Klischee und Vorurteil im Pas de deux

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Die Roma stin­ken, waschen ihre Kleider nie und wol­len sowie­so nicht zur Schule gehen. Das Stück «Open for Everything» mar­kiert gleich zu Beginn, dass es kei­ne Berührungsängste kennt. Zum Auftakt des Theater Spektakels fin­den sich die Zuschauer in der Werft irgend­wo zwi­schen pla­ka­ti­ver Hatz, roman­ti­schen Klischees und lebens­frem­den Casting-Show-Träumen wie­der. Es ist für alle Beteiligten nicht ein­fach, hier Halt zu fin­den – das zeich­net das Stück aus.

Das Publikum atmet hör­bar auf, als der wil­de Haufen end­lich auf­hört zu tan­zen. Es woll­te kein Ende fin­den: die Tänzer zogen Kleider an, nur um sie sich gegen­sei­tig wie­der vom Leib zu reis­sen. Das Gesehene lag irgend­wo zwi­schen Harmonie und Übergriff, eine exzes­si­ve Szene. Das anfäng­lich lüp­fi­ge Geigenspiel wur­de zum ner­vi­gen Gefiedel. Der Anfangs wit­zi­ge Nonsens-Refrain «Armani, Versace, Gucci» arte­te zum nerv­tö­ten­den Mantra aus. Zwei Romni wech­seln naht­los zum flot­ten Flamenco. Lauter Szenenapplaus von eini­gen weni­gen, allen ande­ren steckt die bedrücken­de Szene von vor­her noch in den Knochen.

Starke Zwischentöne

Auf ein­mal wird aus der Zigeuner-Romantik ein sich bestä­ti­gen­des Vorurteil. Regisseurin Constanza Macras ver­deut­licht das Bild mit wei­te­ren Klischees und lässt eine Ultra-Rechte auf eine Ethno-Romantikerin tref­fen. Zum Schluss des häss­li­chen Dialoges sind bei­de Karikaturen gleich schlimm.

Ihr Widerstreit aber, setzt sich – ganz fein – im Zuschauer fort. Macras lässt nicht zu, dass es sich das Publikum zu bequem macht. Es sieht sich zuse­hends vor, sich mit­reis­sen zu las­sen, denn die Stimmung kann sehr schnell umschla­gen. Das macht wach und auf­merk­sam und ist die gros­se Stärke von «Open for Everything».

Titelgebend für das Stück wur­de der Satz, den Macras so oft hör­te bei den Castings in der Slowakei, Tschechien und Ungarn. Auf Recherchereise begab sich die 42-Jährige auf Anregung des Goethe-Instituts. Auch mit Laien hat die argen­ti­ni­sche Wahl-Berlinerin schon ein­mal gear­bei­tet, als sie für «Scratch Neukölln» Kinder und Jugendliche aus dem Problem-Viertel auf die Bühne hol­te.

Ein Volk ohne Land

Nun ste­hen die 17 Roma mit 5 Mitgliedern aus Macras’ Ensemble DorkyPark auf der Bühne. Wenn die durch­misch­te Truppe in Gipsy-Chic, Trainerhosen und Stöckelschuhen so vor der Wellblech-Garage steht, könn­ten sie über­all sein.

Insgesamt leben unge­fähr 12 Millionen Roma in Europa. Davon 50 000 in der Schweiz, so schätzt die Rroma-Stiftung Zürich. Auf ganz Europa ver­teilt haben sich die Roma nicht frei­wil­lig. Sie waren nir­gends will­kom­men und des­halb zum Reisen gezwun­gen, erklärt eine Broschüre der Stiftung. Ursprünglich stam­men die Roma aus Indien. Warum sie es zu Beginn des 15. Jahrhunderts ver­las­sen haben, ist bis heu­te unge­klärt.

«Open for Everything» ist eine Identitätssuche. Das Stück stimmt nach­denk­lich, des­il­lu­sio­niert auch. Und doch bleibt es ein Tanz, irgend­wo zwi­schen Hochglanz-Pop und Tradition, die auch Klischee sein könn­te.


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