Mehr als nur Pappe

Von

|

Drucken Drucken

In der Gessnerallee direkt hin­ter der Zürcher Hochschule der Künste sta­peln sich Berge aus Karton, die zu einer eige­nen Stadt geformt wer­den. Die Idee mit der Stadt in der Stadt gebar das Künstlerkollektiv «mecra­me» und ent­warf nach bra­si­lia­ni­schem Vorbild die «Instant Favelas».

Favela bedeu­tet soviel wie Baracke und beschreibt die selbst­er­rich­te­ten Siedlungen von Menschen, die nicht über eige­nen Grund und Boden ver­fü­gen. Doch die «Instant Favelas» sind mehr als nur geba­stel­te Städte, sie sind ein orga­ni­sier­ter Mikrokosmos, der sich fort­lau­fend ent­wickelt und Fragen auf­wirft.

Lebendigkeit

Die Idee scheint grund­sätz­lich ein­fach. Die Künstler laden Gäste ein, wel­che auf einem simp­len Raster mit vor­ge­ge­be­nen Formen ihre eige­ne Hütte erstel­len kön­nen. Die Umsetzung jedoch ist weit­aus schwie­ri­ger. Wie die «rich­ti­gen» Favelas-Bewohner müs­sen auch die Gäste ihre Materialien von der Strasse sam­meln und mit dem leben, was ihnen die Stadt in die Hände gibt. Zudem muss jeder Teilnehmer mit sei­ner eige­nen Hütte auch sein eige­nes künst­le­ri­sches Konzept ent­wickeln. So wächst die Stadt und gewinnt an Form und Lebendigkeit. Auch wenn nie­mand tat­säch­lich die Kartonstadt bewohnt, wird sie von den Teilnehmern mit­samt ihren Ideen beseelt. So wer­den bei­spiels­wei­se Konzerte gege­ben oder Tauschmärkte bewirt­schaf­tet, alles im Sinne der Kunst, der Gemeinschaft und des Austausches. Eine klei­ne Oase in der Zürcher Landschaft, in der die künst­le­ri­sche Freiheit an erster Stelle steht.

Städtebau

Nach weni­gen Wochen zie­hen die «Instant Favelas» noma­disch wei­ter durch Zürich und bil­den über­all, wo sie ent­ste­hen, einen urba­nen Kontrast. Doch auch bei der «instant» Variante einer Stadt will der Standort wohl über­legt sein. Dadurch wird die Frage auf­ge­wor­fen, wie und wo denn eine Stadt ent­steht. Nicht umsonst befin­det sich der der­zei­ti­ge Standort in der Nähe von Wasser und zeigt damit anschau­lich den Einfluss der Umwelt auf unse­ren Lebensraum. Denn auch die Stadt in der Stadt ist abhän­gig von ihrer Umgebung und kann nur aus einer gemein­sa­men Arbeit ent­ste­hen. Die vie­len Hände, die Karton an Karton zusam­men­kle­ben, las­sen eine authen­ti­sche, arme Umgebung in der reich­sten Stadt der Welt ent­ste­hen und erwir­ken dadurch einen beschä­men­den Effekt.

Veränderung

Die «Instant Favelas» bil­den einen ewi­gen «Work in pro­gress». Nicht nur kann die Stadt aus Sicht der Künstler nie zu einem Ende kom­men, auch lässt die Witterung dies nicht zu. Denn schon ein klei­ner Regenschauer hin­ter­lässt sei­ne Spuren – umso glück­li­cher sind die­je­ni­gen, die unter einem festen Dach hau­sen. Auch dies ist von den Künstlern bewusst gesucht. Sie the­ma­ti­sie­ren Veränderung und Entwicklung und stel­len Grundsatzfragen zum Leben in einer Stadt: Denn ob aus Stein oder Pappe gebaut, eine Stadt ver­än­dert und ent­wickelt sich und beein­flusst dadurch auch das Leben.

Lohnenswert ist bestimmt ein Besuch auf der Homepage der «Instant Favelas» http://www.instantfavelas.org/, auf wel­cher man einen detail­lier­ten Beschrieb des Projektes und sogar die Bauanleitung der Favelas betrach­ten kann.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo