Tour d’ Horizon zwi­schen Ernst und Augenzwinkern

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«Ein jeder lauscht und jeder sinnt» – so dich­te­te Hesse einst, pas­send zum gest­ri­gen Liederabend zu Ehren sei­nes 50. Todesjahres. Seine zahl­rei­chen Gedichte zur Todessehnsucht könn­ten den Eindruck erwecken, dass er schon frü­her hät­te ster­ben wol­len. «Wo mag mei­ne Heimat sein?», frag­te er sich stets und fand sie dann doch nicht im Tod, son­dern im Tessin. Dort liess er sich zu kon­tem­pla­ti­ven Naturbetrachtungen anre­gen, die er immer wie­der mit tief­sin­ni­ger Introspektion kom­bi­nier­te. Die Freunde des Liedes, meist älte­re Damen und Herren, sind tat­säch­lich auch wegen Hesses Lyrik hier und fra­gen sich vor­ab skep­tisch, ob ihnen «so moder­ne» Vertonungen sei­ner Gedichte gefal­len könn­ten.

Perfekte Harmonie

Sie wer­den nicht ent­täuscht. Die Liedauswahl, wel­che die Mezzosopranistin Claude Eichenberger und ihre Begleiterin Felicitas Strack prä­sen­tie­ren, läuft nicht Gefahr, an Mendelssohn und Schubert gewohn­te Ohren zu sehr zu irri­tie­ren. Die bei­den Künstlerinnen har­mo­nie­ren her­vor­ra­gend und sind mit hei­li­gem Ernst bei der Sache. Der Ernst bekommt nicht allen Liedern gleich gut. Gleich zu Beginn hören wir ein Werk des jüdi­schen Komponisten Paul Breisach, das sei­nen Charakter als über­schwäng­lich-sehn­süch­ti­ges Liebeslied erst ent­wickelt, als es – viel ent­spann­ter – als zwei­te Zugabe wie­der­holt wird. «Der Wanderer an den Tod» von Walter Jesinghaus hin­ge­gen sorgt ohne Aufschub für Gänsehaut, und auch «Im Nebel» in der Vertonung von Egon Kornauth ver­fehlt sei­ne Wirkung nicht. «Kein Mensch kennt den andern, jeder ist allein.» Nachdem die­ser berühm­te Satz ver­klun­gen ist, wagt es kei­ner sich zu rüh­ren, bis schliess­lich jemand lei­se hustet.

Eine Prise Humor

Humor im Programm bie­tet das Lied vom Pfeifen des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck, des­sen Bronzebüste das Publikum schon beim Eingang begrüsst hat­te. Claude Eichenberger ist jetzt so rich­tig in ihrem Element, und das Publikum gluckst erleich­tert. Die Tour d’ Horizon der Liedkomponisten jen­seits von Schubert und Brahms fin­det ihren Höhepunkt in zwei beson­de­ren Perlen. Ursula Mamlok, die ein­zi­ge Komponistin, die noch lebt, ver­leiht dem manch­mal beschau­li­chen Hesse durch ihre Musik eine dra­ma­ti­sche Note, und Yrjö Kilpinen weckt Assoziationen an fin­ni­sche Weiten. Auch der Humor wird noch gestei­gert, indem das Lied vom Pfeifen als Zugabe zum char­man­ten Pfeifkonzert der Sängerin wird.

Pastellfarben und Grossmütter

Eine Sängerin im Abendkleid, eine Pianistin im ele­gan­ten Anzug, und ein lack­schwar­zer Flügel von Steinway, der ehr­wür­dig-dia­go­nal auf der Bühne thront, im Hintergrund Täfer mit Goldrand und im Vordergrund pastell­far­be­ner Blumenschmuck – die Zauberformel fast jeden Liederabends. Vielleicht braucht es frü­her oder spä­ter neue Formeln, damit die Liedkunst nicht mit ihrem Publikum aus­stirbt. Oder mehr Ohren, die mit dem Herzen der Grossmutter lau­schen, die frau viel­leicht ein­mal sein wird. Und das mit dem gröss­ten Vergnügen. Wie mei­ne.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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