Vom mora­li­schen Mantra zur pop­pi­gen Short Story

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Einen guten Fang hat das Theater der Künste Zürich mit die­sem Gastspiel gemacht. Im Rahmen des Studienprojektes «Vom Chaos: Kleist» ent­stan­den, nähert sich Christian Valerius (Regie) in Kooperation mit der Theaterakademie Hamburg der Novelle «Michael Kohlhaas» von 1810 auf ori­gi­nel­le Weise:  Da erscheint zum einen Kleists stör­ri­scher Sprachduktus gepaart mit rechts­phi­lo­so­phi­schen Zitaten im Geiste Kants & Co., was dem Stück einen ana­ly­tisch-dif­fe­ren­zier­ten Schlag gibt. Für eine Verfremdung des Stoffes, der sich um einen Fall haar­sträu­ben­der Selbstjustiz dreht, sor­gen moder­ne Varianten des Inszenierens – Zitate aus der Medienlandschaft, ein­lul­len­de Popsongs, thea­tra­le (Selbst-)Ironie und Witzelei. Man hat also bei­des: sei­nen Kleist und sein Vergnügen.

Thematische Schwere, in leich­te Luft ver­packt

Vorahnungen bemäch­ti­gen sich des Zuschauers, noch ehe es los­geht. Denn das Bühnenbild  (Fabian Wendling) ver­spricht Dramatisches: eine impo­san­te Wand aus zie­gel­stein­ar­tig auf­ge­schich­te­ten Luftkissen (so pro­per auf­ge­bla­sen und voll­korn­far­ben erin­nern sie an eine über­di­men­sio­nier­te Variante der Frühstücksflocken «Jamadu Haferkissen»), Industriepolster für Schwertransporte. Wo so etwas Leichtes wie ver­pack­te Luft in Hülle und Fülle vor­han­den ist, wit­tert man anti­the­ti­sche Schwere. Begrüsst wird man ent­spre­chend von einem Mädel, wie alle Schauspieler im stof­fi­gen Rittergewand, das ihr Geschichtchen über einen klei­nen Buben zum Besten gibt, der einem Gspänli die Kehle durch­schnei­det – in spie­le­ri­scher Nachahmung sei­nes Vorbilds, des Metzgers, kind­lich und selbst­ver­ständ­lich unschul­dig. Gleich dar­auf mono­lo­gi­siert Kohlhaas’ Frau Lisbeth über den Samen, der anstatt zu wach­sen vom Kaninchen gefres­sen wird, wonach – huch – plötz­lich auch die­ses nicht mehr da ist. Angesichts der the­ma­ti­schen Schwere dürf­ten die akku­rat auf­ge­türm­ten Papiertüten also ihren Platz im Bühnengeschehen haben.

Tatsächlich bewei­sen die unge­wöhn­li­chen Requisiten büh­nen­tech­ni­sches Potential und wer­den mehr­fach zum inte­gra­len Bestandteil der Handlung. So hal­ten sie zu Beginn, als Michael Kohlhaas in sein trau­tes Heim zurück­kehrt, im Sinne eines «Friede-Freude-Eierkuchen» als Luftballons und Tanzpartner her, oder sie die­nen dem knut­schen­den Ehepaar als Sichtschutz. Sinnbilder der Intimität und Glückseligkeit. Gegen Ende wie­der­um bringt Kohlhaas in sei­nem Wüten die turm­ho­he Wand zum Einsturz, bis ein Feld rauch­um­hüll­ter Trümmer vor Augen liegt. Passt doch gut, immer­hin ver­kün­det Kohlhaas zuvor: «Es gibt nur Entweder-Oder, Neutralität ist aus­ge­schlos­sen; Himmel oder Hölle; Glück oder Untergang!» Ungekünstelt wie ästhe­tisch wer­den im Medium des Bildlich-Plastischen Stimmungslagen und deren abrup­tes Wechseln anschau­lich.

Wie man eine epi­sche Endlosschleife in eine pop­pi­ge Short Story umwan­delt

Die Geschichte ist eigent­lich rela­tiv rasch erzählt: Nachdem der Burgherr Wenzel von Tronka zwei von Kohlhaas’ besten Pferden und sei­nen Knecht Herse miss­han­delt hat, der Ruf des schwer gebeu­tel­ten Rosshändlers nach Wiedergutmachung nur feu­da­len Zynismus ern­tet und sei­ne Ehefrau Lisbeth zu Tode kommt, sieht Kohlhaas als ein­zi­ge Antwort nur kom­pro­miss­lo­se, unge­zü­gel­te Rache – wor­auf­hin er mor­dend und brand­schat­zend durchs Land zieht, bis er schliess­lich selbst zur Rechenschaft gezo­gen wird. Die Novelle ist von gefühlt epi­schem Gewicht und kei­ne leich­te Kost. Die ein­stün­di­ge Bühnenfassung kommt dage­gen wie eine Short Story daher – prä­gnant ver­dich­tet, klar fokus­siert und bekömm­lich. Das Stück will nicht etwa die Handlung minu­ti­ös nach­er­zäh­len, die Action des Rachefeldzuges mimen oder die Frage nach Schuld und Sühne in der Endlosschlaufe wäl­zen. Stattdessen war­tet die Inszenierung mit aus­ge­wähl­ten Momenten auf, in der die schau­spie­le­ri­schen Qualitäten der Akteure zum Zuge kom­men.

Analog zum Titel «Subjekt: Kohlhaas» bekom­men wir den pri­va­ten Kohlhaas zu Gesicht – und sein aus­ge­präg­tes Tugendkostüm. Wir erle­ben ihn zunächst als rei­sen­den Gatten, der sei­ne Lisbeth per Videobotschaft grüsst und sie heisst, ihren Verstand mit phi­lo­so­phi­schen Denkaufgaben zu trai­nie­ren. Und so sieht man die­se vor dem Zubettgehen wacker mit ihrem Töchterchen in der Manier eines Katechismus dekla­mie­ren: «Soll man alles tun, was Recht ist? Oder soll das, was man tut, Recht sein?» Und: «Rache ist eine natür­li­che Leidenschaft – die maxi­ma­le Vernunft!» Wenn hier das erste Stück Mauer zu Boden stürzt, wird nicht nur die Kulisse zum inte­gra­len Bestandteil der Handlung, viel­mehr ist es einer der weni­gen Kommentare zur Unerbittlichkeit einer ver­ab­so­lu­tier­ten Moral. So spricht Kohlhaas, der im keckem Pferdetrab sei­ner Steppstiefel daher­ge­klap­pert kommt: «Ordnung ist ein wich­ti­ges Prinzip!», und stopft das Loch zu. Herr und Frau Zuschauer sehen sich der­ge­stalt einem Mantra an mora­li­schen Axiomen aus­ge­setzt. Dank pop­pi­ger Regieeinfälle, indem näm­lich jeg­li­ches opti­sche oder aku­sti­sche Material sym­bo­lisch auf­ge­la­den wird, ent­fal­ten die­se ihre Wirkung aber immer neu.

Kauderwelsch, Schimpftiraden und iro­ni­sche Kontrastierungen

Poppig beglückend und gefäl­li­ge Beispiele für die so wir­kungs­voll wie effi­zi­ent ein­ge­setz­ten dar­stel­le­ri­schen Mittel sind jene Szenen, in denen infor­ma­tiv Bericht erstat­tet wird: Verpackt etwa Knecht Herse sei­nen Bericht über das Unheil in der Tronkenburg in ein unver­ständ­li­ches Kauderwelsch, glaubt ihm Kohlhaas sogleich «Wort für Wort» (das Publikum kichert), um sich sel­ber gera­de­zu genüss­lich in einer Schimpftirade zu erge­hen, in der er auf die Ausdruckskraft des Karate und der Gebärdensprache zurück­greift. Hierauf ent­wirft Kohlhaas auf ima­gi­nä­rer Wand in gros­sen Lettern eine Bittschrift an den Dresdner Gerichttag. Im Vorgefühl ver­dien­ter Genugtuung gönnt er sich unter rotem Schummerlicht und jaz­zi­gem Klaviergedüdel ein paar Luftkissen-Würfe mit Lisbeth. Dann abrup­te Stille, fies beis­sen­des Licht: der Antrag ist abge­lehnt. Wenig spä­ter der näch­ste Knall, ein Luftkissen haucht die Seele aus, mutiert in Kohlhaas’ Händen zum mon­strö­sen Brief. Gerade noch gra­zi­ös übers Parkett step­pend, ver­sinkt die­ser in der Lektüre, stösst auf man­nig­fa­che Beleidigungen, gerät in Stottern. Im Zuge einer aus­gie­bi­gen Selbstbefragung wägt er Optionen des Handelns ab und ver­la­gert sich pro­be­wei­se auf das Bewerben von Luftkissen («sie sind so glatt, so weich»). Wahrlich albern, aber von Wieland Schoenfelder glän­zend gespielt.

Der Rachefeldzug bedient sich des übli­chen Zubehörs des Actiondramas –Dunkelheit, Rauch, Helikopter-Lärm, der Radau zusam­men­kra­chen­der Wände – und dau­ert nur kurz, der­weil Britney Spears melan­cho­lisch ihren Song zu Spieldosenklängen säu­selt. Inmitten von Trümmern und Gestank watet der Revoluzzer nun durch die Rauchschwaden, macht Halt an einer Eisenstange und sin­niert spot­be­leuch­tet über eine neue Weltordnung, «weil sie kom­men muss!» Das letz­te Wort indes, bevor er im Trümmerfeld ver­sinkt, gehört der Albernheit: «Feier! Ausschluss aus der Gesellschaft! Yeah, Party! Ich bin nicht mehr in ihr, son­dern an ihrem Rand!». Der Wirkung des Stückes tut dies kei­ner­lei Abbruch. Die iro­ni­schen Kontrastierungen lockern wie erzähl­tech­ni­sche Kniffe den per­ma­nen­ten Druck, der mit dem Anwachsen der Katastrophe ent­steht. So wird die Short Story geniess­bar, gut ver­dau­lich, amü­sant – ohne dass man Michael Kohlhaas und sein Geschick dabei ver­gäs­se.

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