Simon Chen: «Poetry Slams sind die idea­le Plattform, um Neues aus­zu­pro­bie­ren»

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Von Sabine Gysi - Seine flam­men­den Reden auf Zürichs Slambühnen las­sen uns seit eini­ger Zeit auf­hor­chen. Dabei fand der aus­ge­bil­de­te Schauspieler Simon Chen erst im Sommer ’05 zur Slam Poetry, als er sich spon­tan für einen Slam im Seebad Enge anmel­de­te. Seitdem ist er in der Slamszene prä­sent, arbei­tet unter ande­rem fürs Radio und als Auftragstexter und Performer für diver­se Anlässe. Mit Slam Poetry-Vorträgen und Workshops ist er auch an Schulen tätig.

 Bei einem Poetry Slam, den ich im November besuch­te, sprachst Du über ein damals top­ak­tu­el­les Thema: Dignitas. Manche Slampoeten tre­ten mit per­fekt geschlif­fe­nen, älte­ren Texten auf. Du scheinst Dich bewusst zu ent­schei­den, die­ses Perfekte zugun­sten der Aktualität zu opfern.

Ich schrei­be gern zu aktu­el­len Themen oder direkt auf einen Anlass bezo­gen. Trotzdem geht das nicht von einem Tag auf den andern; eine gewis­se Vorlaufzeit brau­che ich. Aber auch ich habe Texte, die sehr aus­ge­klü­gelt aus­ge­ar­bei­tet sind. Poetry Slams soll­ten eine Plattform sein, um immer wie­der neue Texte und ver­schie­den­ste Textformen aus­zu­pro­bie­ren.

 Ich behaup­te, dass Slam Poetry oder Spoken Word haupt­säch­lich für die Präsentation und nicht fürs Papier fest­ge­hal­ten wer­den soll­te. Bloss Geschriebenes vor­zu­tra­gen ist noch lan­ge kein Spoken Word.

Klar, beim Spoken Word ist der Vortrag genau­so wich­tig wie der Text. Das mei­ste, was ich auf Papier brin­ge, ist dazu da, vor­ge­tra­gen zu wer­den. Allerdings den­ke ich beim Schreiben nicht dau­ernd ans Vortragen. Ein Publikum habe ich nur dann vor Augen, wenn es sich um Texte han­delt, die die­ses Publikum expli­zit anspre­chen, wie eine Rede. Die Geschichten von Pedro Lenz bei­spiels­wei­se funk­tio­nie­ren auch gele­sen sehr gut; trotz­dem gewin­nen sie durch sei­nen Vortrag, auch wenn er nicht viel mehr macht, als ans Mikrofon geklam­mert von sei­nen Kärtchen abzu­le­sen. Die Performance lebt eben vor allem von der Persönlichkeit und der Bühnenpräsenz.

Es ist fast unmög­lich, die Essenz der Slam Poetry in Worte zu fas­sen. Manchmal meint man Gesetzmässigkeiten zu erken­nen, aber es gibt immer wie­der erstaun­li­che Ausnahmen. Ich pro­bie­re sehr viel aus; mache auch manch­mal das Gegenteil von dem, was sich für gute Slam Poetry emp­fiehlt. Das Wichtigste ist, dass man Kontakt zum Publikum hat. Viele Slampoeten tra­gen des­halb aus­wen­dig vor. Ich nicht; aber ich ach­te dar­auf, dass ich nicht ein­fach in mein Blatt hin­ein­re­de, son­dern die Zuschauer immer direkt anspre­che. Das hat nicht nur mit Blickkontakt zu tun, son­dern auch mit einer inne­ren Einstellung und mit Pausen.

 Wie weit kommt ein Slampoet sei­nem Publikum ent­ge­gen?

Das ist immer eine Gratwanderung. Slam Poetry ist in erster Linie Unterhaltung. Aber ab wann ist es ein­schmei­chelnd? Meine Texte sind immer wit­zig, aber nicht unbe­dingt ein­fach; mein Humor oft­mals tief­sin­nig bzw. abgrün­dig. Ich lote auch gewis­se Grenzen aus, manch­mal selbst mit gemisch­ten Gefühlen.

Die Attitüde eines Auftretenden spielt eine gros­se Rolle, aber auch das Image, das er sich erar­bei­tet hat. Bei jeman­dem, der einen gewis­sen Bekanntheitsgrad erreicht hat, hat sein Agieren – selbst klein­ste Regungen – auto­ma­tisch mehr Wirkung auf das Publikum. Nehmen wir den Seriensieger Gabriel Vetter: Da reicht manch­mal ein Huster und das Publikum lacht.

 Du bist letz­tes Jahr an der «Bookparade» zum UNESCO-Welttag des Buches auf­ge­tre­ten. Dieser Anlass setz­te sich dafür ein, dass das Lesen wie­der popu­lä­rer wird. Kann Slam Poetry tat­säch­lich bewir­ken, dass auch Junge wie­der ver­mehrt zu Büchern grei­fen?

Slam Poetry kann Jugendliche durch­aus dazu ani­mie­ren, sich ver­mehrt mit dem sprach­li­chen Ausdruck zu befas­sen. Man kann von die­sen Dichterschlachten hal­ten was man will, aber der Wettbewerbscharakter wie bei «Music Star» ist gera­de für Jugendliche ein zusätz­li­cher Reiz. Wenn man die­se Wettkampf-Stimmung mit Literatur kom­bi­nie­ren kann, umso bes­ser; damit lässt sich die Scheu vor dem Anspruchsvollen an der Literatur abbau­en.

Die U‑20 Slamszene ist sehr leben­dig. Aber bei Workshops in Sekundarschulen habe ich bemerkt, dass sich in einer Klasse letzt­lich nur eine klei­ne Minderheit aktiv für Sprache inter­es­siert. Es ist im Allgemeinen erschreckend wenig Phantasie und Lust am Fabulieren da. Die Schüler sind stark ans Konsumieren gewöhnt, statt sel­ber krea­tiv zu wer­den. Musik zu machen fällt ihnen wohl leich­ter, weil sie da nicht von der Sprache abhän­gig sind.

www.simonchen.ch

Bild: zVg.
ensuite, Februar 2008

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