Von Hunden, Heuschrecken und der Vergänglichkeit des Seins

Von

|

Drucken Drucken

Von Julia Richter – Eine Ausstellung im Kunstmuseum Bern wid­met sich dem berühm­ten Werk des Berner Künstlers Ernst Kreidolf: Den ver­mensch­lich­ten Hunden, Heuschrecken und Schmetterlingen.

Was geschieht mit Hunden, wenn sie ster­ben? Sie war­ten auf dem «Hundestern», bis sie abge­holt und dort­hin zurück­ge­bracht wer­den wo sie her­ge­kom­men sind – ins All. Das letz­te Bild sei­nes berühm­ten Bilderbuchs «Das Hundefest» illu­striert, wie sich der 1863 in Bern gebo­re­ne Maler Ernst Kreidolf auf phan­ta­sie­vol­le Art mit der Endlichkeit des Seins befass­te.

Diese unauf­dring­li­che, ja, fast träu­me­ri­sche Auseinandersetzung mit dem Tod bil­de­te einen wich­ti­gen Bestandteil von Kreidolfs Werk – sei­ne eige­ne labi­le Gesundheit und meh­re­re Todesfälle in sei­nem nähe­ren Umfeld lies­sen ihn die Vergänglichkeit des Lebens immer wie­der spü­ren.

Dazu kon­tra­stie­ren in der Ausstellung «Faltertanz und Hundefest», die gegen­wär­tig im Kunstmuseum Bern zu sehen ist, lieb­li­che Sehnsuchtslandschaften wie bei­spiels­wei­se in den Bildern «Zaubergarten» und «Maientraum». In die­sen von Schmetterlingen, Vögeln und üppi­gen Blumen durch­zo­ge­nen Werken erscheint das Leben vor allem als schön und als sorg­los. Die Vergänglichkeit des Lebens scheint hier ver­ges­sen und dem unein­ge­schränk­ten Genuss des Seins Platz gemacht zu haben.

Vermenschlichung und Akribie Im Februar 2013 wäre Ernst Kreidolf 150 Jahre alt gewor­den. Von der Schweizer Post gab es zu die­sem Anlass eine Spezialbriefmarke – und vom Kunst-Museum Bern eine Ausstellung. Nachdem im sel­bi­gen 2006 die unbe­kann­ten Seiten des Künstlers prä­sen­tiert wor­den waren, wid­met sich die von Claudia Metzger und Barbara Stark kura­tier­te Ausstellung «Faltertanz und Hundefest» den Bildern, die wohl vie­le aus den Bilderbüchern ihrer Eltern und Grosseltern ken­nen. Zu sehen gibt es vor allem Insekten: Käfer, Schmetterlinge, Heuschrecken.

Das Besondere an Kreidolfs Werk ist einer­seits die Vermenschlichung von Tieren: Da gibt es Hunde, die im Lendenschurz rau­schen­de Partys fei­ern, rau­chen­de oder schlitt­schuh­fah­ren­de Heuschrecken und per­so­ni­fi­zier­te Schmetterlinge. Der Trauermantel weint, der Schwalbenschwanz ist ein ehr­wür­di­ger alter Herr. Und die Schnecke strickt ihren Schleim, damit sie wie­der nach Hause fin­det.

Gleichzeitig besticht das Werk durch akri­bi­sche Naturstudien. Fauna und Flora sind mit lie­be­vol­ler Genauigkeit abge­bil­det, und in der Personifizierung gelingt es Kreidolf, ihren spe­zi­fi­schen Charaktereigenschaften Rechenschaft zu tra­gen.

Kindheit auf dem Bauernhof Ernst Kreidolf ist bei sei­nen Grosseltern im Thurgau auf einem Bauernhof auf­ge­wach­sen. Eigentlich hät­te er Bauer wer­den und den gross­el­ter­li­chen Hof über­neh­men sol­len. Dies blieb ihm durch sei­ne phy­si­sche Verfassung ver­wehrt. Dennoch bil­de­te die Kindheit auf dem Lande das Fundament für das spä­te­re Schaffen des Künstlers. Er ent­wickel­te schon früh ein beson­de­res Interesse an der Natur – wobei sei­ne Aufmerksamkeit vor allem den klei­nen Kreaturen galt. Aus die­sem Interesse sind Kreidolfs spä­te­re Bilderbuch-Protagonisten gewach­sen.

Der aus ärm­li­chen Verhältnissen stam­men­de Künstler mach­te in Konstanz eine Lithografenlehre. Seine Arbeit als Lithograf ver­schaff­te ihm die Möglichkeit eines Broterwerbs, sei­ne künst­le­ri­sche Ausbildung zu finan­zie­ren. 1889 besuch­te er die Kunstgewerbeschule in München, spä­ter gelang ihm die Aufnahmeprüfung für die Münchner Kunstakademie. Letztere muss­te er aber aus gesund­heit­li­chen Gründen eini­ge Jahre spä­ter wie­der abbre­chen.

Die Publikation sei­nes ersten Bilderbuchs «Blumenmärchen» wur­de um die Jahrhundertwende mit Hilfe eines Darlehens sei­ner Malschülerin, der Fürstin Marie von Schaumburg-Lippe rea­li­siert. Der Erfolg die­ses Buches ver­schaff­te Kreidolf künst­le­ri­sche Unabhängigkeit und Anerkennung. Weitere, nicht min­der erfolg­rei­che Bilderbuchpublikationen folg­ten.

Verewigung durch Kinderbücher Dass Ernst Kreidolf auch ande­re Bilder mal­te und zeich­ne­te gerät neben dem Erfolg sei­ner Kinderbücher leicht in Vergessenheit. Dass ihm vor allem als Kinderbuchautor und nicht als «rich­ti­ger» Künstler Aufmerksamkeit und Ruhm zuteil wur­de, stör­te den Künstler.

Dennoch waren Kreidolfs Kinderbücher für die dama­li­ge Zeit revo­lu­tio­när. Sie setz­ten sich über die Doktrin hin­weg, dass ein Buch für Kinder einen erzie­he­risch-lehr­rei­chen Inhalt haben muss­te. Zudem such­ten sie in Zeiten zuneh­men­der Technisierung eine fan­ta­sie­vol­le Gegenwelt. Dass Kreidolf sich dabei auch mit tief phi­lo­so­phi­schen Fragestellungen befass­te, macht sein Werk zu einer zeit­los wert­vol­len Errungenschaft – auch für Erwachsene.

Foto: zVg.
ensuite, September 2013

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo