Der Fels. Das Fest. Der Fluss.

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Von Beat Sterchli – Mit «Das Matterhorn ist schön» und «Nach Addis Abeba» habe ich in den letz­ten Jahren zwei Palavertexte für die Bühne geschrie­ben, die zwar sehr gut umge­setzt und auch gut auf­ge­nom­men wur­den, die aber durch die begrenz­ten per­so­nel­len Möglichkeiten beim Profitheater an ihre Grenze sties­sen. Ich hät­te ger­ne gros­se Gruppen, ja gan­ze Abendgesellschaften gese­hen und jenen schal­len­den Schwall von Stimmen gehört, der einem manch­mal beim Betreten einer beleb­ten Kneipe ent­ge­gen­schlägt. Ich lie­be es, wenn eif­rig gere­det, gespro­chen, geschnat­tert, geschnö­det, gestrit­ten und gelacht wird, denn der dadurch ent­ste­hen­de Hall ist rei­ne Musik in mei­nen Ohren. Oder gibt es, egal ob man es ver­steht oder nicht, etwas Schöneres als das spre­chen­de Hin und Her zwi­schen Menschen, das uns ja eigent­lich wie sonst nichts zu Menschen macht? Mehr als ein hal­bes Dutzend Stimmen lie­gen da aber aus Kostengründen kaum drin.

Umso glück­li­cher stürz­te ich mich auf die Chance, für die Theatergruppe Burgdorf, das heisst, für eine gros­se Gruppe von min­de­stens fünf­zehn Amateuren etwas machen zu dür­fen.

Die Herausforderung war natür­lich, die­ses Potenzial zu nut­zen.

Als erstes besann ich mich auf «Das Naheliegende», mei­ne all­ge­mei­ne Devise gegen unse­re weit­läu­fi­ge und fah­ri­ge Zeit. Das bedeu­te­te, dass sich die Theatergruppe selbst als Thema anbot. Mit Hilfe von auf­ge­zeich­ne­ten Interviews woll­te ich alle ihre Mitglieder in ihrer eige­nen Sprache zu Wort kom­men las­sen. Und zwar in allen mög­li­chen Sprachen. Ich woll­te Stimmen hören und die­sen Stimmen Raum geben, und ich woll­te sehen, wo sie mich hin­führ­ten. Ich woll­te nichts sel­ber schrei­ben, und schon gar nicht woll­te ich etwas erzwin­gen. Als ich bei einer Vorbesprechung her­aus­hör­te, dass es in der Gruppe auch gehei­me Rollenwünsche gab, ver­such­te ich erst dar­auf ein­zu­ge­hen. Ich zen­trier­te mei­ne Fragen also rund um das Theaterspielen, gewahr­te aber schon bei den ersten Gesprächen, dass ich sehr wohl viel Spannendes über die Theatergruppe und ihre Geschichte erfuhr, dass mir aber auch sehr viel über das Leben heu­te in einer klei­nen mit­tel­län­di­schen Stadt ver­mit­telt wur­de. Da begann für mich das Abenteuer.

Ich emp­fand es zumeh­mend als Geschenk, eine gan­ze Gruppe von Leuten ken­nen­zu­ler­nen, die unter­schied­li­cher nicht sein könn­ten, die aber alle die­se Leidenschaft für das Theaterspielen tei­len. In weit über zwan­zig, teils mehr­stün­di­gen Interviews ver­such­te ich her­aus­zu­hö­ren, was sie umtrieb, was sie lieb­ten, was sie beschäf­tig­te.

Sie äus­ser­sten sich sehr unter­schied­lich, vie­le ent­pupp­ten sich als gebo­re­ne Erzähler, ande­re hiel­ten sich zurück, schau­ten sich selbst über die Schulter, lies­sen nur sehr vor­sich­tig per­sön­li­che Aspekte ein­flies­sen. Aber ich erkann­te bald, dass auch sol­che Haltungen erstens dazu­ge­hör­ten und zwei­tens im Nebeneinander thea­tra­lisch sein wür­den. Schon bald schweb­ten mir büh­nen­ge­rech­te Wimmelbilder vor, Figuren, das heisst Menschen, erkenn­ba­re, weil nahe Menschen, die sich par­al­lel zu ihrem Alltag und ihrer Passion für das Theater äus­ser­ten. Ich sah sie neben­ein­an­der ste­hen und erzäh­len, ich sah und hör­te ihre Eigenheit, ich sah auch die Vielfalt in der Einheit.

Schon wäh­rend der Interviews dach­te ich oft, es müss­te für einen schö­nen Abend in Casino rei­chen, wenn sich die­se Leute ein­fach einen Stuhl schnapp­ten, sich irgend­wo am Bühnenrand hin­setz­ten und dem Publikum erzäh­len wür­den, was sie mir erzähl­ten. Es waren kei­ne weit­her­ge­hol­ten Geschichten, es waren oft nicht mal Geschichten, son­dern per­sön­li­che Einschätzungen, Stellungnahmen, aber in allen Gesprächen erkann­te ich neue Aspekte, wie­der-um ande­re Sichtweisen auf die­se mit­tel­län­di­sche und mit­tel­stän­di­sche Stadt, die mir immer wie­der noch neue Seiten offen­bar­te und die mir zuneh­mend modell­haft vor­kam. Manchmal kam ich mir vor, als horch­te ich an der Tür von der schwei­ze­ri­schen Stadt der Städte.

Es ist nicht Mord- und Totschlag, es sind nicht gigan­ti­sche sexu­el­le Ausschweifungen, die den mit­tel­län­di­schen Alltag im Jahre des Herren 2009 prä­gen. Wohl schiebt sich auch hier wie über­all mehr oder weni­ger tabui­siert der Tod ins Bild, aber es sind eher die klei­nen Freuden, klei­nen Abneigungen, eigent­lich eben eher Alltäglichkeiten, die den Alltag prä­gen, die sich des­we­gen aber noch lan­ge nicht dem Theater ver­wei­gern müs­sen. Ich war über­zeugt, dass allei­ne durch die Überhöhung auf der nicht sehr gros­sen, aber sehr hohen Guckkastenbühne im Casino Burgdorf, sich die Poesie der indi­vi­du­el­len Ausdrucksweise voll ent­fal­ten wür­de und die klein­ste Geste, und das unschein­bar­ste Wort, die im son­sti­gen Tosen der Reizüberflutung unter­ge­hen wür­den, durch die Schauspieler jenes Gewicht und jene Bedeutung erlan­gen wür­den, die ich in ihnen erkannt hat­te.

Wie das vor Premieren von Uraufführungen so sein kann, hat mei­ne Begeisterung für die­ses Projekt, mei­ne gan­ze Zuversicht, etwas Besonderes geschaf­fen zu haben, der Angst, es könn­te auch den Bach run­ter­ge­hen, Platz gemacht. Pötzlich erin­ne­re ich mich dar­an, dass im Theater mitt­ler­wei­le neue Rezeptionsgesetze vor­herr­schen, die sich nur sehr beschränkt mit mei­nen Anliegen ver­ein­ba­ren las­sen.

Aus dem Fernsehen bekann­te Köpfe, für die man teu­res Geld bezahlt und die man schon so oft bis in die gute Stube hin­ein am eige­nen Leben hat teil­ha­ben las­sen, die­sen kann gar nicht anders als mit Begeisterung und viel Applaus begeg­net wer­den. Aber dem Unvertrauten? Dem stil­len, viel­leicht sogar lang­sa­men Stück, das nach sei­ner eige­nen Gesetzmässigkeit sucht und sich jedem gän­gi­gen Erkennungsschema ver­wei­gert, sich nichts­de­sto­trotz poe­tisch, lebens­nah und mit die­ser gros­sen Besetzung auch thea­tra­lisch wähnt? Mittlerweile habe ich schon min­de­stens eine schlaf­lo­se Nacht hin­ter mir, in der Befürchtung, den gän­gi­gen Erwartungen zu wenig ent­spro­chen zu haben, viel­leicht mit mei­nen Ideen sogar den Vertrag, der dem Auftrag zu Grunde liegt, nicht erfüllt zu haben. Hätte ich doch den Schauspielern die Möglichkeit gebo­ten, ganz ande­re Menschen sein zu dür­fen! Tragische Helden und komi­sche Käuze, durch­trie­be­ne Luder und hin­ter­li­sti­ge Kotzbrocken! Hätte ich dafür gesorgt, dass die Schaupieler glän­zen und tri­um­phie­ren kön­nen und dass sich das Publikum auf die Schenkel klop­fen, krüm­men kann vor Lachen und mora­lisch tri­um­phie­ren darf! Stattdessen fin­det auf der Bühne nun nur eine Rückführung statt. Eine Rückführung in die Realtät einer sehr rüh­ri­gen Theatergruppe in einer sehr schö­nen klei­nen Stadt im Mittelland, wo ich immer­hin zu mei­nem Trost, durch mei­ne Arbeit auch ziem­lich hei­misch gewor­den bin.

Es ist wahr­lich nicht ein­fach, sich über eine eige­ne Arbeit aus­zu­las­sen, noch ehe sie zu Ende gebracht ist. Ich habe dies hier nur getan aus Dankbarkeit für die Gruppe, die mir das Vertrauen geschenkt hat. Obschon ich mitt­ler­wei­le befürch­ten muss, dass Vertrauen miss­braucht zu haben. Die Zweifel ein Monat vor der Premiere sind gigan­tisch und die Anforderung an den Autor, in die­ser Situation auch noch dar­über zu schrei­ben, ist schwie­rig, um ihr mit Gelassenheit zu begeg­nen.

«Der Fels. Das Fest. Der Fluss.»
Casino Theater Burgdorf: Premiere 22. Januar
Infos: www.theaterburgdorf.ch
www.beatsterchi.ch

Foto: zVg.
ensuite, Januar 2010

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