem Empfänger abseits der Bühne die Information. Dieser wan­delt sie in MIDI-Signale um und spielt sie einem MIDI-fähi­gen Macintosh-Computer zu. Dort kann man die Signale bear­bei­ten und in einem MIDI-Datenformat spei­chern. Der Choreograf kann fest­le­gen, mit wel­chen wei­te­ren Musik‑, Licht- oder Video-Dateien die Signale ver­knüpft wer­den sol­len und auf wel­che Weise. Ob spit­ze Ellenbogen und Knie die Bühne mit grel­lem Licht und schril­len Tönen über­flu­ten, kann dann live erlebt wer­den. Auf einer Tagung im Frühjahr 2002 in Girona gestand Mark Coniglio: «Das Problem mit dem MidiDancer ist fol­gen­des: Um es wirk­lich aus­zu­spie­len und dem Publikum das Spielen der Tänzer erfahr­bar zu machen, muss sich der Tänzer sich wie ein Musiker bewe­gen.» Wenn der Tänzer nicht bewusst kom­po­niert, blit­zen schar­fes Licht und spit­zer Ton auf wie ver­ein­zel­te Disco-Effekte. Mark hat als Nicht-Tänzer lan­ge gebraucht, wie er beschei­den zugibt, um fest­zu­stel­len, dass beim Betrachten von Tanz nicht der Winkel das Mass der Dinge ist. Der Tänzer soll also nun nicht mehr Farben durch den Raum schicken und ihn mit Tönen ver­se­hen wie eine Fernbedienung aus Fleisch und Blut. Vielmehr soll sich die Software nach tanz­ty­pi­schen Eigenschaften rich­ten. «Was wir Zuschauer am Tanz wahr­haft sehen, ist Energie.» Und des­halb soll sei­ne Software nun Beschleunigungen erfas­sen. Pirouetten, plötz­li­ches Stoppen und Erzittern sol­len nun rele­vant wer­den. Für was noch mal? Für die pas­sen­de Klang- und Lichtausstattung.

Sichtbare Kausalität? Künstlerisch abge­stimmt war der Tanz im Idealfall schon immer mit sei­nem opti­schen und aku­sti­schen Umfeld. Dafür sorg­ten Choreograf, Beleuchtungsmeister und Bühnenbildner gemein­sam. Sollen nun letz­te­re durch Projektionen und Leinwände ersetzt wer­den? Steuert der Tanz selbst sein Bühnenbild? Wird er ton­an­ge­bend? Der Tanz löst sich aus den tra­di­ti­ons­rei­chen musi­ka­li­schen Fesseln und übt Umsturz, lässt er nun die Töne nach sei­ner Pfeife tan­zen… Es ist die Ironie des Schicksal, wenn für den Zuschauer der Unterschied nicht erkenn­bar ist. Spitzt der Tänzer auf den Ton genau die Gelenke oder quietscht der Ton, weil der Tänzer sie spitzt?

Was also noch zu lei­sten ist: Die Kausalität muss sicht­bar wer­den. Das direk­te­ste Miterleben von Kausalität bie­tet das Stegreiftheater. Der Zuschauer wird gewahr, wie schon im Comedia del’ Arte, wie ein unvor­her­seh­ba­rer Zwischenfall auf­ge­grif­fen wird. Wie die Schauspieler dar­auf reagie­ren. Improvisation soll für authen­ti­sche Interaktionen auf der Bühne bür­gen. Auch mit der Technik. Da aber im Stegreif erwirk­te Lichtblitze und Donner letzt­lich doch gestellt sein könn­ten, darf das Publikum oft ein­grei­fen. Es darf bei der Tanztruppe Palindrome Intermedia Groupe mit­un­ter die Arme heben. Sie durch­bre­chen damit einen Laserstrahl, der eine bestimm­te Höhe des Zuschauerraumes erfasst. Dieses Ereignis wird an einen Computer wei­ter­ge­lei­tet und eine Software lässt reagie­ren (Blitz?, Donner?). Erst kürz­lich über­liess Foofwa d’Immobilité aus Genf gar sämt­li­che sze­ni­schen Parameter dem Publikum. Es konn­te sich sein eige­nes Spektakel gestal­ten.

Gruppen wie Troika Ranch und Palindrome, die seit Jahrzehnten schon mit tech­no­lo­gi­schen Mitteln arbei­ten, sind aber über ein spie­le­ri­sches Stadium hin­aus. Was sie an der mul­ti­me­dia­len Technologie reizt, ist der Anspruch, eine gewis­se Kohärenz der gestal­te­ri­schen Mittel zu bil­den. «The Plane» von Troika Ranch ist ein Beispiel, das ensuite – kul­tur­ma­ga­zin in Nr. 68, «Video im Tanz», besprach. «Talking Bodies» von Palindrome ist ein wei­te­res. In «Talking Bodies» lösen die Körper der Tänzer einen Soundtrack mit gespro­che­nen Lauten aus. Dieser ertönt mit dem ersten Ausschwingen eines Körpers. Endet aber nicht sofort, son­dern ebbt lang­sam ab. Der Körperimpuls zeugt von Absicht, er ist inten­tio­nal und in sei­ner beharr­li­chen Wiederholung gar kom­mu­ni­ka­tiv. An der leich­ten Variation sieht man, wie je nach Art der Verformung des Körpers sich die her­vor­ge­ru­fe­ne Lautfolge ent­spre­chend ver­zerrt. Indem der Klang nicht von ande­ren tech­no­lo­gi­schen Effekten über­la­gert wird, ist die Kausalkette ver­folg­bar. «Der Zuschauer soll nicht mit Zaubertricks über­rollt wer­den und rat­los sich selbst über­las­sen blei­ben. Zufälle sind zwar über­aus will­kom­men, aber ich for­sche nach grund­le­gen­den Zusammenhängen zwi­schen Bewegung, Licht und Klang. Es ist ver­blüf­fend, wie die Psychologie uns vor­ex­er­ziert, dass iden­ti­sche phy­si­ka­li­sche Erscheinungen in einen neu­en Kontext gebet­tet uns unter­schied­lich vor­kom­men. Nehmen wir einen schril­len Laut von einem Fuss her­vor­ge­ru­fen wahr, berührt es uns anders, als wenn der­sel­be von einer Nase aus­ge­löst wird», meint Palindromes künst­le­ri­scher Leiter Robert Wechsler. Sind sol­che Zusammenhänge zwi­schen Tänzer und Technologie gut aus­ge­tüf­telt, kön­nen sie sinn­fäl­lig und intui­tiv nach­voll­zieh­bar sein. Ein gutes Konzept kann kohä­rent sein, aus­bau­fä­hig und ein gan­zes Tanzstück tra­gen. Willkür tech­ni­scher Effekte und inhalts­lo­ses Spiel muss inter­ak­ti­vem Tanz dann nicht mehr vor­ge­wor­fen wer­den.

Emanzipation von der Technologie Technische Ausstattung (Kameras, Sensoren, Lasergeräte) gibt es mitt­ler­wei­le genü­gend. Schnittstellen und ver­ar­bei­ten­de Software eben­falls. Die erste tech­no­lo­gie­ver­lieb­te Welle ist abge­klun­gen. Viele Profis wol­len nicht mehr die Technik zele­brie­ren. Sie brau­chen sie auch nicht mehr als Zugpferd. «Lasst uns die Technologie wie ein neu­es Instrument erst ein­mal spie­len ler­nen und künst­le­risch aus­schöp­fen!» schlägt der Alt-Profi Robert Wechsler vor. Ingenieure und Informatiker dage­gen treibt es natur­ge­mäss nach wei­te­ren Entdeckungen. Sie wür­den die­se gern auch (ästhe­tisch?) testen. Und wo Innovation ist, dort fliesst Geld. Was kla­gen wir? Wie gut, wenn neue Technologie statt auf dem Kampffeld sich auf dem der Kunst bewäh­ren will.

Software zur Strukturierung Software ver­mag nicht nur eine Auseinandersetzung mit aku­sti­schen und opti­schen büh­nen­tech­ni­schen Mitteln zu gewäh­ren. Es gibt Software, wel­che die Strukturierung von Bewegungsfolgen oder eines gan­zen Tanzstückes lei­stet. Am Frankfurter Theater lern­ten die Tänzer in den 90ern, Informationen zur Aufführung von Monitoren abzu­le­sen. Diese waren in «Self Meant to Govern» an den Seiten der Bühne auf­ge­hängt und ver­mit­tel­ten spon­tan gene­rier­te Codes. William Forsythe, der künst­le­ri­sche Direktor, hat­te allen Tänzern zuvor Bewegungssequenzen ein­stu­diert. Die Codes, gros­se far­bi­ge Buchstaben etwa, stan­den für Regeln, nach wel­chen die­se Bewegungsfolgen abzu­än­dern waren (z.B. zu beschleu­ni­gen oder umzu­keh­ren). Die Struktur der Bewegungsphrase wur­de so ver­frem­det, gedehnt oder ver­kehrt, die des Stückes selbst blieb aber unbe­rührt. Wann wel­cher Tänzer sei­nen Auftritt und Einsatz hat­te, war auf die Sekunde fixiert. Genau die­se Stückstruktur steht spä­ter beim Gastchoreografen Michael Kien auf dem Spiel. Sie wird live von einem Computer erstellt und von den Tänzern umge­setzt. Das erfor­dert vom betei­lig­ten Tänzerpaar ein genau­es Hinschauen: Der Bildschirm für das Stück «Duplex» zeigt näm­lich eine fort­lau­fen­de Zeitachse. Eine fixe senk­rech­te Linie in der Bildmitte gibt die Gegenwart an. Rechts davon schwir­ren Elemente der Zukunft. Sie rücken zuse­hends gegen die Mittellinie der Gegenwart, bis sie am lin­ken Bildrand (und aus dem Bewusstsein) ent­schwin­den. Die Elemente ste­hen für ein­stu­dier­te Bewegungen, Bausteine der Choreografie, und erhal­ten eine Farbe. Farben ent­schei­den hier: Tanze ich die Schritte allei­ne oder mit Partner?; Sind die Schritte in der Luft oder stüt­zen sie eine Hebung? Michael Kien möch­te in «Duplex» einer­seits die Bausteine all­abend­lich neu kom­bi­niert haben, ande­rer­seits ist ihm die tra­dier­te Proportion eines Pas-de-deux-Tanzes wich­tig: ein Entré, Adagio, Solo für sie und ihn, sowie Coda. Die for­ma­le Struktur gewähr­lei­stet sei­ne eigens zu die­sem Zweck ent­wickel­te Software ChoreoGraph und mischt das Material den­noch tüch­tig durch. Möge der Tänzer sich adap­tie­ren!

Software zur Materialgenese Wir sahen, Life Forms wur­de mit Merce Cunningham ent­wickelt. Seine Art, Posen zu sezie­ren und neu zusam­men­zu­fü­gen, sei­ne ana­ly­ti­sche Figurenforschung kam der Software zugu­te. Umgekehrt war die Software mit ihren Operationen ihm das idea­le Mittel zur Hand. Zumal er in die Jahre kam. Arthrosegeplagt konn­te er nun vir­tu­ell und trotz­dem im Detail sei­ne for­ma­len Ideen aus­tüf­teln.

Wie funk­tio­niert Life Forms? Life Forms ist ein Choreografieprogramm, das eine detail­lier­te Bearbeitung einer Figur erlaubt. Es bie­tet hier­für in sei­ner letz­ten Version eine drei­fa­che «Werkstatt» (Editors) an. Die eine bil­det die Figur auf einer unbe­weg­ten Zeitachse, mit belie­big vie­len Bildern pro Sekunde, ab. Eine ande­re ist eine ana­to­mi­sche Werkbank. Sie spannt die Figur eines gewähl­ten Bildes, eines Moments also, in ein drei­di­men­sio­na­les Koordinatensystem. Dort bie­tet die Werkbank aller­hand chir­ur­gisch genaue Eingriffe. Die drit­te stellt die Figur auf ein gigan­ti­sches Schachbrett, die Bühne. Dort kommt zu Tage, wie raum­grei­fend ihre Bewegung ist. Zu Beginn wäh­len wir ein Modell aus einer ange­bo­te­nen Palette wie beim Vortanzen: «Moderner Tänzer A», wie Adam. In wel­cher Werkstatt auch immer wir an ihm ope­rie­ren, jeder Einschnitt gra­viert sich tief ein und ist in der ande­ren Werkstatt bereits Faktum. Haben wir ihm ver­se­hent­lich den Fuss hin­ters Ohr gesetzt (die Figur wehrt sich nicht durch das gering­ste Signal), steht er so bereits im Rampenlicht. Hatten wir Adam noch eine Sekunde zuvor beschei­den mit geneig­tem Haupt in einen Rahmen der Zeitachse gefasst, so wird er bis zum näch­sten Moment halt ein Bein für uns aus­reis­sen. Und sei­ne Wucht dabei bleibt uns nicht erspart: Die Zeitachse setzt sich auf Befehl in Bewegung, und wir sehen Adam… – Aber was wer­den wir gewahr? Mühelos fliegt das Bein hoch, kein Ausweichen im Rumpf, kei­ne Rachegelüste der Kreatur gegen den Schöpfer. Das Wesen ist nicht nur see­len­los (Animation hin oder her), es ist auch schwe­re­los. Es for­dert nicht, dass unter sei­nem Gravitationszentrum, zumin­dest hin und wie­der, ein stüt­zen­des Körperglied her muss. So haben wir im Nu eine Folge von Positionen kre­iert, die Adam nie ver­bin­den kann, es sei denn in der Schwebe. Und genau das macht er. Das Programm bie­tet uns zwar höf­lich an, man­che Posen zu erden. Aber wir haben es schon längst auf­ge­ge­ben, orga­ni­sche Formen zu schaf­fen. Das ist es auch nicht, was Choreografen inter­es­siert. Sie brau­chen kei­ne Veranschaulichung ihrer Ideen. Die kann ihr bewe­gungs­ge­schul­tes «Personal» blitz­schnell aus Andeutungen schon able­sen. Es ist viel­mehr das Durchkreuzen ihrer Ideen, was Choreografen wie Merce Cunningham, Gregor McWayne oder Pablo Ventura inter­es­siert. Alle sind sich einig: Eingefahrenen Bewegungsmustern ist am Besten durch zufalls­ar­ti­ge Durchmischung ein Schnippchen zu schla­gen. Aus die­sem Grunde hol­te Merce vor fünf­zig Jahren schon den Würfel her­vor. Er zer­glie­der­te die bekann­ten Positionen des Balletts und wür­fel­te, wel­cher Arm zu wel­chem Bein posie­ren durf­te. Indem er mit Life Forms gan­ze Bibliotheken an Posen sam­meln konn­te, ver­viel­fäl­tig­ten sich die Kombinationen und pro­fes­sio­na­li­sier­te sich der Zufall. Der Computer ist – bei ent­spre­chen­den Befehlen – der per­fek­te Zufallsgenerator!

Autopsie-Methode Natürlich ist nicht egal, wel­che Posen im Regal der Bibliotheken war­ten. Life Forms bie­tet schon eine vor­fa­bri­zier­te Palette an. Für fau­le Animateure. Für Möchtegern-Choreografen gar auch Tanzschritte von der Stange. Sie wir­ken unaus­ge­go­ren und lächer­lich. Pablo Ventura hat sich sei­ne eige­ne Posensammlung ange­legt: 100x100 an der Zahl. Ohne Rücksicht auf Tanzbarkeit, die Glieder mit Akribie in alle Richtungen ver­dreht, har­ren die Figuren dort wie ver­hed­der­te Marionetten. Bis der Meister für sei­ne Trilogie «De Humani/Corporis/Fabrica» (Titel des ersten auf Autopsie beru­hen­den Anatomieatlasses) sie nach einem aus­ge­klü­gel­ten Zufallsprinzip aus dem Regal holt, ent­staubt und auf der Zeitachse plat­ziert. Dort beginnt erst rich­tig die Durchmischung. Der Oberkörper Adams wird «copy&paste» mit der Evas ver­tauscht. Sequenzteile gespie­gelt oder umge­dreht. Kein Wunder, wir­ken die Tänzer dann andro­gyn. Und dann kommt das Unerklärliche: Der Meister, mit einem Blick für das Interessante, fischt aus dem Chaos Abschnitte der 1. Wahl. Er weiss, wel­che Phrase neben wel­cher wirkt: «Wenn zwei zur sel­ben Zeit einen Akzent set­zen oder Kontraste bie­ten.» Noch bevor sei­ne Tänzer der Phrase Leben ein­hau­chen. «Weggeputzt» dage­gen wer­den Posen, die wie unter­bro­che­ne Bewegungen aus­se­hen. Bei Pablo Ventura kön­nen die Tänzer ihre Bewegungen voll­enden. Halb Mensch halb Maschine klap­pen sie sich von Pose zu Pose auf, fal­ten sich zusam­men, schwen­ken Gliedmassen aus und fah­ren sie wie­der ein. Übermenschlich erfül­len sie Bild für Bild Life Forms – nur blei­ben sie geer­det. Kein Zielpunkt darf durch ein Atemholen vor­weg­ge­nom­men wer­den, kei­nes mit Schwung (wie bei Limón) ange­gan­gen. Keine Kontraktionen ver­ra­ten Impulszentren (wie bei Graham) oder Verletzlichkeit. Wie ener­ge­tisch gleich­mäs­sig auf­ge­la­de­ne Wesen absol­vie­ren die Tänzer ihre Mission. Dass sie nicht nur auti­stisch in ihren Sequenzen gefan­gen sind, fällt uns wie Schuppen von den Augen im Unisono: Sie agie­ren im Akkord, ohne sich zu sehen und ohne Musik! Die höhe­re Mission stammt aus dem Äther. Kalkulierte Metronomschläge wur­den vom Meister ins All gesandt und die Tänzer mit einem Empfänger aus­ge­stat­tet. Der Transmitter über­mit­tel­te die Schläge, sech­zig­mal die Sekunde wie der Herzschlag, direkt in ihre Ohren. Und syn­chron spul­ten sie Life Forms ab, Bild um Bild. Bis auf Las Palmas ein Sportsender sich auf ihre Wellenlänge ein­ni­ste­te und bei der Aufführung einem Tänzer über anste­hen­de Torchancen den Puls höher trei­ben liess. Seitdem trägt jeder sei­nen Schrittmacher über der Brust im Kostüm ein­ge­näht. Erst gegen Ende der über Jahre ange­leg­ten Trilogie hat­ten die Wesen sich ent­la­den, der Schrittmacher aus­ge­dient, wäh­rend über ihnen ein spin­nen­ar­ti­ger Roboter im gestei­ger­ten Metrum froh­lock­te.

Software in der Ausbildung Waren die Pioniere auf dem Feld der neu­en Technologie Autodidakten, könn­te die näch­ste Generation von ihnen pro­fi­tie­ren. Macht sie es auch? Manche pil­gern wohl zu den Workshops, die die Pioniere in New York, Irland und Nürnberg hal­ten. Institute wie die Tanzakademien tun sich aber schwer, Technologie und Software in ihr Programm ein­zu­bin­den. Da haben Städte mit tech­no­lo­gie­ge­wand­ten Choreografen einen Vorteil: Die Frankfurter Akademie arbei­tet mit Forsythes CD «Improvisation Technologies» (vgl. ensuite Nr. 64 ) und sen­si­bi­li­siert die Schüler für Multimedia. Die Zürcher Akademie plant für den neu­en BA-Studiengang Zeitgenössischer Tanz für das 5. Semester ein Modul «Choreografie und neue Medien» mit Pablo Ventura. Nicht-Tänzer kön­nen an der Hochschule der Künste Bern im März mit dem Gast Mark Coniglio stu­die­ren.

Foto (links): «Corporis» aus der Triologie der Ventura Dance Company / Software: Screencopy von Life Forms / zVg.
ensuite, März 2009

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