Like Someone in Love

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Von Sonja Wenger – Vom nar­ra­ti­ven Standpunkt her gese­hen geschieht nicht viel in «Like Someone in Love», dem neu­en Film des ira­ni­schen Altmeisters Abbas Kiarostami. Die jun­ge Soziologiestudentin Akiko (Rin Takanashi) ver­dient sich in Tokio ihr Geld als Callgirl. An die­sem Abend möch­te sie jedoch nicht arbei­ten, da sie müde ist und dazu noch ihre Grossmutter sehen will, die sich gera­de in der Stadt befin­det. Derweil ver­zehrt sich ihr Freund Noriaki (Ryo Kase) vor Eifersucht und ver­sucht, sie zu kon­trol­lie­ren. Akikos «Vermittler», weni­ger ein Zuhälter denn ein distin­gu­ier­ter, ver­ständ­nis­vol­ler Geschäftsmann, kann sie den­noch davon über­zeu­gen, einen Kunden zu besu­chen, den älte­ren Schriftsteller und ehe­ma­li­gen Universitätsprofessor Takashi (der 81-jäh­ri­ge Bühnenschauspieler Tadashi Okuno).

Während der lan­gen, ein­lul­len­den Taxifahrt durch Tokios nächt­li­che Strassen hört Akiko die berüh­ren­den Handynachrichten ihrer Grossmutter ab, die ein gan­zes Spektrum aus Vorfreude, Hoffnung und Enttäuschung spie­geln. Als sie bei Takashi ankommt, behan­delt die­ser sie sehr zuvor­kom­mend und möch­te erst ein­mal gemüt­lich dinie­ren. Doch Akiko ist so erschöpft, dass sie bald ein­schläft.

Am näch­sten Tag fährt Takashi die jun­ge Frau zur Universität, wo Noriaki auf sie war­tet und ihre eine Szene macht. Takashi lässt Noriaki des­halb im Glauben, er sei Akikos Grossvater, und fährt ihn zur Arbeit. Etwas spä­ter chauf­fiert er Akiko erneut durch die Stadt, und eine warm­her­zi­ge, fast fami­liä­re Beziehung scheint sich zwi­schen den bei­den zu ent­wickeln. Takashi setzt Akiko in einem Restaurant ab, in dem sie sich mit Noriaki aus­spre­chen will. Doch kaum ist Takashi wie­der zu Hause ange­kom­men, ruft ihn Akiko an und bit­tet um Hilfe, da Noriaki die Wahrheit her­aus­ge­fun­den hat und vor Wut ent­brannt ist.

Wenig Dramaturgie mit weni­gen Figuren also, doch Kiarostamis ele­gan­ter, for­mal per­fekt gemach­ter und visu­ell hyp­no­ti­sie­ren­der Film scheint den­noch gera­de­zu mystisch durch­drun­gen von einer Fülle an unter­schied­lich­sten Ereignissen und Emotionen, die man auf den ersten Blick kaum erfas­sen kann. Jede Bildeinstellung, jedes Detail und jedes unaus­ge­spro­che­ne Wort zählt und erzählt eine eige­ne Geschichte in der Geschichte. Hinzu kommt, dass Kiarostami in der Vorstellung des Zuschauers eine kon­stan­te Erwartungshaltung und eine dif­fu­se Vorahnung kom­men­den Unheils schafft.

Doch der Bruch mit Erwartungen gehört in «Like Someone in Love» zum Konzept. Im Film fin­den char­man­te Momente genau­so Platz wie tra­gi­sche Ereignisse, und das über­ra­schen­de, ja schockie­ren­de Ende scheint nur ein wei­te­rer Anfang zu sein. Der Sinn der Geschichte bleibt dabei unbe­ant­wor­tet, so, als gehe es weni­ger dar­um Ereignisse abschlies­send zu erzäh­len, denn erst ein­mal vie­le Fragen zu stel­len. Etwa was pas­siert, wenn wir jeman­den neu ken­nen­ler­nen. Wie kön­nen wir wis­sen, wer jemand wirk­lich ist? Worauf basie­ren unse­re Gefühle, unse­re Handlungen? Und wie fin­den Menschen in einer Welt, in der so vie­le von­ein­an­der getrennt sind, wie­der zuein­an­der?

«Like Someone in Love» ist eine fas­zi­nie­ren­de, fei­ne Charakterstudie zu die­sen Fragen und dar­über hin­aus: Weniger ein Film denn eine medi­ta­ti­ve Betrachtung des ein­sa­men urba­nen Lebens, mit einem tie­fen Verständnis für die mensch­li­che Seele und aus­ge­stat­tet mit umwer­fen­den Bildern, in denen Akikos rote Lippen ihr gan­zes Leben zu erzäh­len ver­mö­gen.

«Like Someone in Love», Frankreich / Japan 2012. Regie: Abbas Kiarostami. Länge: 109 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, März 2013

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