Von einem Elch gefickt wer­den

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Das Stück «Raststätte oder sie machen’s alle» ist Elfriede Jelineks Abrechnung mit jenen Vorstellungen unse­rer Kultur, die das Begehren und das ero­ti­sche Abenteuer noch immer dem Bereich der Leichtigkeit und des unschul­di­gen Vergnügens zuschla­gen wol­len. So war es etwa in «Cosi fan tut­te», Mozarts roman­ti­scher Verwechslungsoper von vor gut zwei­hun­dert Jahren, die Jelinek als Folie dient (um zu wis­sen, was gemeint ist, genügt aber auch eine zeit­ge­nös­si­sche Teenie-Komödie). Bei Jelinek dage­gen ist nichts unschul­dig, höch­stens gro­tesk. Auf einer ver­kom­me­nen Raststätte in der öster­rei­chi­schen Provinz haben sich zwei Freundinnen mitt­le­ren Alters zum anony­men Swinger-Sex ver­ab­re­det – mit einem Elch und einem Bären («hat im Inserat gestan­den»). Auch anson­sten sind sie eher leicht zu cha­rak­te­ri­sie­ren: latent fru­striert, voll bela­den mit Minderwertigkeitskomplexen und Neurosen, over­se­xed and under­fucked.

Sich von einem Elch auf der Toilette ficken zu las­sen, ist dar­um kein Spaß; es ist nicht weni­ger als die Suche nach Erlösung. Jedenfalls wenn man sich traut: «Wie soll ich das Tier in mir je ken­nen­ler­nen, wenn ich schon vor frem­den Tieren sol­che Angst habe.» Das Tier in sich ken­nen­ler­nen – das ist natür­lich eine reich­lich aus­ge­lutsch­te (he he) Metapher, aber genau dar­um geht es: so weit die Phantasie eben trägt. Jeder wie er kann. Die Beweggründe sind aller­dings nach­voll­zieh­bar, denn ihre Ehemänner, die nichts­ah­nend auch dabei sind, sind alles in allem Fleisch gewor­de­ne Belege dafür, dass es auch mit dem heu­ti­gen Mann (und sei­nem ver­bis­se­nen Beharren auf dem, was er für sei­ne Männlichkeit hält) nicht gera­de zum Besten steht.

Verqueres Begehren

Diese Typen tref­fen die Hauptdarsteller im Theater der Künste bereits beim ersten Auftritt voll auf die Zwölf. Irgendwo zwi­schen groß­kot­zig und ver­klemmt son­dern die bei­den Männer ihre kul­ti­vier­ten Floskeln und ihre libe­ra­le Leistungsrhetorik ab; und die hyste­ri­sche Fröhlichkeit der Frauen ist so schrill, dass man die dar­un­ter lie­gen­de Verzweiflung bei­na­he mit Händen grei­fen kann. Ebenso prä­sent ist das Begehren. Aber es ist ein ver­que­res, zwang­haf­tes, auti­sti­sches Begehren; daher die Notwendigkeit eines mas­si­ven ver­kopf­ten Überbaus, ent­we­der in Form von Macht (eher männ­lich) oder Selbstverwirklichung (eher weib­lich), um über­haupt noch den Weg in oder auf einen ande­ren Körper zu fin­den.

Das ihri­ge tun auch Kostüme und Bühnenbild, letz­te­res als Nachbildung der Raststätte, in der die Zuschauer mit­ten im Raum um einen klei­nen Mittelgang her­um­dra­piert wer­den. Überhaupt sind die Grenzen der Bühne flie­ßend. Schon im Intro wird das Publikum von zwei Schauspielern aus dem Foyer geführt (unter wil­den Deklamationen eines Jelinek-Textes über das Wesen des Theaters, von dem aber haupt­säch­lich der etwas sum­ma­ri­sche Eindruck hän­gen­bleibt, dass Theater als sol­ches wirk­lich eine ziem­lich per­ver­se Angelegenheit ist). Die Leute wer­den buch­stäb­lich abge­holt, wo sie sind, und ihre Führer über­tre­ten gewis­ser­ma­ßen sym­bo­lisch die dün­ne Grenze zwi­schen Außenwelt und Kunst.

Vollgas ohne Nuancen

Allerdings belässt es Regisseur Peter Kastenmüller nicht dabei – lei­der, wie man hin­zu­fü­gen muss. Denn das durch cho­reo­gra­phi­sche Einlagen, ein­ge­füg­te Passagen aus ande­ren Jelinek-Texten und eine Armada von Nebenschauspielern ohne­hin schon leicht über­frach­te­te Treiben bekommt durch das Übertempo und das völ­lig über­zo­ge­ne Spiel der Schauspieler schnell einen Stich ins Alberne. Von Beginn an wird aus allen Rohren gefeu­ert. Der Text ist beim Zuhören nicht eben sim­pel, und man bekommt auch kei­ne gro­ße Lust sich zu kon­zen­trie­ren, wenn er mit sol­chem Hochdruck in den Raum gepumpt wird, dass alle Nuancen gna­den­los absau­fen. Und berech­ti­ger­wei­se gibt es hin und wie­der Zuschauerblicke, die unge­fähr zu sagen schei­nen: Jaja, ist gut, wir sind ganz bei euch – aber beru­higt euch doch erst­mal. Aber kei­ne Chance. Alles muss grell, schrill, laut sein, und zwar recht unab­hän­gig von Text oder Handlung, Hauptsache mit vie­len Verrenkungen. Gott sei Dank ohne Kunstblut.

Nun ist es durch­aus berech­tigt (und noch dazu sehr in Mode), gewis­ser­ma­ßen gegen den Text zu insze­nie­ren. Ein sol­ches Verfahren (Kenner dür­fen an die­ser Stelle «Dekonstruktion» mur­meln) lebt jedoch vom Kontrast: je bra­ver und unzeit­ge­mä­ßer der Text, desto wirk­sa­mer. Doch Elfriede Jelineks über-arti­fi­zi­el­les sprach­li­ches sam­pling mit Versatzstücken aus Medizin‑, Wirtschafts- und Pornodiskursen ist als sol­ches schon ein Frontalangriff. Auch ihre Figuren haben kei­ner­lei Fallhöhe, weil sie nicht die gering­sten Anstalten machen, sich als Persönlichkeiten zu ent­wickeln, wie man frü­her sag­te. Sie sind von vorn­her­ein als Denunziationen ange­legt. So beschleicht einen das Gefühl, hier soll über­haupt nicht gegen oder für den Text gespielt wer­den, son­dern der Text ist eher ein Vorwand, um sich mal rich­tig aus­zu­to­ben. Es geht auch nicht um die gute alte Publikumsbeleidigung, dafür ist alles ein­fach zu sehr auf Amusement statt auf Schock getrimmt (wie gesagt, kein Kunstblut).

Publikumsausklammerung

Dafür ent­steht eher Publikumsausklammerung: Durch den per­ma­nen­ten high dri­ve und die Vernachlässigung der dra­ma­ti­schen Handlung ver­liert man lang­sam, aber sicher den Bezug zum Geschehen, das sowie­so strecken­wei­se einer Freakshow gleicht. Das exal­tier­te Gezappel wirkt des­halb oft­mals wie, nun ja, Gezappel; ohne das Publikum wirk­lich mit­zu­rei­ßen, hängt es in der Luft (und das nicht nur, weil der Elch und der Bär zu Beginn an Stripteasestangen rum­klet­tern).

Das zeigt vor allem am Ende der Show. Jelineks Stück hat näm­lich durch­aus einen Clou: Vom Kellner der Raststätte auf­ge­klärt, ent­schlie­ßen sich die bei­den Ehemänner, heim­lich mit dem Bären und dem Elch die Rollen zu tau­schen und es ihren Frauen so rich­tig zu besor­gen. Doch der bit­te­re Witz, der auf ihre Demaskierung folgt (ihre sexu­el­le Unzulänglichkeit; die anhal­ten­de Frustration der Frauen; und dann das hap­py end, weil alle mer­ken, dass sie beim Sex gefilmt wur­den – media­ler Ruhm, qua­si) bil­det kei­nen dra­ma­ti­schen Höhepunkt. Zwischen den Gebäuden der Gessnerallee, wo man inzwi­schen steht, weil das Ende in einen halb­of­fe­nen LKW ver­la­gert wur­de, springt auch beim bru­ta­len Schlussmonolog aus dem Text «Über Tiere» der Funke nicht wirk­lich über. Irgendetwas geht da hoff­nungs­los zugrun­de, das spürt man; aber man hat durch die vor­he­ri­ge Überfülle zu viel Distanz, um es zu erle­ben: das ver­stö­ren­de Ereignis, das Kunst sein kann.

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