Carnage – Der Gott des Gemetzels

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Von Sonja Wenger – Nein, am Ende lie­gen nicht alle hin­ge­met­zelt in ihrem Blut, wie es der Titel von Roman Polanskis neu­em Film «Carnage – Der Gott des Gemetzels» viel­leicht ver­mu­ten lies­se. Doch am Ende die­ser bis­si­gen Gesellschafts-Satire, die­ses genau­so ent­lar­ven­den wie wit­zi­gen Dramas, lie­gen die Nerven der Figuren blank, sind die Gefühle bis auf die Knochen ent­blösst, und sind alle Masken der Zivilisation her­un­ter­ge­ris­sen.

Polanski scheint nach sei­nem erfolg­rei­chen Politthriller «The Ghostwriter» von 2010 wei­ter­hin in guter Form zu sein. Sein neu­ster Wurf ist die Verfilmung von Yasmina Rezas gleich­na­mi­gem Theaterstück, das 2006 am Schauspielhaus Zürich urauf­ge­führt wur­de, und das bereits heu­te zu einem der erfolg­reich­sten Stücke der let­zen Jahrzehnte zählt. Die fran­zö­si­sche Dramatikerin Reza, die seit über fünf­zehn Jahren mit ihren Stücken «Kunst» oder «Drei mal Leben» eine der meist gespiel­ten Theaterautorinnen unse­rer Zeit ist, hat zusam­men mit Polanski auch gleich das Drehbuch geschrie­ben.

Für die Verfilmung wur­de die Geschichte von Paris nach New York ver­setzt, und im Vergleich zur eng­li­schen Übersetzung des Stücks wur­den noch ein­mal die Namen geän­dert. Sie beginnt damit, dass die bei­den elf­jäh­ri­gen Jungs Zachary und Ethan im Park anein­an­der gera­ten und Zachary dabei Ethan mit einem Holzstock ins Gesicht schlägt. Zacharys Eltern Nancy und Alan Cowan (Kate Winslet und Christoph Waltz) tref­fen sich dar­auf­hin mit Ethans Eltern Penelope und Michael Longstreet (Jodie Foster und John C. Reilly) in deren Wohnung, um den Fall zu bespre­chen. Penelope und Michael signa­li­sie­ren, dass sie die Sache güt­lich und wenn mög­lich zwi­schen den Jungs sel­ber gelöst haben wol­len, kön­nen aber einen vor­wurfs­vol­len und bes­ser­wis­se­ri­schen Unterton nicht ver­mei­den. Nancy und Alan geben sich erst schuld­be­wusst und ein­len­kend, wer­den durch Penelopes Prinzipienreiterei und ätzen­de Ironie aber stets aufs neue pro­vo­ziert.

Die immer aggres­si­ver wer­den­de Diskussion wird kon­stant unter­bro­chen durch Alan, der in sei­ner Funktion als Anwalt eines Pharmakonzerns am Handy laut­stark ver­sucht, einen dro­hen­den Medikamentenskandal in den Griff zu bekom­men, sowie durch Anrufe von Michaels Mutter, die gera­de im Spital ist. Nach und nach tre­ten gegen­sei­ti­ge Vorwürfe und per­sön­li­che Enttäuschungen in den Vordergrund. Die Koalitionen wech­seln dabei paar­über­grei­fend. Eine Flasche aus­ge­zeich­ne­ten schot­ti­schen Whiskeys trägt das ihre dazu bei, dass die Situation ent­gleist und sich alle in einem Streit erge­hen, bei dem nie­mand recht hat und nie­mand gewin­nen kann. Nur Alan fühlt sich schluss­end­lich in sei­ner Meinung bestä­tigt: Er habe immer an den Gott des Gemetzels geglaubt, der stets gewinnt und sei­nen Tribut for­dert.

Polanskis Inszenierung lässt die Geschichte in Echtzeit spie­len und sein Motto hat dies­mal wohl gelau­tet: In der Kürze liegt die Würze. Tatsächlich ist eine Filmlänge von unter zwei Stunden heut­zu­ta­ge sel­ten, was dem Filmvergnügen und dem Unterhaltungswert von «Carnage» aller­dings kei­nen Abbruch tut. Im Gegenteil: Der Film wirkt wie eine leicht­füs­si­ge Fingerübung des Regisseurs, der sei­ne Hauptaufgabe dar­in zu sehen scheint, der durch eine gewis­se Exzentrik bestechen­den, aber exzel­len­ten Besetzung so viel Raum und Luft für ihre schau­spie­le­ri­schen Leistungen zu geben wie mög­lich.

Die dich­te, viel­schich­ti­ge und bis in die klein­sten Details hoch­in­tel­li­gen­te Vorlage von Reza steht zudem für sich selbst und kommt ohne Wischiwaschi aus. In «Carnage» ist alles zu fin­den, was es für eine enorm kurz­wei­li­ge, durch­aus humor­vol­le und äus­serst berüh­ren­de Unterhaltung braucht: ver­letz­te Gefühle, mas­sa­krier­ter Stolz, ent­täusch­te Lebenspläne, über­trie­be­ne Moralvorstellungen, gesell­schaft­li­che Normen und ein erlö­sen­der Befreiungsschlag der Ehrlichkeit – mit wel­chen Mitteln auch immer erkämpft.

«Carnage». Frankreich//Deutschland/Polen 2011. Regie: Roman Polanski. Länge: 79 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2011

 

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