- ensuite | kulturagenda | enBlog - https://ensuite.we-are.gmbh -

Zwischen Bayern und Bern – #1: Sport

Von Hannes Liechti (München) und Pablo Sulzer (Bern) - YB schlägt den FCB. Zwar nicht den baye­ri­schen FCB, doch immer­hin den Krösus des Schweizer Fussballs. Der Cup-Fight zwi­schen den Berner BSC Young Boys und dem Titelverteidiger FC Basel, aus­ge­tra­gen auf ber­ni­schem Terrain vor über 30‘000 Sportbegeisterten, war eine Demonstration für die pul­sie­ren­de und stol­ze Sportkultur der Schweizer Hauptstadt. Doch möch­te ich das Interesse und die Begeisterungen für den Sport in Bern nicht redu­ziert auf den Fussball auf­zei­gen. Denn dies wäre nicht die gan­ze Wahrheit.

Bern hat einen Weltmeister. Der Radsportler Fabian Cancellara fährt an den Olympischen Spielen Nationen wie Spanien, Schweden und den USA davon und gewinnt sou­ve­rän Gold. Er steht für die­sen ver­bis­se­nen Kämpfer, der alles auf die Karte Sport setzt, ohne je von sei­nem Ziel abzu­wei­chen. So sieht man auch auf den Strassen Berns oft ihm nach­ei­fern­de Radler, die den Ehrgeiz förm­lich auf das ver­schwitz­te Gesicht geschrie­ben haben. Dass Fabian nicht der ein­zig erfolg­rei­che Berner Radsportler ist, zei­gen die Leistungen der hei­mi­schen Radclubs. Der RRC Bern hat an der aktu­el­len Türkei-Rundfahrt mit David Loosli einen äus­serst erfolg­rei­chen Sportler im Kader, viel­ver­spre­chend für den Radsport der Marke Bern.

Bern hat die treue­sten Fans Europas. Der Schlittschuhclub Bern hat im Eishockey euro­pa­weit den höch­sten Zuschauerschnitt, und dies seit Jahren. Der Stolz über die grenz­über­schrei­ten­den Verdienste des Eishockey-Clubs ist rie­sig, auch wenn die­ser nicht immer offen gelebt wird. Dieses Jahr muss­te der Klub zum wie­der­hol­ten Mal früh­zei­tig sei­ne Meis-
ter­träu­me begra­ben, doch die Eishockey-Begeisterung wird auch zu die­ser war­men Zeit noch spür­bar sein. Nach einer fröh­li­chen Fussball-EM letz­ten Sommer steht die Eishockey-WM vor der Berner Haustür.

Bern ist sport­lich viel­sei­tig. Vor allem im Sommer sieht man den Enthusiasmus für die klei­nen, aber fei­nen Sportarten. An der Aare – sei es im Marzili, Eichholz oder sonst­wo – trai­niert der Nachwuchs der olym­pisch-erfolg­rei­chen Beachvolleyballer fleis­sig an sei­nen Ballfertigkeiten. Nebenan wer­fen Championsleague-Sieger und Freestyler ihre Frisbees, ohne den Boccia- oder Schachspielenden in die Quere zu kom­men. Diese spie­len zwar nicht nackt, doch trotz­dem mit reich­lich Körpereinsatz.

Es gäbe noch zahl­rei­che Beispiele, wie­so Bern eine sport­be­gei­ster­te Stadt ist. Schweizer Volleymeister, Schweizer American-Football-Meister, Schweizer Obdachlosen-Strassenfussballmeister – ein­deu­tig ein ein­drück­li­ches Stadtpalmarès. YB wird zwar den gros­sen FCB aus München wahr­schein­lich nie schla­gen kön­nen, doch unse­re vie­len Meistertitel lei­sten genü­gend Trost, um locker dar­über hin­weg zu sehen.


Dass in München in sport­li­cher Hinsicht in erster Linie der Fussball regiert, liegt auf der Hand. Auch trotz momen­ta­nem Formtief von Bayern München. So sind in den zahl­rei­chen Parks zu Frühlingsbeginn bereits zahl­rei­che Möchtegern-Luca-Tonis zu sehen.

Auf der Suche nach ande­ren Sportarten geht’s mit dem Radl Richtung Innenstadt. Obwohl München mit her­vor­ra­gen­den Radwegen aus­ge­stat­tet ist, befin­den sich die mei­sten Drahtesel wohl noch im Winterschlaf. Der Radverkehr hält sich näm­lich abso­lut in Grenzen. Und auch sonst scheint wenig los zu sein: Hier und da erblickt man einen Jogger, einen klei­nen Skatepark und ent­lang der Theresienwiese eine Familie auf Inlineskates. Das war wohl eine Trainingsfahrt für eine der Münchner Blade-Nights, die bald wie­der statt­fin­den. Dabei wer­den jeden Montagabend gewis­se Strassenzüge für den Verkehr gesperrt und tau­sen­de Skater jagen durch die Strassen.

Zurück zu unse­rem Rundgang: Interessant wird es erst im Englischen Garten. Auf den Liegewiesen wird Frisbee und Volleyball gespielt, teil­wei­se auch unbe­klei­det. Viele Münchner, vor­wie­gend älte­re Männer, betrach­ten es näm­lich als Sport, sich nackt im Englischen Garten zu zei­gen, was auch nie­man­den zu stö­ren scheint. Auf einem klei­nen See trei­ben Ruderboote, und Reiter mit ihren Pferden galop­pie­ren mit­ten durch die rie­si­ge Parkanlage. Zahllose Jogger eifern gegen­sei­tig um die Wette – ob mit oder ohne Kinderwagen und Hund spielt dabei kei­ne Rolle. Auf dem Eisbach, einem klei­nen Nebenarm der Isar, ent­decke ich schliess­lich eini­ge Surfer, die auf den cir­ca ein Meter hohen Wellen ihr Können zei­gen.

Zum Schluss geht der Rundgang in den Olympiapark, das Sport-Mekka Münchens schlecht­hin. Anlässlich der Olympischen Sommerspiele von 1972 errich­tet, lebt der olym­pi­sche Geist inner­halb des Parks und den dar­in lie­gen­den Sportanlagen wei­ter. Hier wird noch fleis­si­ger gejoggt, und auch eini­ge Mountainbiker genies­sen die wun­der­ba­re Aussicht und den Sonnenuntergang auf dem Olympiahügel.

München bie­tet für fast jede Sportart eine Nische. So zum Beispiel der Hofgarten für die Boule-Spezialisten. Und auch an Wettkämpfen fehlt es nicht: Der Münchner Stadtlauf und der München-Marathon etwa bie­ten Joggern eine all­jähr­li­che Gelegenheit, ihre Sportart in ein Gemeinschaftserlebnis zu ver­wan­deln. Trotzdem: Die Sportstadt München erweist sich weit unspek­ta­ku­lä­rer als erwar­tet. Abgesehen von den Surfern und dem Inlineskating mögen die Münchner das Normale, spie­len Fussball und jog­gen oder schei­nen es grund­sätz­lich zu bevor­zu­gen, in einem Biergarten zu sit­zen und dem Trinksport zu frö­nen.


In der 6‑teiligen Serie «Zwischen Wiesn und Gurten» berich­tet ensuite – kul­tur­ma­ga­zin jeden Monat exklu­siv aus München und par­al­lel dazu aus Bern. Dabei wer­den Themen wie Sport, Leben&Leute und Essen&Trinken auf­ge­grif­fen. Weniger als Vergleich kon­zi­piert, son­dern viel mehr als Gegenüberstellung, soll der/die LeserIn selbst zu einem indi­vi­du­el­len Fazit über die kul­tu­rel­le Vielfältigkeit der bei­den euro­päi­schen Städte gelan­gen. Soviel vor­ab: Wahrlich kei­ne ein­sei­ti­ge oder ein­deu­ti­ge Angelegenheit.

Foto: Jonathan Liechti
ensuite, Mai 2009