Wiederentdeckung einer bedeu­ten­den Bündner Autorin

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Von François Lilienfeld – In sei­ner Reihe «Schweizer Texte» ermög­licht uns der Chronos Verlag (Zürich) die (Wieder-)Begegnung mit Silvia Andrea (1840–1935). Unter die­sem Pseudonym wur­de Johanna Gredig, gebo­re­ne Garbald, zu ihrer Zeit sehr bekannt, auch außer­halb ihrer Bündner Heimat. Geboren in Zuoz, also roma­ni­scher Zunge, erlern­te sie in einer Churer Schule deutsch. 1861 hei­ra­te­te sie Agostino Garbald und zog ins ita­lie­nisch­spra­chi­ge Val Bregaglia (Bergell), nach Castasegna. Dort bezog sie mit ihrem Gatten eine Villa, die von kei­nem Geringeren als Gottfried Semper erbaut wur­de.

Aus ihren drei per­fekt beherrsch­ten Sprachen wähl­te sie für ihre Veröffentlichungen das Deutsche. Nach ihrem Tode wur­de es recht still um sie, und es ist dem Chronos Verlag hoch anzu­rech­nen, dass er eine vier­bän­di­ge Auswahl-Edition die­ser bedeu­ten­den Schriftstellerin ver­öf­fent­licht hat, in Ausgaben, die unter der Leitung von Christine Holliger und Maya Widmer nicht nur fas­zi­nie­ren­de Leseerlebnisse ermög­li­chen, son­dern auch durch sorg­fäl­tig­ste Editionsarbeit mit Vor- und Nachwörtern sowie genau recher­chier­ten Anmerkungen einen Einblick in Silvia Andreas Welt ver­mit­teln. Eine gute Einführung bil­det der Band «Das eige­ne Ich und die gro­ße Welt». Er ent­hält kür­ze­re Prosatexte, Autobiographisches und eini­ge Essays zu Leben und Werk der Dichterin.

Das Bändchen «Wanderungen in der Landschaft und ihrer Geschichte» ist ein poe­ti­sches Geographiebuch, wun­der­schön illu­striert mit Photographien von Andrea Garbald, dem Sohn der Autorin.

Der histo­ri­sche Roman «Violanta Prevosti» spielt zum Teil auch im Bergell, im frü­hen 17. Jahrhundert, als das Veltlin ein Bündner Untertanenland war. Das Buch beschreibt, vor genau unter­such­tem histo­ri­schen Hintergrund, die Bündner Wirren, den Streit zwi­schen der katho­li­schen Partei, die von Spanien, und der pro­te­stan­ti­schen, die von Venetien unter­stützt wur­de. Dabei tref­fen wir fik­ti­ve Personen – wie z. B. die Titelheldin, die sich in einem Gewissenskonflikt zwi­schen Glauben und Liebe befin­det –, aber auch zahl­rei­che histo­ri­sche Gestalten, so den aus Conrad Ferdinand Meyers Roman bekann­ten Georg («Jürg») Jenatsch. Eine wich­ti­ge Rolle spielt auch das Städtchen Plurs, das 1618 beim Zusammensturz des «durch Ausgrabung des Lavezsteins wie eine Nußschale aus­ge­höl­ten» Berges Conto ver­schüt­tet wur­de.

Das ein­drück­lich­ste, berüh­rend­ste Werk in die­ser Edition ist «Faustine», die Geschichte einer jun­gen Frau, die mit viel Mühe und noch mehr Durchsetzungsvermögen ihren Weg sucht. Abgedruckt ist die zwei­te, über­zeu­gen­de­re Fassung die­ses Entwicklungsromans, in der Faustine ihre Ziele erreicht.

Der Name des Mädchens ist mit Bedacht aus­ge­wählt, han­delt es sich doch um eine Art weib­li­chen Faust auf der Suche nach Wahrheit und Lebenssinn, jedoch ohne die düste­ren Seiten – von einem Pakt mit dem Teufel ist kei­ne Rede: Faustine baut auf ihren eige­nen Willen. Die Autorin, die stän­dig mit Vorurteilen gegen «weib­li­che Literatur» kämp­fen muss­te, konn­te die Kämpfe einer Frau, die Medizin stu­diert, wohl gut nach­emp­fin­den.

Silvia Andrea schreibt einen flüs­si­gen Stil, erzählt span­nend und weiß die Leser(innen) immer wie­der zu fes­seln. Lobend zu erwäh­nen ist noch die Entscheidung des Verlags, die oft unge­wöhn­li­che Orthographie der Autorin nicht «behut­sam anzu­glei­chen», wie das lei­der vie­ler­orts gemacht wird, son­dern unver­än­dert zu über­neh­men.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014

 

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