Bomben und Wahlen

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Von Patrik Etschmayer - Während am sieb­ten Mai alle Welt ziem­lich atem­los wegen der Präsidentschaftswahl auf Frankreich starr­te, hielt die nord­deut­sche Stadt Hannover etwas ande­res in Atem: Es soll­ten ver­mu­te­te fünf eng­li­sche Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg ent­schärft wer­den. Am Ende waren es nur drei: zwei zu 500 Kilogramm und eine zu einer Tonne.

Die bei­den Ereignisse hat­ten ober­fläch­lich gese­hen natür­lich nichts mit­ein­an­der zu tun. Hier über 70-jäh­ri­ge Relikte eines stra­te­gisch zwei­fel­haf­ten Luftkrieges gegen ein Terrorregime, dort eine demo­kra­ti­sche, fried­li­che, rich­tungs­wei­sen­de Abstimmung in einer der älte­sten Demokratien der Welt.

Und doch gab es sehr wohl Zusammenhänge – denn in Frankreich stand eine Kandidatin zur Wahl, deren poli­ti­sche Ideale sehr wohl auf den Boden gepasst hät­ten, auf den die­se Bomben gefal­len waren.

Es ist üblich, dass man von rechts nie­der­ge­schrien wird, wenn man aus Gründen des Friedens für die EU und gegen Isolationismus ist: Das kön­ne man doch nicht ver­glei­chen, die Zeiten sei­en völ­lig ande­re und heu­te kön­ne es kei­nen Krieg mehr geben – man sei auch ohne EU der­mas­sen mit­ein­an­der ver­bun­den, dass an einen Krieg nicht zu den­ken sei.

Das war Europa aber schon zuvor. Jedes Mal, wenn vom Vorfeld der bei­den letz­ten Weltkriege berich­tet wur­de – vor allem aber von dem des Ersten – war davon die Rede, wie ver­bun­den und sicher Europa damals schien. Wie ver­nünf­tig die Nationen mit­ein­an­der umge­gan­gen waren, ja sogar die gemein­sa­me Währung auf dem Goldstandard war schon – nicht de jure, aber de fac­to – Realität. Und trotz­dem soll­te das alles innert weni­ger Jahre, ja Monate, abglei­ten in das gröss­te Schlachten und Metzeln, das die Menschheit bis dahin je gese­hen hat­te.

Über die Ursachen – wie auch über jene des Zweiten Weltkriegs – lässt sich mit Historikern treff­lich strei­ten, doch zuvor­derst war defi­ni­tiv das Voranstellen von natio­na­len Interessen vor alle ande­ren, zusam­men mit der uner­schüt­ter­li­chen Überzeugung auf allen Seiten, dass die eige­ne Nation und das eige­ne Volk bes­ser, die Menschen in ande­ren Nationen min­der­wer­tig sei­en. Und dies aus rein patrio­ti­schen und in der Folge dann auch ras­si­sti­schen, also frei erfun­de­nen Gründen her­aus. Die Fliegerbomben bewei­sen die­sen Schwachsinn auf tra­gi­sche Weise: Die Briten, die sich durch die Verheerungen in London und Coventry nicht in die Knie zwin­gen lies­sen, mein­ten, die Deutschen mit Bomben in die Knie zwin­gen zu kön­nen, weil die­ses Volk mora­lisch dem eige­nen unter­le­gen sei.

Solche Ansichten lun­gern in uns allen drin. Und je weni­ger ech­ten Grund für Nationalstolz es gibt, desto lau­ter wer­den die­se geäus­sert. In einem Land am wirt­schaft­li­chen und natio­na­li­sti­schen Abgrund – wie der Türkei – wer­den ultra-natio­na­li­sti­sche Slogans so laut geru­fen, dass sie alle ande­ren Stimmen, die noch nicht zum Schweigen gebracht wor­den sind, über­tö­nen und ver­stum­men las­sen.

Diese Ideen sind die Ideen des fau­len Geistes. Es gibt natür­lich Dinge, die stolz machen kön­nen. Nämlich jene, die müh­sam zu errei­chen sind. Eine Gesellschaft, die sich die Mühe nimmt, Fremde zu inte­grie­ren und gleich­zei­tig die eige­nen Werte zu ver­mit­teln, hat defi­ni­tiv mehr Grund, stolz auf sich zu sein, als eine, die es nicht ein­mal schafft, allen hei­mi­schen Kulturen Respekt zu zol­len. Ein Land, das sich sowohl den guten als auch den schlech­ten Seiten sei­ner Vergangenheit stellt, hat mit Sicherheit mehr Grund auf Nationalstolz als eines, das ver­gan­ge­ne Schandtaten abstrei­tet oder gar schön­re­det. Einfach zu schrei­en, dass man bes­ser sei als die ande­ren, ist nichts ande­res, als ein fau­les Sich-sel­ber-Belügen.

Die angeb­li­che, gröss­ten­teils rein erfun­de­ne Volksidentität, das selbst­zu­frie­de­ne Sein im eth­nisch gesäu­ber­ten Vorgärtchen, ist aber für die Faulen – und die mei­sten von uns genies­sen es doch, manch­mal rich­tig schön faul sein zu kön­nen – die per­fek­te Daseinsform. Sie ver­langt kei­ne Fragen, kein Forschen, kein Ergründen und schon gar kei­ne Selbstkritik. Schuld sind IMMER die ande­ren. Diese fünf Worte fas­sen eigent­lich alle rechts­na­tio­na­len Bewegungen zusam­men. Alles ande­re ist über­flüs­si­ges Beiwerk, das vom wah­ren Wesen ablenkt.

Und genau­so wie die Nazis behaup­te­ten, dass alle ande­ren gegen sie sei­en, dass sie sich von Anfang  an nur ver­tei­di­gen muss­ten gegen die nied­ri­gen Untermenschen im eige­nen Land und um sie her­um, gegen die bösen Juden etc. pp., genau­so ist jetzt die Verteidigung gegen alles Undeutsche/-fran­zö­si­sche/-eng­li­sche ange­sagt. Und man darf nicht ver­ges­sen, dass auch die Nazis am Anfang nicht ernst genom­men wur­den – die heu­ti­gen Rechtspopulisten nicht ernst zu neh­men, wäre ein­ge­denk die­ser Tatsache min­de­stens grob fahr­läs­sig – ein Blick in die USA soll­te Beweis genug sein.

Kann man daher behaup­ten, dass die Machtergreifung von Rechtspopulisten wie­der zu Kriegen füh­ren könn­te? Oder ist die Befürchtung, wie vie­le, die mit die­sen Parteien sym­pa­thi­sie­ren, fin­den, über­trie­ben? Vermutlich eben nicht. Denn links- und rechts­po­pu­li­sti­sche Systeme sind kor­rup­ter und inef­fi­zi­en­ter als alle ande­ren Systeme. Der Ideologiedünkel die­ser antie­li­tär auf­tre­ten­den Parteibuchfetischisten ist näm­lich gigan­tisch, und wäh­rend nach aus­sen Egalität und Unbestechlichkeit pro­pa­giert und allen ande­ren Korruption und Vetternwirtschaft vor­ge­wor­fen wird, wuchern die­se hin­ter den Kulissen zu einem undurch­dring­li­chen Dschungel her­an. Seien dies nun Regimes in Russland, der Türkei, Venezuela oder auf den Philippinen, in den USA oder Polen – sobald die Kontrollmechanismen eli­mi­niert sind, wird geklaut, zuge­schu­stert und geschmiert, was das Zeug hält. Was bei den Nazis der Fall war, trifft auch heu­te wie­der zu. Der Ausweg ist irgend­wann nur noch ein Krieg. Sei es, um von der eige­nen Unfähigkeit abzu­len­ken, so wie es die Russen in der Ukraine machen, oder um eine Wahl zu gewin­nen, wie Erdogan in den Kurdengebieten. Das Risiko ist ein­fach, dass das irgend­wann schief­geht und genau­so, wie der letz­te Versuch Hitlers, sei­ne Staatskasse im Ausland zu fül­len, in Polen in die Hose ging (in Österreich und der Tschechoslowakei hat­te es ja geklappt), könn­te so ein Stunt auch heu­te wie­der zu einem Flächenbrand wer­den. Es ist schon bei Weitem zu gefähr­lich, was jetzt an den Rändern Europas läuft.

Dass unter­des­sen sogar in Frankreich ein Drittel der Wähler die­sen Wahnsinn über die Wahlurne ein­la­den will und er an ande­ren Orten gar eine Mehrheit gefun­den hat, soll­te einen erzit­tern las­sen.

Es wäre jetzt hilf­reich, wenn die demo­kra­ti­schen Parteien sich dar­an erin­nern wür­den, dass es um mehr geht als um eine Legislaturperiode, und sie sich end­lich wie­der dar­auf besin­nen wür­den, dass ein klein-klei­nes Geschachere um ein wenig Prestige und das Bedienen eige­ner Klientel das Letzte ist, was wir heu­te brau­chen, denn genau die­ses die Welt ver­ges­sen­de Politgeschachere macht die Rechtspopulisten vor dem Hintergrund von Wirtschafts- und Gesellschaftskrisen erst gross.

Obwohl. Vielleicht fin­det es ja irgend­wer eine gute Idee, wenn in einem hal­ben Jahrhundert die Blindgänger des gros­sen Krieges von 2025 ent­schärft wer­den müs­sen. In dem Fall: ein­fach wei­ter so.

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