Praxis Neumarkt III – Glückstag 2.0

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By Eva Hediger

Die Praxis Neumarkt «Glückliche Tage» eröff­ne­te am Freitagabend. In Kooperation mit «Das Magazin» war das Theaterhaus ein Wochenende lang ein Ort der Begegnung und Übung. Das Neumarkt freu­te sich nicht nur auf sei­ne Gäste. Sondern auch auf sei­nen neu­sten Streich: Den Versuch, kul­tu­rel­le Ereignisse zeit­gleich zu ver­brei­ten. «Twitterati im Theater? Wir probieren’s aus… Kommt vor­bei!» Kulturkritik kam am Samstag. Und schick­te Esther Becker, Christian Felix und mich in das Abenteuer. Rund fünf Stunden ver­such­ten wir das Glück auf Twitter zu tei­len. Die Bilanz? Durchmischt.

Emsige Glückssuche

Der Tag star­te­te mit einem Gespräch zwi­schen Schriftsteller Adolf Muschg und «Magazin»-Redaktor Thomas Zaugg. Während zwei Stunden lausch­te das Publikum einem dich­ten Gespräch, in wel­chem das Leben Muschgs sowie sein Streben nach Glück im Fokus stan­den. Trotz sei­nes hohen Alters war der Mann ein vifer und begna­de­ter Geschichtenerzähler. Nicht nur die Erfahrungen sei­ner Geschwister, son­dern auch die eige­nen Kindheitserinnerungen und das Glücksstreben in Japan wur­den kri­tisch hin­ter­fragt und anek­do­ten­reich erzählt. Während der Veranstaltung – die übri­gens den Titel «Das Glück im ganz Anderen» trug – sas­sen drei Twitterer im Saal. Unter ande­ren wur­den fol­gen­de Impressionen aus dem Saal geschickt:

«‹Wozu wer­den Leute depres­siv?›, frag­te eine japa­ni­sche Übersetzerin Adolf Muschg.»

«Die klas­si­sche Psychoanalyse passt in unse­re beschleu­nig­te Zeit nicht mehr. 3–4 St./Woche, in denen man nur sich begeg­net.»

«Ich sehe mei­nen Schatten auf dei­nem Gesicht› #adolf­muschg zur Entstehung von Feindbildern.»

«Adolf Muschg meint: ‹Das Internet wird kei­ne neue Menschen for­men.›»

Vier kur­ze Zeitzeugen einer kom­ple­xen Unterhaltung. Die Kernaussagen des Dialogs in 140 Zeichen lan­ge Statements zu pres­sen war her­aus­for­dernd. Leichter fiel die zeit­glei­che Berichterstattung am Nachmittag. Das brei­te Angebot lock­te die Besucher zuerst nur mäs­sig an. Doch in jedem steck­te ein Funken Glück: Während im «Wohnzimmer» bei der kosten­lo­sen Massage Entspannungen weg­ge­kne­tet wur­den, war­te­te Journalistin Michèle Roten auf die Beichten. Schliesslich ist nichts leich­ter als das rei­ne Gewissen. Oder? Der Programmpunkt ver­lei­te­te zumin­dest zu fol­gen­den Tweets:

«Alle wol­len beich­ten, weni­gen fällt eine Sünde ein. Das Mutter-Tochter-Gespann einigt sich auf einen Generationenkonflikt.»

«Hmm, auch beim Generationenkonflikt gelan­det im Beichtstuhl… Ob Mutter und Tochter zusam­men gebeich­tet haben?»

Mal tief­sin­nig, mal ober­fläch­lich

Ebenfalls um das per­sön­li­che Seelenleben ging es bei der Veranstaltung von Birgit Schmid. Ich sass zuerst allei­ne, spä­ter mit einer wei­te­ren Besucherin mit der Journalistin am Tisch – und dis­ku­tier­te mit ihr über Folgendes:

«Wie schön darf ein Tagebuch sein?»

«Als Teenager brauch­te ich einen ereig­nis­lo­sen Tag damit ich mit dem Aufschreiben nach­kam›, so Tagebuch-Profi Schmid.»

Zu guter Letzt besuch­te ich die Diskussion zwi­schen Architekt Markus Peters und «Magazin»-Redaktor Milos Gimes. Die zwei Männer dis­ku­tier­ten fast in Feierabendbier-Laune über Wohnen, Bauen und Glück. Und für all jene, die wie Twitter-Kollegin Esther Becker in einer ande­ren Veranstaltung sas­sen, wur­den fol­gen­de Zitate getippt:

«‹Architektur ist kein Zufall.› Aber viel­leicht ein Glücksfall?»

«Architekt Peter zu Journalist Gimes: ‹Die Wohnung muss dir gefal­len, nicht mir.›»

«‹Die Genossenschaften wur­den kor­rupt und inkom­pe­tent›, teilt Architekt Peter aus.»

Doch auch zwi­schen­durch wur­de emigs gezwisch­tert. Und so teil­ten die Twitterati auch Beobachtungen mit der Internetgemeinde:

«Kurzer Publikumscheck: Die Ausseinandersetzung mit dem Glück zeigt bereits Erfolg, die Lächeln-Quote steigt und steigt.»

«Babyglück? Die Zahl der unter 18-Monatigen ist im Neumarkt erstaun­lich hoch.»

«‹Das stört mich jetzt aber›, sagt mei­ne Sitznachbarin, als ich den Computer auf­klap­pe…»

Gegen fünf Uhr ende­te der Einsatz. Wie das Web und die Welt auf den Twitter-Event reagiert haben, bleibt abzu­war­ten. Für die Gäste waren die Twitter-Zitate ein net­ter Überblick über Gehörtes und Verpasstes. Doch eigent­lich soll­ten kul­tu­rel­le Erlebnisse ohne gros­se Ablenkung genos­sen wer­den. Dass das Natel des­halb in der Tasche bleibt, ist eigent­lich klar. Und so waren die Twitterer wie gute Fotografen: Tippten im rich­ti­gen Augenblick den Augenblick – und kon­ser­vier­ten so Aussagen, Erinnerungen und Eindrücke. Wer das Gefühl spü­ren will: Los auf Twitter und nach #PraxisNeumarkt suchen.

Source: Praxis Neumarkt III – Glückstag 2.0

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