Einer schiesst sich frei

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«Der Freischütz» des Komponisten Carl Maria von Weber ist eine belieb­te deut­sche Oper aus dem frü­hen 19. Jahrhundert, der Zeit der Romantik. Es ist fast schon unge­zo­gen, die­se Oper mit einem klei­nen Ensemble in einem Off-Theater auf­zu­füh­ren. Denn um eine Opernaufführung und um nichts ande­res han­delt es bei der Produktion «Freischiessen». Hoppla, sagt man, wenn das nur gut geht!

Waldstück oder Bürodrama?

Doch zunächst zur Handlung. Sie spielt in den mehr­fach orche­ster­ver­ton­ten Fluren und Wäldern Böhmens. Max ist ein jun­ger Schützenmeister. Er steht davor, Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno, zu hei­ra­ten. Dazu muss er vor dem Landesfürsten und des­sen ver­sam­mel­ter Jagdgesellschaft eine Taube von einem Baum schies­sen. Nur hat Max beim dörf­li­chen Schützenfest kläg­lich ver­sagt und vor der alles ent­schei­den Jagd ein sol­ches Lampenfieber, dass er sich mit dem Teufel ein­lässt. Mit des­sen Hilfe giesst er ver­hex­te Freikugeln, die immer tref­fen. Aber der der Leibhaftige lenkt die­se Kugel statt auf die Taube auf Agathe. Die Oper hielt ein glück­li­ches Ende bereit. Doch die Aufführung in der Gessnerallee ver­zich­tet voll­kom­men auf Versöhnlichkeiten.

Falsch. Die Handlung geht anders. Max ist ein klei­ner Bürochef. In sei­nem «Team» arbei­ten drei Frauen. Jede ist Agathe und will den Chef hei­ra­ten. Dem steht ent­ge­gen, dass Max ein wich­ti­ges Geschäft in den Sand gesetzt hat. Entschlossen zieht er aus, um die Scharte mit ver­stärk­tem Einsatz aus­zu­wet­zen: «Mich rufen Macht und Pflicht von hin­nen…!». Das frei­lich endet in einem «Burn Out». Max wird ent­las­sen, lan­det auf dem Arbeitsmarkt, den er als Hölle erfährt. In para­no­ide Angstzustände ver­strickt packt Max sein Sturmgewehr und schiesst sich in einem Amoklauf frei. Begleitet vom Lied Den schö­nen, den schö­nen grü­nen Jungfernkranz… töten sei­ne Kugeln die Büro-Agathen.

Musik und Schauspiel

Die Lieder und Sprechszenen erzäh­len die erste Version der Handlung. Nicht die gan­ze Oper von Weber, aber vie­le der belieb­ten Lieder dar­aus erklin­gen. Eine ganz beson­de­re Wirkung ent­steht dadurch, dass die Aufführung statt in einem prot­zi­gen Opernhaus auf einer klei­ne­ren Bühne statt­fin­det. So nahe kriegt man eine Oper sel­ten zu sehen. Dennoch las­sen die Darsteller Tamas Henter (Max), Maria Gerter, Diomari Montoya und Simona Rigling (Agathe) nichts anbren­nen. Ihre Stimmen tra­gen auch dort, wo sie von der Regie (Johannes Müller) gehö­rig auf der Bühne her­um­ge­wir­belt wer­den, und selbst dann noch, wenn sie rück­lings auf einer Sofalehne lie­gen. Dieser anspruchs­vol­len Inszenierung folgt die Musik schein­bar spie­lend. Der Dirigent (Eduardo Strausser) gibt kon­zen­triert und sicht­lich erfreut sei­ne Einsätze. Mit dem klei­nen Orchester bringt er die Opernmusik in einer sprit­zi­gen Interpretation auf die Bühne. So gibt es in der gan­zen Aufführung kein «könn­te noch mehr…», «hät­te man sol­len…». Wer klas­si­sche Musik mag, sitzt ein­fach da und geniesst das Singspiel.

Potenzverlust

Es bleibt die Frage, an wel­cher Version man sich freut. Die Inszenierung baut eine Brücke zwi­schen dem Schützendrama und der «Business»-Tragödie. Auf der Bühne ste­hen Büroschränke, Regale, oder auch ein Sof Diese Gegenstände sind ver­hext und ver­wan­deln sich je nach Bedarf in Felsen, in dich­ten Wald, in die Wolfschlucht, wo sich der arme Max durch Büro-Hydro-Kulturen schlägt, und der Leibhaftige ihm in Form von daher­rol­len­den Regalen zu Leibe rückt. Diese Bühnengestaltung (Lukas Sander) ist nicht nur wir­kungs­voll, son­dern mit tra­gi­ko­mi­schen Elementen gespickt.

Auf der psy­cho­lo­gi­schen Ebene läuft die Oper so oder anders auf das­sel­be hin­aus. Unschwer erkennt man die phal­li­sche Symbolik im Gewehr und im Schuss. Der hei­rats­wil­li­ge Schütze oder «Manager» muss vor allen Vorgesetzten (Erbförster und Landesfürst; CFO und CEO) bewei­sen, dass sei­ne Kugel trifft. Diesem Druck hält er nicht stand. Seine Potenz ver­sagt. Er bekommt sei­ne Agathe nicht, wobei Agathe, «die Gute», für eine glück­li­che Zukunft steht.

«Freischiessen» ist im Rahmen des Masterstudiums an der Zürcher Hochschule der Künste ent­stan­den. Die Verwegenheit der Studierenden hat sich gelohnt. Im Gegensatz zum jun­gen Max ist ihnen mit der Aufführung das Meisterstück bestens geglückt. Die Beteiligten haben ihre Agathe ver­dient, wofür immer sie auch ste­hen mag.

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