Eine Frage der Brüderlichkeit

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Wer ist lau­ter? Wer schnel­ler? Wer kann höher klet­tern? Wer bes­ser bau­en? In sol­chen Fragen wett­ei­fern Kinder mit Geschwistern und Kameradinnen. Die bei­den Brüder Jakob und Pieter Ampe sind zwar schon längst aus dem Kindesalter raus, tun aber das­sel­be. Die zwei Brüder sind sich schein­bar in allem gleich und sehen sich dazu auch noch zum Verwechseln ähn­lich, nicht nur wegen ihrer Vollbärte. Umso wich­ti­ger also, sich vom ande­ren abzu­gren­zen.

Theater (wie) im Kinderzimmer

Siebzig Minuten lang per­for­men Jakob und Pieter um die Wette. Dabei ver­sucht jeder, sich zu behaup­ten und den ande­ren aus­zu­ste­chen. Jakob und Pieter schrei­en, bis ihnen die Puste aus­geht, jagen ein­an­der im Kreis, klet­tern auf immer wack­li­ge­re und höhe­re Türme aus Holzkisten. Ihr Wettstreit ist mal wort­los, mal laut­stark, er nutzt das gan­ze Repertoire von hin­ter­häl­ti­gen Tricks bis zu fried­li­cher Verspieltheit. Mal berüh­ren sich ihre Nasen, dann wie­der hocken sie in den gegen­über­lie­gen­den Enden des Raumes. Ein Hin und Her, bei dem man schnell den Überblick ver­liert.

«Jake and Pete’s Big Reconciliation Attempt for the Disputes from the Past» ent­stand im Rahmen eines Mentoringprogramms des letzt­jäh­ri­gen «Festivals Spielart» München. Jakob und Pieter Ampe spann­ten hier­für mit Alain Platel, dem bekann­ten bel­gi­schen Choreografen und Regisseur, zusam­men. In der Tradition ihres Mentors ver­bin­den die bei­den Brüder in ihrer Performance Elemente des Theaters, des Zirkus’, der Musik und des Tanzens. Was dar­aus ent­steht, ist ein­zig­ar­tig – und sehr per­sön­lich.

Ganz leger in Alltagskleidern und bun­ten Wollsocken geklei­det, schei­nen sich Jakob und Pieter auf der Bühne wort­wört­lich zu Hause zu füh­len. Genauer: Sie schei­nen in die Tage ihrer Kindheit und in ihr Kinderzimmer zurück­ver­setzt. Für die­se Zeitreise braucht es wahr­lich nicht viel. Lediglich ein paar Holzkisten fin­den sich auf der Bühne. Der Rest geschieht in der und mit viel Phantasie.

Herzzerreissendes Familienporträt

Auch wenn Jakob und Pieter mit­ein­an­der wett­ei­fern, sich per­ma­nent gegen­sei­tig antrei­ben und aus­trick­sen, ent­ste­hen zwi­schen­durch auch ruhi­ge Momente. In die­sen Augenblicken wird eine star­ke Verbundenheit der bei­den Brüder greif­bar. So etwa ganz am Schluss, als die bei­den gemein­sam ihr «Kinderzimmer» auf­räu­men, um sich kurz dar­auf gegen­sei­tig in ein Glitzerkostüm zu hel­fen und die «Declaration to stop fight­ing» vor­zu­tra­gen. Wobei sie sich auch hier am Ende nicht einig sind, ob sie nun gekämpft oder ein­fach nur gespielt haben. Es sind solch berüh­ren­de Minuten, die das Familienporträt prä­gen.

Wer war denn nun lau­ter? Wer schnel­ler? Wer klet­ter­te höher und bau­te bes­ser? Am Ende blei­ben die­se Fragen unbe­ant­wor­tet. Die Antworten spie­len aber auch längst kei­ne Rolle mehr. Viel mehr ste­hen jetzt zwei Männer auf der Bühne, die bewie­sen haben, was ech­te Bruderliebe und, dar­aus erwach­sen, eine rich­ti­ge Männerfreundschaft ist. Der «gros­se Schlichtungsversuch», den der Titel der Perfomance ankün­digt, wird damit zur herz­zer­reis­sen­den und humor­vol­len Familiengeschichte.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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