Wandern mit Walser

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Fünf, vier, drei, zwei, eins. Angezählt, mit der Stoppuhr in der Hand und pünkt­lich um  19.30 Uhr, geht «Der Teich» von Robert Walser, auf dem Platz vor der Zürcher Gessnerallee los. Schnell haben sich die Wartenden in drei Gruppen ein­ge­teilt. Schnell, lang­sam und mit­tel. Gemeint ist wohl das Marschtempo. Nichts also mit beschau­li­chem Wandern auf Walsers Spuren. Mit der Entscheidung in wel­chem Tempo man gehen will, wählt man sowohl sei­nen Guide als auch sei­ne Wanderpartner. Gut Schweizerisch ent­schei­den sich vie­le für das Tempo mit­tel. Die Gruppen Langsam und Schnell sind über­schau­ba­rer. Nach einer kur­zen Einführung über Robert Walser, geht der Walser Darsteller und Walser Interpret, Kaspar Weiss, manch­mal Fritz geru­fen, in hasti­gen Schritten los. Die Mittleren fol­gen erst zöger­lich, die Schnellen und die Langsamen sind schon weg. Rein in die Räume der Darstellenden Künste, durch das Treppenhaus rauf und run­ter, etwas über den geschei­ter­ten Versuch Walsers, Schauspieler zu wer­den erfah­rend. Ihm wur­de völ­li­ge Talentlosigkeit atte­stiert und die Türen der Ausbildungsstätte blie­ben ver­schlos­sen. Schnellen Schrittes gelangt die Gruppe schliess­lich in eine Art Notfallkäfig. Die Sicherheitstüre dür­fe nicht geöff­net wer­den, ver­langt der tem­po­rä­re Walser. Dichtgedrängt unter dem Gitter den Ausführungen lau­schend, die – wie ange­kün­digt – mäan­dern zwi­schen Walser und den eige­nen Erfahrungen des Schauspielers. Kaspar Weiss ist schon in sei­ner Jugend weit her­um gekom­men. Ein Leben zwi­schen Ankommen und Abschied neh­men, anek­do­tisch ange­rei­chert mit Erlebnissen aus sei­nem Alltag als Schauspieler. Schliesslich darf die Sicherheitstüre den­noch geöff­net wer­den und die Gruppe fin­det sich wie­der an den Gestaden der Sihl, umspült von den Geräuschen der Stadt. Feuchtwarm dampft das Ufer, der kur­ze Regen davor hat die Luft noch mehr auf­ge­la­den. Gehen, ste­hen blei­ben, den Passagen aus Walsers Werk lau­schen. Kaspar Weiss geht suchend, aber schnel­len und fieb­ri­gen Schrittes.

Der Sihl ent­ge­gen

«Der Teich», erst­mals im Sommer 2011 anläss­lich der Walser Tage Herisau auf­ge­führt, wur­de von 400asa für die Zürcher Festspiele an die Zürcher Topographie ange­passt. Der Entscheid, das Stück an der Sihl zu spie­len ist nahe­lie­gend, fliesst der Fluss doch direkt hin­ter der Gessnerallee und wur­de das Ufer in den letz­ten Jahren zum Naherholungsgebiet auf­ge­wer­tet. Reizvoll ist die­se Mischung von, städ­ti­scher Flusslandschaft, urba­nen Geräuschen und poe­ti­schem Text. Das an die­sem Abend so oft zitier­te Wort Einsamkeit, erfährt in die­ser Umgebung eine Bedeutungsverlagerung. Suchte Walser sie auf sei­nen lan­gen Spaziergängen in der Natur, het­zen die­se Wanderer im Stechschritt durch die Geräuschkulisse der Stadt, lau­schen den Worten, die die Liebe zum Alleinsein zum Ausdruck brin­gen und müs­sen gleich­zei­tig noch die Sihltal-Bahn erwi­schen. Mitten in den Leuten, den­noch in einer andern Welt. Bei der Autobahnauffahrt wird die Wanderung fort gesetzt. Sie führt durch das Quartier rechts und links der Schnellstrasse, durch den Elfenweg, hin­ter den Aufschüttungen vor­bei, die vor dem Strassenlärm schüt­zen. An den Rändern der Stadt lädt ein idyl­li­sches Viertel, das man so nicht erwar­tet, zum Entdecken ein. Zwei Bierchen, geteilt durch alle Durstigen, auf die Schnelle im Garten Restaurant Muggenbühl. «Diesen Ort soll­te man sich mer­ken» ist ver­ein­zelt zu hören. Im Garten einer Bildhauerin begeg­net den Wanderern zum ersten Mal Clara. Noch ist sie aus Stein gemeis­selt, doch spä­ter, auf der Allmend wird sie leben­dig und laut erschei­nen. Den andern Fritz hat man an den Ufern der Sihl bereits gekreuzt, er woll­te sich mit sei­ner Gruppe aber nicht anschlies­sen. Kaspar Weiss sucht sei­nen Weg, irr­lich­tert, ist getrie­ben und so wird es auch sei­ne Zuschauerschar. Soll sein schnel­ler Schritt über­nom­men wer­den, soll Abstand gehal­ten wer­den, soll unter­ein­an­der gespro­chen wer­den, sol­len die Eindrücke mit­ein­an­der geteilt wer­den? Mittlerweile auf der Überführung der Autobahn, eröff­net sich der Blick auf die Allmend Brunau. Im 19. Jahrhundert noch Ausflugsziel der Städter, eine Stunde Fussmarsch von der Stadt ent­fernt. Vielleicht war Robert Walser wäh­rend sei­ner Zürcher Zeit auch hier auf sei­nen viel­ge­lieb­ten lan­gen Spaziergängen durch die Natur anzu­tref­fen.

Täuschungsmanöver am Teich

Walser, der sich selbst als Versager und unge­liebt fühl­te, behan­del­te in sei­nem ein­zi­gen Mundartstück das Thema durch Vortäuschen des eige­nen Todes die Liebe der Mutter auf die Probe zu stel­len. Kaspar Weiss depo­niert sei­ne schä­bi­ge Jacke am Ufer und legt sei­nen Strohhut aufs Wasser, (Kostüme Wanda Wylowa) damit er auch mal schwim­men dür­fe und ver­schwin­det im Schilf. Die bei­den ande­ren Walser Charaktere Fritz und Clara, inter­pre­tiert durch Philippe Graber und Aite Ting, bis dahin mit ihren Gruppen unter­wegs, tref­fen auf den vor­ge­täusch­ten Selbstmord . In einer Verdichtung des Stoffes und des Dichters Biografie, lockt die Gruppe den Zuschauer mehr und mehr in Walsers Universum. Das gelingt. Gebannt folgt man den drei Darstellern, ist Teil der Geschichte. Passend dazu die auf­kom­men­de Dämmerung, die der Szene (Bühne und Licht Philipp Stengele) zusätz­lich Intensität ver­leiht. Doch aus Kaspar Weiss der doch eben noch Fritz war, wird plötz­lich Ramazotti, der unter der Autobahnbrücke im Schotter, über die offe­ne Psychiatrie im Italien der 80er Jahre refe­riert. Aite Ting wird zum Regisseur Michael Haneke, der mit dem Film «Das weis­se Band» über das bedrücken­de Leben in einem Dorf kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges erzählt und aus Philippe Graber wird von Schirach. Gemeint ist wohl der Jurist und Schriftsteller Ferdinand von Schirach, der sich auch in sei­nen Texten mit der Frage der Schuld beschäf­tigt. Einerseits führt das weit weg von Walsers poe­ti­schem Universum, ande­rer­seits war die Psychiatrie – die Anstalt – für Robert Walser von 1929 bis zu sei­nem Tod 1956 selbst­ge­wähl­te Heimat, schlägt also wie­der­um  einen Bogen zu Walsers bio­gra­fi­schen Daten.

Das Alleinsein

Nach der gut zwei­stün­di­gen Wanderung durch Stadtgebiet, ent­lang der Sihl, reicht Julian M. Schnabel (Regie) den hung­ri­gen und wohl auch müden Walser Wanderern die Zange, damit sie sich ein heis­ses Wienerli aus dem Kübel grei­fen kön­nen. Gut Zürcherisch wird dazu ein Bürli ser­viert. Gerne möch­te man noch ver­wei­len, die ver­schie­de­nen Eindrücke sich set­zen las­sen, die uner­war­tet auf­ge­tauch­ten tableaux vivants viel­leicht noch ein­mal anschau­en gehen, wenn sie denn noch da wären. Doch dring­lich tönt die Stimme aus dem Diktiergerät: «Göht! Göht! Ig wett alläi­ni sii.» Der Aufforderung muss Folge gelei­stet wer­den. In Dunkelheit gepackt ist die Allmend. Verhüllt, was eben noch zu sehen war. Die Haltestelle Manegg füllt sich mit den Menschen. Die Sihltal-Bahn hält auf dem einen Gleis, nimmt sie alle auf und fährt – pünkt­lich – um 22.00 Uhr mit ihnen zurück in Richtung Stadt.

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