Direktionsstelle zu beset­zen

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Von Fabienne Naegeli – Gesucht wird «ein Arschloch, das nach aus­sen ein guter Mensch ist»: Für die Führung unse­res Hauptsitzes und der Tochtergesellschaften im Ausland suchen wir einen offe­nen, belast­ba­ren, dis­zi­pli­n­über­grei­fend und unter­neh­me­risch den­ken­den sowie inno­va­ti­ven Marketing Direktor. Als aus­ge­wie­se­ne Führungspersönlichkeit wis­sen Sie einen inter­na­tio­nal agie­ren­den Grosskonzern eigen­stän­dig und gewinn­brin­gend zu lei­ten. Sie über­neh­men die Verantwortung für eine Gruppe mit aner­kann­ten, wett­be­werbs­fä­hi­gen Produkten und einer erfolg­rei­chen, glo­ba­len Marktstellung. Gemeinsam mit einem star­ken, ambi­tio­nier­ten Team set­zen Sie alles dar­an, für unse­re Kunden ein attrak­ti­ves Angebot zu gestal­ten. Sie koor­di­nie­ren, orga­ni­sie­ren und ver­han­deln, set­zen Gruppenstrategien um und ver­ant­wor­ten ein kon­ti­nu­ier­li­ches Wachstum in neu­en und bestehen­den Märkten. Mit Ihren Entscheiden und Massnahmen gewähr­lei­sten Sie den finan­zi­el­len Erfolg der Gruppe und sichern zukünf­tig ent­schei­den­de Marktvorteile.

Das zweit­gröss­te Unternehmen der Welt, der schwe­di­sche Möbelkonzern «Dekia», sucht einen Marketing Direktor. Mit Hilfe der «Grönholm-Methode», einem Auswahlverfahren in Form eines Assessment Centers, ent­wickelt vom Chefpsychologen der Firma, soll der geeig­net­ste Mitarbeiter für den mul­ti­na­tio­na­len Konzern gefun­den wer­den. Dabei han­delt es sich um eine Reihe von Tests, bei wel­chen mit zuneh­mend zynisch, men­schen­ver­ach­tend und kom­pro­mit­tie­rend wer­den­den Rollenspielen die psy­cho-phy­si­sche Leistungsfähigkeit und Führungskompetenz der Bewerber beur­teilt wird. So sucht man einen wil­lens­star­ken, domi­nan­ten, in Extremsituationen ent­schei­dungs­fä­hi­gen Manager zu ermit­teln, der skru­pel­los und aus­sen­wirk­sam erfolg­reich den Anschein von sozia­ler Kompetenz und Einfühlungsvermögen erweckt. In einem grau­en, mit Hometrainer und Terrarium aus­ge­stat­te­ten Konferenzraum tref­fen drei Männer in Anzügen mit Aktenkoffer – Fernando Porta, Enrique Font, Carlos Bueno – sowie eine in rot geklei­de­te Frau, Mercedes Degás, in der alles ent­schei­den­den, letz­ten Bewerbungsrunde auf­ein­an­der. Doch nur einer wird den heiss­be­gehr­ten, mit Prestige, Macht und hohem Gehalt aus­ge­stat­te­ten Posten krie­gen. Die Stimmung ist ange­spannt und bedrückend, die Kandidaten ner­vös. Zu ihrem Erstaunen kommt nie­mand, der sie befragt oder prüft, son­dern wie von unsicht­ba­rer Hand öff­net sich plötz­lich eine Klappe, die einen Umschlag ent­hält. Bereits die erste Aufgabe sät Misstrauen unter den Vieren. Ein Vertreter der Personalabteilung soll sich unter ihnen befin­den, den es zu ent­tar­nen gilt. Ohne Hilfe von aus­sen und über die Ziele und Erwartungen, mit wel­chen die Anweisungen gestellt wer­den, im Unklaren gelas­sen, muss sich jeder ein­zel­ne bewäh­ren. Jetzt gilt es, Wahrheit und Lüge, Schein und Sein auf­zu­decken. Wer nicht mit macht, schei­det aus, so die Spielregel. Ganz nach der Hobbes‘schen Sicht – «Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf» – beginnt der uner­bitt­li­che Konkurrenzkampf in der moder­nen Gladiatoren-are­na. Wie weit gehen die ehr­gei­zi­gen Bewerber? Wie viel Selbstachtung opfern sie? Jeder stellt jeden unter Verdacht. Zweifelhafte Koalitionen ent­ste­hen. Mit tak­ti­schem Verhalten und fal­schen Fährten ver­su­chen sie sich Vorteile zu ver­schaf­fen, ihre Gegner zu täu­schen und aus­zu­schal­ten. Über jeden noch so klei­nen Triumph freut man sich. Doch, ist über­haupt ego­isti­sches Durchsetzungsvermögen gefragt, oder wol­len die Personalverantwortlichen Teamwork sehen? Um das Auswahlverfahren vor­an­zu­trei­ben, wer­den inti­me Informationen aus dem Privatleben der Kandidaten bloss­ge­legt und per­sön­li­che Schwächen sowie fami­liä­re Verhältnisse auf­ge­deckt. Mit mora­lisch frag­wür­di­gem Verhalten, ohne Empathie, Respekt oder Mitleid und immer im Schutze der aus­ser­or­dent­li­chen Situation, han­delt die zukünf­ti­ge Führungselite am Rande des ethisch Vertretbaren. Alles ist Fassade. Gezwungen zu erbärm­li­chen Auftritten trei­ben sie ihre Konkurrenten an deren psy­chi­sche Grenzen und pro­vo­zie­ren Gefühlsausbrüche bis zur Vernichtung des Rivalen. In der amü­san­ten Inszenierung des Briten Robin Telfer zeigt das Theater Biel-Solothurn das sehr aktu­el­le, gesell­schafts­kri­ti­sche Drama des kata­la­ni­schen Autors Jordi Galceran, der in sei­ner Wirtschaftssatire «Die Grönholm-Methode» mit viel Zynismus und einer über­ra­schen­den Schlusswendung den aggres­si­ven, kapi­ta­li­sti­schen Arbeitsmarkt und sei­ne wür­de­lo­sen, aso­zia­len Mechanismen ana­ly­siert.

Foto: Edouard Rieben
ensuite, Februar 2012

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