EDITORIAL Nr. 135: Das Paradies ist nicht mehr

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Von Lukas Vogelsang – Nach der haar­sträu­ben­den Abstimmung über die Einwanderungsinitiative rei­ben wir uns die Augen. Während es ver­meint­li­che Sieger geben soll, die mit nur 0.3 % Plusstimmen eine der erbärm­lich­sten Abstimmungen der letz­ten Jahre über­haupt für sich gepunk­tet haben, steht die Schweiz vor einem Scherbenhaufen. Sicher, man kann alles wie­der kor­ri­gie­ren – nichts ist für die Ewigkeit gemeis­selt. Allerdings hin­ter­lässt jede Bewegung, die wir Menschen tun, einen Schatten oder Spuren. Und es ist reich­lich kühl und ungast­lich gewor­den hier in der Schweiz.

Aber wer jetzt meint, dass nur die SVP oder eben «die Anderen» das «Problem» sind, der täuscht sich. Keine Partei hat es geschafft, mit einem Programm zu über­zeu­gen, wel­che ein sol­ches Szenario hät­te ver­mei­den kön­nen. Es gibt kei­ne Sieger bei Abstimmungen – das ist einer der gröss­ten Denkfehler in der Politik. Es gibt immer nur das «Miteinander», das Gemeinsame – eine gemein­sa­me Schweiz. Wer meint, eine bes­se­re SchweizerIn zu sein, als die Andersdenkenden, schliesst aus und ver­bannt ande­re aus dem «Paradies». Die Tragödie ist ja eben, dass die­se «Unmenschlichkeiten» jeweils aus den Lagern kom­men, wo «alles noch ist, wie es mal war», oder so ist, wie es nur eini­ge Menschen haben möch­ten. Das «Paradies» als ego­zen­tri­scher Ort, iso­liert, ungast­lich, abstos­send, sozi­al abge­schot­tet – ein paar weni­ge gegen den Rest der Welt. Wir ken­nen das bereits von den Diskussionen über Bereicherungsexzesse, wel­che mit der Bankenkrise auf­ge­taucht sind. Wir ken­nen sie aus den Weltkriegen, aus den Religionskriegen, aus den Stammeskriegen und so wei­ter. Selbst der Nachbarschaftsstreit wegen einem Gartenzaun oder das Getrampel vom Nachbarn über uns stö­ren die­se indi­vi­du­el­len Reviere. Doch so ist das «Paradies» defi­ni­tiv nicht gemeint – unser Ansatz ist falsch: Das Paradies schliesst sicher nicht aus, macht die Grenzen sicher nicht zu, und es gibt kein Paradies nur für Einzelne.

Kein Paradieszustand herrscht auch in der Berner Kulturszene. Allerdings nicht bei jenen, wel­che mehr Geld for­dern müss­ten. Seit dem «Kulturhearing» von der Abteilung Kulturelles im Januar, wel­ches ziem­lich scho­nungs­los mit einem Anti-Konfliktprogramm und einem durch­or­ga­ni­sier­ten Abend alles mund­tot mach­te, steht die gesam­te Berner Kulturszene vor einem Rätsel: Nicht die Politik, nicht das Publikum, nicht kon­kur­rie­ren­de VeranstalterInnen – nicht mal das feh­len­de Geld – sind das Hauptproblem gewor­den, son­dern die Abteilung Kulturelles, nament­lich Veronica Schaller, die noch amtie­ren­de Kultursekretärin. Da wer­den Entscheidungen über Geldkürzungen getrof­fen, gan­ze Festivals weg­ge­stri­chen, ohne die betrof­fe­nen Institutionen vor­her zu infor­mie­ren. Da wird die Bauzeit der Stadttheaterrenovation unter lächer­li­chen Vorwänden von zwei auf drei Jahre ver­län­gert: «Wegen des ursprüng­li­chen, engen Zeitplans, hat es zu wenig Konkurrenz zwi­schen den Anbietern gege­ben. Die Offerten aus der ersten Ausschreibung zur Bühnentechnik lagen dadurch deut­lich über den kal­ku­lier­ten Kosten.» – Wir sind nicht dumm: Man wuss­te dies bereits letz­ten Sommer, noch vor der kan­to­na­len Abstimmung. Dafür gibt es Reglemente. Der Stadtpräsident, die Abteilung Kulturelles und die Beteiligten haben sich gemein­sam die­se Hintertüre gebaut, um das feh­len­de Geld für die Renovation zu erschlei­chen. Zudem wer­den durch die 3‑jährige Bauzeit dem Stadttheater eini­ge Einnahmen feh­len, und es wird zusätz­li­ches Geld for­dern müs­sen – das ist jetzt schon klar. Die Ersatzspielorte decken kaum das durch­schnitt­li­che BesucherInnen-Aufkommen. Deswegen müs­sen die rest­li­chen Kulturinstitutionen und die Kulturschaffenden Federn las­sen, damit die­ses Loch gestopft wer­den kann – denn die Politik hat bereits signa­li­siert, dass sie nicht mehr Geld geben wird.

Die Situation ist gro­tesk gewor­den: Die Kulturschaffenden müss­ten sich gegen den Subventionsgeber stel­len, um sich Gehör zu ver­schaf­fen und um ihre Unzufriedenheit kund zu tun. Doch genau das geht durch die finan­zi­el­len Abhängigkeiten nicht, und bela­stet die Gespräche um die neu­en Vertragsperioden. Und die­se sind nicht ohne: Es exi­stie­ren Subventionsverträge, die haar­sträu­bend unfair sind und von der Abteilung Kulturelles bewusst so aus­ge­han­delt wur­den. Andere Institutionen wie­der­um erhal­ten Geld, wie wenn Frau Holle Dauer-win­ter hät­te. Ein undurch­sich­ti­ges Chaos mit undurch­sich­ti­gen Regeln. Und die­sel­ben Verantwortlichen schrei­ben jetzt noch die Kulturstrategie für die näch­sten vier Jahre ab 2016.

Das Paradies ist nicht mehr. Bern glänz­te noch vor weni­gen Jahren mit einer bro­deln­den und leben­di­gen Kulturszene. In nur 10 Jahren haben wir vie­le Engagements bereits ver­lo­ren. Natürlich, wir kön­nen so wei­ter­fah­ren. Momentan sind wir auf gutem Weg, alles zu ersticken. Kein Wunder also, wenn das Publikum nicht mit­zieht.

Infos: www.kulturkonferenz.ch

 


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 135, März 2014

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