Shakespeare in Seoul

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Von Regula Stämpfli - «Parasite» ist umwer­fen­de Kunst. Der Film aus Südkorea ist nicht nur das erste nicht-eng­lisch­spra­chi­ge Werk, das mit «Best Film» bei den Oscars 2020 aus­ge­zeich­net wur­de, son­dern schlicht dra­stisch gut. Die sub­ver­si­ve Story, iko­no­gra­phi­sche Körperwucht, hef­ti­ge Direktszenen und Überraschung ohne Ende zeich­nen «Parasite» aus. Aus Südkorea stam­men schon längst Streifen für Liebhaberinnen schar­fer Kost. Wobei «Kost» durch­aus wört­lich gemeint ist, denn die süd­ko­rea­ni­sche Filmindustrie ist meist bei Multi-Konzernen behei­ma­tet, die ein­fach alles pro­du­zie­ren: Lebensmittel, Pharma und eben auch Unterhaltung. Der Vorteil ist – wie immer in Asien – wenn etwas gut läuft, sei dies ein Bild, ein Song, ein Fast-Food, eine Pille, dann bewegt sich der Absatz in Millionenhöhe.

In Frankreich wür­de die Story von «Parasite» von Annie Ernoux, von Didier Eribon, von Édouard Louis erzählt. Wahrscheinlich etwas weich­ge­spült, etwas arg poe­tisch und viel zuwe­nig Gewalt. Ein «Parasite» in Deutschland? Unvorstellbar. Zu sexi­stisch, zu klein­ka­riert, zu sehr von Porno und Sado inspi­rier­te 68er Theaterkultur domi­nie­ren die Szene. Noch. Nur «Der Tatortreiniger» reich­te an «Parasite» her­an, wur­de lei­der abge­setzt. Grosses Kino war das, unge­wöhn­lich für den euro­päi­schen Koloss in der Mitte. «Der Tatortreiniger» ver­moch­te ähn­lich wie «Parasite» die Zuschauenden so zum Lachen zu brin­gen, dass sie regel­recht geschockt sind. Nicht vom Lachen, das bei der bra­chia­len Gewalt im Halse stecken bleibt, son­dern wegen der über­wäl­ti­gen­den Genialität der süd­ko­rea­ni­schen Filmemachenden. Sie ver­mit­teln den kaput­ten Zeitgeist der­art mensch­lich zart, dass man lacht, weint und schreit. Seit Jahren in München behei­ma­tet, ist mir noch nie pas­siert, dass Menschen im Kino geklatscht haben. Bei «Parasite» geschah dies sogar mehr­mals. Dies zu einem Zeitpunkt als die deut­schen Medien noch nicht davon berich­te­ten, dass es tat­säch­lich echt coo­le Filme gibt, die nur mit Untertiteln zu haben sind.

Dieser Film ist ein Must. Für alle. Er erzählt von einer Prolo-Familie, von Liebenden, von Neureichen, von Neoliberalismus, von star­ken Frauen, von ein­sa­men Männern, von Verwandtschaft: Alle gros­sen Themen der Gegenwart wer­den ver­han­delt. Shakespeare hat sich im 21. Jahrhundert offen­sicht­lich in der süd­ko­rea­ni­schen Filmindustrie nie­der­ge­las­sen. Eigentlich schockie­rend, dass selbst Hollywood dies so sieht.

 

Bild: Parasite gewinnt Bester Film, Bester fremd­spra­chi­ger Film, Bestes Originaldrehbuch, Beste Regie, Bestes Szenenbild, Bester Schnitt und schreibt Oscar-Geschichte.

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