Von Fabienne Naegeli – Im Theater-Rundgang „Neuland“ auf dem Gaswerkareal erzählt VOR ORT in poetisch schönen Bildern eine vertrackte Familiengeschichte.
Der rechts-konservative Barbier Hans-Peter Dampf, der neben Haaren und Ohren auch verrückte Ideen stutzt, verbrachte mit der Zirkus-Künstlerin Madeleine Pavo eine Liebesnacht. Daraus entstanden die Zwillinge Lola und Christian, genannt Krähe. Der Junge kam ins Heim und das Mädchen blieb bei der Mutter. Nach 20 Jahren treffen die beiden aufeinander und verlieben sich. Den Inzest kann die Mutter nicht dulden und lässt ihren Sohn, der bei der Polizei kein unbeschriebenes Blatt ist, verhaften. Lola bricht daraufhin die Beziehung zur Mutter ab, geht vermummt in den Tierpark Dählhölzli und tötet einen Pfau, das Lieblingstier Madeleines. Lolas Befreiungstat von ihrer belastenden, familiären Vergangenheit führt zu einem Skandal in Bern und einer Polizei-Operation namens „Jaguar“. Um ihren Geliebten, Krähe, zu befreien, schläft die erst 17-jährige mit dem 40 Jahre alten Jugendanwalt und Ordnungshüter Remo Vögeli, dessen vegetarisch lebenden Eltern ihm in der Kindheit sogar den Stoff-Teddy verboten haben. Lola wird schwanger und bekommt Zwillinge, Ernesto und Jeanne. Krähe freut sich über den Nachwuchs und seine neue Aufgabe als Vater. Dem Sohn will er Protestsongs lehren und wie man Polizeiautos kaputt schlägt. Doch Ernesto klettert lieber auf Bäumen herum. Lola, die ihr Leben dem Aktivismus verschrieben hat, verlässt ihre Familie und tritt eine Reise nach Südamerika an. Wird sie jemals wieder zurückkommen? Und was passiert mit Remo Vögeli?
Zwischen Juli 1985 und November 1987 schlugen die ZaffarayannerInnen ihre Zelte auf dem Gaswerkareal auf. Die Siedlung „Freies Land Zaffaraya“ wurde zum Symbol der Jugendunruhen in Bern. Das Theaterensemble VOR ORT nutzt für ihr Stück „Neuland“ diese historisch geprägte Umgebung als Bühne. Fiktive Figuren führen das Publikum vom Gaskessel über idyllisch wirkende Wiesen, durch den Wald und der Aare entlang zum Industriegebiet unter der Monbijoubrücke. Aus verschiedenen Perspektiven wird eine verworrene, konfliktarme Familiengeschichte dreier Generationen erzählt, deren ProtagonistInnen, insbesondere die beiden heutigen Jugendlichen, sehr blass gezeichnet sind. Grossmutter Madeleine Pavo erinnert sich an das Zirkusleben und ihre Pudeldressur-Nummer, auf einem Steg am Teich treffen sich die verliebten Geschwister zum getanzten Tête-à-tête, Sabine Scharf im komikfigur-ähnlichen Catsuit verrenkt sich als Gesetz auf der Ladefläche eines Lastwagens und auf der Monbijoubrücke feiert man mit einer Rollschuhchoreografie und Mini-Feuerwerk ein familiäres Wiedersehen. In den bilderstarken Szenen, die mit dem geschichtsträchtigen Schauplatz kaum in Verbindung stehen, muss man als ZuschauerIn die Spuren revolutionären Widerstandes suchen. Die blanken Schilder, welche die zu Demonstrierenden gewordenen ZuschauerInnen brav in die Luft halten, können sinnbildlich für „Neuland“ verstanden werden.
Spieldaten:
29./ 30.6.2012 sowie 3./ 4./ 5./ 7./ 10./ 12./ 13./ 14./ 17./ 19./ 20./ 21./ 24./ 26./ 27./ 28.7.2012, jeweils 20:30 Uhr
Eingang Gaskessel (Bei jeder Witterung!)
Weitere Informationen unter www.vorort.be
Künstlerische Leitung: VOR ORT.
Spiel: Mathis Künzler, Jonathan Loosli, Dominique Jann, Sonja Riesen. Ursula Stäubli, Lilian Künzler, Giulin Stäubli.
Musik/Tanz: Annalena Fröhlich.
Choreographie: Corsin Gaudenz.
Kostüm: Linda Harper.
Bühne/Grafik: Rodja Galli.






