Vorhang auf für Locarno

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Ein Trailer ver­führt an die Kinokasse und vor die Glotze, die Exposition lockt einen hin­ein in den Film: In bei­dem zäh­len die ersten Sekunden und Schnitte. Sie ent­schei­den über die Atmosphäre, die eige­ne Filmschrift eines Regisseurs. Oft blei­ben erste Versprechen auf der Strecke – Energie ver­pufft, Verdichtung erweist sich als Bluff. Dann reich­te es nur zum Flirt, zum Vorspiel, von plum­per Anmache nicht zu schwei­gen. Dann fehlt noch die Substanz, der lan­ge Atem zur Liebe. Denn dar­um geht es letzt­lich in jeder Kunst, ohne sie fehlt ihr die Poesie.

Gemeint sind die Dramen und Komödien aus der nahen und wei­ten Welt, die jeden August wie­der in brü­ten­der Hitze in der Tessiner Provinz zu Gast sind. Dabei mischen sich Film und Bühne, Darsteller und Selbstdarsteller im ewi­gen Rollenspiel wie flüch­ti­ges Tourneetheater. Die Kleinstadt wird zur Grossbühne. Eine tem­po­rä­re Invasion von Zuschauern, die ihr Interesse am Film auch mimen, bevöl­kert die Lounges zwi­schen dem Palazzo Fevi und der Piazza, eilt von Sala zu Sala, mit kur­zen Zwischenhalten in Bars. Sie geben sich Bedeutung und suchen nach Deutung auch manch rät­sel­haf­ter Filme.

Ausnahmezustand Film

Während sich die Medien auf zu früh abge­sag­te Altmeister und vor­ei­lig ange­sag­te Jungmeister stür­zen, erfin­det die Festivalleitung mit­hil­fe der Sponsoren zum Entkorken eines bestimm­ten Champagners stets wie­der neue «Ehrenleoparden». Um fil­mi­sche Prominenz, meist älte­re Jahrgänge, aber wie gute Weine, ins Scheinwerferlicht zu gewin­nen vor Europas gröss­ter Leinwand im Freien zwi­schen barocken Häuserzeilen. Dabei fas­zi­nie­ren weni­ger die insze­nier­ten Momente, die fei­er­lich auf­ge­setz­ten Gesichter, die abseh­ba­ren Reden und kul­tur­po­li­ti­schen Rituale, Hofknickse und das gegen­sei­ti­ge Schulterklopfen, als viel­mehr die Verwandlung – auch des eige­nen Alltags in den Ausnahmezustand Film, selbst wenn die­ser nur von Banalem han­delt, als wäre man dar­in die Heldin oder der Held.

So zählt nicht nur die Auftakelung des schon 65. Internationalen Filmfestivals von Locarno zur Merchandising von Leopardenfellmuster bis unter Putzlappen. Es ist der gross­flä­chi­ge, staat­lich geför­der­te Drogenversuch durch das Medium Film mit dem Ergebnis sel­te­ner Glücksmomente, die haf­ten blei­ben. Dabei gilt jedes Jahr wie­der, wer sucht, der fin­det kaum. Wer sich hin­ge­gen auch intui­tiv trei­ben lässt durch den Dschungel des Angebots (die­ses Jahr sind es 300 Filme aus 50 Ländern), wer kur­zen Schlaf und frü­hes Aufstehen nicht scheut, wird fün­dig, wo auch die Kinosäle noch gäh­nen. – Vorhang auf zum Filmabenteuer Locarno!

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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