Geballte Zerbrechlichkeit

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Die Tür schwingt auf. Von Kopf bis Fuss in Lack und Leder geklei­det betritt Eisa Jocson die Shedhalle der Roten Fabrik und über­flu­tet die­se unver­züg­lich mit Reizen. Festen Schrittes mar­schiert sie in die Mitte des Raumes, dort umzin­gelt von Blickenden, die sie selbst kei­nes Blickes wür­digt. Das Klacken ihrer Plateauschuhe auf dem Boden prallt von den Wänden ab und erlaubt neben sich kein wei­te­res Geräusch. Stolz und schön domi­niert Eisa Jocson ganz und gar.

Innerhalb wenig­ster Augen- oder viel­mehr Gaffblicke erfüllt die phil­ip­pi­ni­sche Schönheit sämt­li­che Stereotypen rund um den Poledance, den Stangentanz, und dem Rotlichtmilieu von hier bis nach Manila. Mit ihren nie enden wol­len­den Beinen, ihrer leicht getön­ten Haut, schma­ler Taille und lan­gem Haar lässt Eisa Jocson Frauen vor Neid erblas­sen und Männer vor Wollust errö­ten.

Macht und Weiblichkeit

Diese geball­te Weiblichkeit wird in «Death of the Pole Dancer» in Szene gesetzt. Akribisch ord­net Eisa Jocson hier­zu drei Stangenelemente auf dem Boden an, steckt sie zusam­men, schraubt sie auf einer Halterung fest. Dabei gewährt sie sich viel Zeit und dem Zuschauerkreis gleich­zei­tig frei­en Blick auf ihr Hinterteil. Ihre Hand- und Körperbewegungen: ein­deu­tig unzwei­deu­tig.

Dann ist es end­lich soweit. Ihr Zepter ist auf­ge­rich­tet: Frisch poliert glänzt die Stange und blen­det die Zuschauer im Licht. Ein letz­tes Mal streicht Eisa Jocson lie­be­voll mit der Hand dar­über, um sich unmit­tel­bar anschlies­send mit har­ten, ruck­ar­ti­gen Bewegungen immer wie­der dage­gen zu wer­fen – immer schnel­ler und schnel­ler. Die Stange wehrt sich mit ohren­be­täu­ben­dem Quietschen. Jocsons Atmen wird immer hör­ba­rer. Sie stöhnt. Sie schreit.

Sexualität und Zerbrechlichkeit

Für einen Sekundenbruchteil hält Eisa Jocson inne, um das Spiel aber sogleich wie­der auf­zu­neh­men, wel­ches über den gan­zen Abend nie an Intensität ver­liert. So blei­ben klein­ste Veränderungen kaum sicht­bar, wer­den hin­ge­gen aber umso spür­ba­rer – Jocsons Blick etwa, gera­de noch leicht über­heb­lich, jetzt ver­äng­stigt und erschrocken. Der Spielantrieb schwankt zwi­schen der Demonstration von Macht und fühl­ba­rer Verzweiflung.

Genauso sub­til wirkt Eisa Jocsons visu­el­le Kunst. Gekonnt und sorg­fäl­tig malt sie mit fein­stem Pinselstrich und weiss, die so ent­ste­hen­den Bilder haben es schwer, gegen fest­ge­setz­te Vorurteile und Geschlechterrollen anzu­kom­men. Nur wer ganz genau hin­sieht, bemerkt etwa, dass Jocsons Schuhe eini­ge Nummern zu gross und mit Klebeband um ihre Knöchel befe­stigt sind, fast so, als hät­te sie sich mit dem Spiel der Dominanz zu Grosses auf­ge­bür­det. Oder wie sie zu Beginn des Abends einen Moment zu lan­ge die Stabilität der Stange prüft und die­se erst für bestä­tigt hält, als ein eigens hier­für aus dem Publikum gehol­ter Mann sie nach­ge­prüft hat. Angst und Ergebenheit, Überlegenheit und Erhabenheit – ein fei­nes Spiel mit Stereotypen, wel­che Jocsons Performance zu spren­gen ver­sucht.

Wie ein ver­brauch­tes Taschentuch

Dann wech­selt das Zepter den Besitzer. Vorbei ist’s mit dem über­le­ge­nen Spiel. Jocson klam­mert sich an ihre Stange und gleich­zei­tig an deren ein­sti­ge Bedeutung – und fin­det doch kei­nen Halt, glei­tet tie­fer und tie­fer an ihr her­ab. Auf dem Boden ange­kom­men steht sie nicht wie­der auf. Nichts an ihr ist jetzt noch anmu­tig.

Die Zuschauer, auf dem Boden kau­ernd, erhe­ben sich lang­sam. Einer nach dem ande­ren ver­lässt den Raum. Jocson wird lie­gen­ge­las­sen wie ein ver­brauch­tes und nicht mehr gebrauch­tes Taschentuch nach dem Sexualakt.

Missglückte Gratwanderung

Eisa Jocsons Auftritt hin­ter­lässt zwei­fel­los einen bit­te­ren Nachgeschmack beim Verlassen des Raumes. Allzu scha­de nur, dass die­se Bitterkeit vor allem daher führt, dass im Kern nicht ein­ge­löst wird, was von der Poledance-Performance zu erwar­ten war – zumal wenn man der Programmzeitung des Theater Spektakels folg­te. «Geschlechterrollen», «die Politik der Körper» und «die Macht der Beziehungen» nach­hal­tig zu hin­ter­fra­gen, das ist durch sub­ti­le Andeutungen und Nuancierungen kaum zu lei­sten. Jocsons zwi­schen Pole Dance und Artistik ange­sie­del­te Miniatur deu­tet die fei­nen Unterschiede zwi­schen Sexualität und Verwundbarkeit, Voyeurismus und Gewalt besten­falls an. Zu lei­se spre­chen aber schliess­lich die Argumente, Signale und Hinweise. Zu laut im Verhältnis Jocsons opti­sche Reize, die Anziehungskraft ihrer Sexualität und die Verruchtheit ihrer Bewegungen.

So wird das Solo-Short-Piece zur Gratwanderung, auf der man – mit Jocsons 18-Zentimeter-Absätzen – nur all­zu schnell ins Leere tritt.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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