Konfrontation mit XXL-Köpfen

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Ein Holzkorpus mit Glatzkopf schwankt auf einen zu. Auf drei gros­sen, über­ein­an­der hän­gen­den Leinwänden kommt er einem ent­ge­gen, sobald man in den Räumen der Galerie Mark Müller steht, wo der­zeit die Ausstellung der deut­schen Künstlerin Heike Kati Barath zu sehen ist.

Im Hintergrund sieht man blau­en Himmel mit weis­sen Dunstwolken. Der Blick schweift in die Höhe und man betrach­tet den rund­li­chen Riesenkopf, der auf einem Holzpfahl balan­ciert und ent­rückt über alle Häupter hin­weg grinst. Der Pfahl steckt auf einem Gerüst aus sich kreu­zen­den Holzbalken, an des­sen Seiten abge­win­kel­te, höl­zer­ne Unterarme bau­meln. Sie erschei­nen unge­lenk und enden uner­war­tet in weis­sen Fingerhandschuhen, denen etwas Clowneskes anhaf­tet. Eine Hand ist geballt, die ande­re hängt schlaff her­ab. Zwei ver­form­te Hölzer stecken am unte­ren Ende in schwar­zen, knö­chel­ho­hen Schuhen.

Das Gemälde «o.T.» stammt aus dem Jahre 2011 und offen­bart die Fusion von zwei Themen, mit denen sich die 1966 gebo­re­ne Künstlerin beschäf­tigt: fron­ta­le Porträts mit über­gros­sen Köpfen und das Material Holz. Ihre Vorliebe für die Porträtmalerei ent­deck­te Heike Kati Barath vor vier­zehn Jahren, wäh­rend ihres Abschlussjahres an der Kunstakademie Münster. Seither por­trä­tiert sie wuch­ti­ge Frauen- und Männerköpfe, aber auch Babys, Hasen, Monster und andro­gy­ne Wesen.

Spiel mit Mimik

Der Künstlerin ist es gelun­gen, die Porträtmalerei neu zu inter­pre­tie­ren, indem sie die Gesichter auf eine infan­til wir­ken­de Weise abstra­hiert. Sie zeich­net jen­seits von natur­ge­treu­en Proportionen und redu­ziert die Gesichtsmerkmale auf das Wesentliche. Alle Augenpaare stellt die Künstlerin so klein wie mög­lich dar, weil ihr Durchmesser letzt­lich nicht ent­schei­dend sei, um den jewei­li­gen Gemütszustand aus­zu­drücken. Heike Kati Barath malt freund­li­che oder böse, ängst­li­che oder mutig drein­blicken­de Äuglein, weil sie das Spiel mit der Mimik reizt.

Der Blick eines Frauenkopfes fixiert uns bedroh­lich von der Leinwand. Ihre lan­gen rot­blond gewell­ten Haare sind straff hin­ter die zwei gros­sen Ohren gezo­gen und deu­ten eine Frisur der deut­schen Renaissancemalerei an, wie etwa die Frauen in den Gemälden von Hans Baldung Grien. Aufgrund der drei Kratzer am Hals, der gerö­te­ten Mundpartie, dem schwar­zen Vogel auf der Schulter und dem düste­ren Hintergrund stellt sich ein unheim­li­ches Gefühl ein und man fragt sich unwei­ger­lich, was die­se Frau hin­ter ihrem fin­ste­ren Mienenspiel wohl ver­stecken mag?

Auf der ande­ren Seite des Raumes hängt ein wei­te­res Frauenporträt. Hellblonde Strähnen schlän­geln sich ihr vom Kopf her­ab. Der Blick der Frau ist sehr direkt und hat fast etwas Hypnotisierendes. Ein leicht geschwun­ge­ner, roter Strich deu­tet ein Lächeln an und hin­ter der rech­ten Schulter guckt ein schwar­zer Affenkopf her­vor, der mit dem dunk­lem Hintergrund ver­schmilzt und die viel gestell­te Frage ins Gedächtnis ruft, ob der Mensch nun vom Affen abstam­me oder nicht.

Traditionsbrüche mit vol­lem Körpereinsatz

Manchmal klebt Heike Kati Barath Wackelaugen auf ihre Gesichter, spritzt mit Fugendichter sträh­nig wir­ken­de Haare oder kon­zen­tri­sche Kreise in die Augenhöhlen. Gerne expe­ri­men­tiert die Wahlberlinerin mit anders­ar­ti­gen Materialien und Techniken und fer­tigt strecken­wei­se eigen­wil­li­ge Büsten an. Der regel­mäs­si­ge Bruch mit der tra­di­tio­nel­len Ölmalerei macht einen wesent­li­chen Teil ihrer künst­le­ri­schen Arbeitsweise aus. Nur so kann sie sich letzt­lich immer wie­der mit fri­schem Elan und neu­en Ideen der rei­nen Malerei zuwen­den.

Um ihre gross­flä­chi­gen, rosa­far­be­nen Gesichter an der gewünsch­ten Position zu malen, steht Heike Kati Barath bei ihren zumeist gross­for­ma­ti­gen Leinwänden auf einer Leiter. Hochkonzentriert und mit vol­lem Körpereinsatz beginnt sie stets im Zentrum und arbei­tet sich dann mit krei­sen­den Pinselbewegungen nach aus­sen. So ent­ste­hen mal rund­li­che, mal ova­le Riesenköpfe, die mei­stens eine hohe Stirn und aus­ge­präg­te Ohrmuscheln auf­wei­sen. Bei ein­ge­hen­der Betrachtung kann man die Pinselführung mit den Augen zurück­ver­fol­gen.

Wechselbad der Gefühle

Es fällt auf, dass nur zwei Bilder in die­ser Ausstellung gänz­lich ohne mensch­li­che Elemente sind. Einmal ist es eine Aquarellzeichnung, auf der in roten Grossbuchstaben der Ausstellungstitel «man­no­mann» prangt, zum ande­ren ist es ein wei­te­res drei­tei­li­ges Kunstwerk mit einem labi­len Holzturm. Dieser erin­nert an ein rie­si­ges Mahnmal, das hoch hin­aus­wächst und die Räumlichkeiten spren­gen könn­te, wenn es nicht solch eine wack­li­ge Konstruktion wäre. Deshalb ver­mit­telt der Turm eher den Eindruck, als ob er jeder­zeit über einen her­ein­bre­chen könn­te, wäh­rend der Blick in den sich dahin­ter erstrecken­den Himmel abschweift.

In der aktu­el­len Ausstellung Baraths erlebt der Besucher ein Wechselbad der Gefühle: er fühlt sich von einem Holzgerüst mit Kopf bedrängt, muss sich vor bösen Blicken fürch­ten, meint vor einer blon­dier­ten Medusa zur Salzsäure zu erstar­ren oder bangt von einem her­ab­fal­len­den Stück Holz getrof­fen zu wer­den. Die Malerei mit ihren kräf­ti­gen Farben und den unpro­por­tio­na­len Grössenverhältnissen zwängt sich auf – man ent­kommt ihr nicht. Vielmehr muss sich der Besucher den her­aus­for­dern­den, flä­chi­gen Gesichtern und insta­bi­len Holzgerüste stel­len, um irgend­wann des­il­lu­sio­niert zu erken­nen, dass sich hin­ter mensch­li­chen Fassaden viel Unheimliches ver­ber­gen kann und Holz kein Garant für Standfestigkeit ist.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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