Trends, die

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Von Frank E.P. Dievernich – Lexikon der erklä­rungs­be­dürf­ti­gen Alltagsphänomene (XXVII): Ohne den Glauben an Trends wäre die Welt um ein Vielfaches lang­sa­mer. Gäbe es wenig­stens nur einen, wüss­te man, wem oder was zu fol­gen wäre. Aber es sind Hunderte, wenn nicht gar Tausende, die uns über die Jahre hin­weg die Trendgurus ver­kauf­ten und nach wie vor ver­kau­fen wol­len. Trends sind in der Moderne das Äquivalent zu Gott. Es wird an sie geglaubt, vor allem aber wird nicht dar­an gezwei­felt, was pas­siert, wenn man ihnen nicht folgt: der Exodus aus dem markt­wirt­schaft­li­chen Paradies. Trends, bzw. der Glaube und die Delegation der gesell­schaft­li­chen Steuerungsfunktion an sie, füh­ren dazu, dass die Gesellschaft in sich einen Herzschrittmacher ein­ge­baut hat, der zwar nicht dazu führt, dass sie geord­net pul­siert, jedoch immer wie­der zuver­läs­sig auf­ge­schreckt wird. Trends sind so gese­hen die Herz-Rhythmusstörungen, an die wir uns mei­nen gewöhnt zu haben.

Selbst in der Trendforschung scheint man der Vielfalt die­ses Phänomens skep­tisch gegen­über zu ste­hen und so tau­chen auch hier Differenzierungen auf, die das Feld ein wenig lich­ten sol­len: Pseudotrends, Mikrotrends, Makrotrends, Metatrends und schliess­lich Megatrends. Es wird sich zei­gen: Es sind bloss die Megatrends, die letzt­end­lich rele­vant sind. Was die Gesellschaft, und das heisst die Organisationen aus denen sie besteht, braucht, ist eine radi­ka­le Trendentziehungskur. Haben sich doch über die Jahre eine Managementspezies und –spra­che her­aus­ge­bil­det, die vor allem auf Trends fokus­siert; dahin­ter ver­birgt sich die Angst, ja nicht etwas zu ver­pas­sen, mit dem man einen Franken, Euro oder Dollar mehr ver­die­nen oder spa­ren könn­te. Diese Fokussierung auf das, was sich bloss abzeich­net, aber noch gar nicht da ist, bedeu­tet nichts ande­res als wür­de der Strassenbau auf­grund von Fata Morganas, die sich am Horizont abzeich­nen, aus­ge­rich­tet. Problematisch wird die Geschichte vor allem dann, wenn sich das Klima ver­än­dert, wenn zu den Fantasiegebilden wei­te­re hin­zu­kom­men, Elemente ver­rücken oder ein­fach ver­schwin­den. Woran soll man sich noch hal­ten? Wohl dem, der eine Entwicklung rich­tig vor­aus­sagt und dar­auf­hin sein Business aus­rich­ten kann, jedoch dürf­te das eher die Ausnahme sein, denn es sind weni­ger die Trends, die ent­schei­dend für den Erfolg sind, son­dern die Fähigkeit auf das zu fokus­sie­ren, was übrig bleibt, wenn man das Trendgetöse abzieht. Anders ist der Erfolg erfolg­rei­cher Unternehmen nicht zu erklä­ren. In ihrer Gesamtbewegung lässt sich näm­lich erken­nen, dass sie nicht jedem Trend fol­gen, son­dern letzt­end­lich vor allem mit sich beschäf­tigt sind und ihrem eige­nen Technologie‑, Kultur‑, Kompetenz‑, oder Historienpfad fol­gen, um nur ein paar die­ser gepflo­ge­nen und ganz nor­ma­len Pfadabhängigkeiten zu nen­nen. Was ist also nun mit den gan­zen Trends, die so viel Wirbel ver­an­stal­ten und die gan­ze Aufmerksamkeit ein­neh­men?

Diese schwir­ren wie wild­ge­wor­de­ne Flipperkugeln in den Unternehmen, Bereichen, Abteilungen und vor allem in den Köpfen von Führungskräften und ange­steck­ten Mitarbeitenden umher. Der Aufmerksamkeitsfokus rich­tet sich auf sie und führt dazu, dass die Wahrnehmung für das Bestehende abhan­den­kommt. Der Trend geht, die Konfusion, das schwin­de­li­ge Schwirren im Kopf bleibt. Diese auf­ge­peitsch­te Stimmung sucht ein Ventil, um ent­la­den zu wer­den, gleich­zei­tig wie­der neu­en Schwung zu bekom­men, und fin­det ihn im näch­sten Trend. Das zieht Kreise. Heutzutage haben wir es in einer Vielzahl von Unternehmen mit dem Phänomen zu tun, dass der Fokus nur mehr auf die Veränderung gerich­tet wird. Platz für die Stabilität ist im Kommunizieren und Handeln der Manager offen­sicht­lich auf ein Mindestmass redu­ziert. Den Stress haben die Mitarbeitenden aus­zu­hal­ten, und die Folgen davon wer­den im Privaten zu kurie­ren ver­sucht, unab­hän­gig davon, ob man Mitarbeitender oder Führungskraft ist. Die Leidensgemeinschaft kennt kei­ne Hierarchieunterschiede. Aus etwas Abstand betrach­tet scheint es aber so zu sein, dass trotz der gan­zen Turbulenzen inner­halb der Organisationen die­se selbst eher gemäch­lich dahin­trei­ben. Wie ist also zu erklä­ren, dass da draus­sen Trends umher­schwir­ren, die, glaubt man den mana­ge­ria­len Protagonisten, ein­ge­fan­gen wer­den müs­sen, um, am besten exklu­siv, sofort in Marktmacht trans­fe­riert zu wer­den, wenn doch, über alle Organisationen hin­weg (Unternehmen, Schulen, Parteien, Kirche, etc.) alles eher über­schau­bar von stat­ten geht, also eher Trendavers funk­tio­niert?

Es gibt gute Gründe zu ver­mu­ten, dass Trends rela­tiv wenig mit dem zu tun haben, was da draus­sen «tat­säch­lich» pas­siert. Trends selbst wer­den als Geschäftsmodell von bestimm­ten Organisationen insze­niert, die eben­falls nur das Ziel einer gol­de­nen Nase ver­fol­gen. Betrachtet man sich dann das ein­zel­ne Trendbüro, das ent­spre­chen­de Marktforschungsinstitut, oder die Beratungsgesellschaft als Ganzes, dann stellt man schnell fest, dass die­se Organisationen, eben wie alle ande­ren auch, sich eher lang­sam ver­än­dern. Trends, so kön­nen wir schluss­fol­gern, exi­stie­ren also ledig­lich im kom­mu­ni­ka­ti­ven Sprachspiel inner­halb von Organisationen und der Gesellschaft. Sie sind Eigenkonstruktionen, auf die inner­halb des jewei­li­gen Systems reagiert wird. Um dem gan­zen Herzrhythmusstörungsapparat wie­der ein wenig mehr Takt bei­zu­brin­gen macht es Sinn, sich nur mehr auf jene Trends zu fokus­sie­ren, die im Gleichklang mit der Organisationsdynamik «schwin­gen». Das sind dann nur mehr die Megatrends. Es reicht, sich und sei­ne Organisationen auf deren fünf ein­zu­stel­len, um die Grundlage für den Erfolg, also für die Anschlussfähigkeit an ande­re Menschen, Organisationen, Markt und Gesellschaft sicher­zu­stel­len.

Internationalisierung ist der erste. Wir leben in einer glo­ba­li­sier­ten Welt, und es ist abhän­gig von unse­rer Einstellung und Handlung ob wir dar­aus ein Dorf machen, in dem wir neu­gie­rig und erreich­bar sein wol­len. Hinter dem Horizont war­tet immer schon ein Horizont. Demographischer Wandel ist der zwei­te Megatrend. Die einen schrump­fen, aber die ande­ren wach­sen. Die Chance die­ses Trends liegt dar­in, das «aber» zu nut­zen, (gei­sti­ge) Grenzen nie­der­zu­reis­sen, ver­mit­teln­de Kulturarbeit zu lei­sten. Zu Hilfe kommt der drit­te Megatrend: Digitalisierung. Auch hin­ter ihm steht nichts ande­res, als dass wir die Möglichkeit haben, kom­mu­ni­ka­tiv noch näher zusam­men­zu­rücken, Welten zu schaf­fen, von denen wir die Möglichkeit haben, sie als alter­na­ti­ve Entwürfe aus­zu­te­sten. Innovation als vier­ter Trend knüpft hier an. Weil wir anders sein wol­len als das was ist machen wir Unterschiede. Und die­se sind es, die uns erkenn­bar wer­den las­sen. Sogar dort, wo zu viel Innovationen und Trends sind, füh­ren wir den Unterschied in Form von Stabilität, Persistenz und Nicht-Veränderung ein. Nur das gibt uns die Möglichkeit wahr­ge­nom­men zu wer­den, da es einen Unterschied macht. Wenn sozu­sa­gen alles im Wandel ist, macht nur mehr der Stillstand Sinn. Das im wahr­sten Sinne des Wortes. Er bie­tet die Möglichkeit, dass genau dar­in sich Sinn bil­den kann. Sinn, Werte und Wertewandel stel­len den letz­ten Megatrend dar. In einer Welt, die trans­pa­rent gewor­den ist, wo Wissenshoheiten kaum auf­recht­zu­er­hal­ten sind, wo Menschen begrei­fen, dass sie ent­schei­den kön­nen, in wel­cher Welt und mit wel­chem Sinn sie leben wol­len, wer­den nur mehr die­je­ni­gen sozia­len Systeme über­le­ben, die Sinn oder zumin­dest einen Rahmen anbie­ten, in dem ein gemein­sam aus­ge­han­del­ter Sinn sich eta­blie­ren kann. Sinnhaftigkeit – das wäre also der Megatrend, der über allem schwebt und dem wir uns ver­pflich­ten soll­ten. Eigentlich ist er der ein­zi­ge der in der gan­zen Sinndiskussion lang­fri­stig Sinn macht. Ein Mega-Megatrend, der Frieden in das gan­ze Trend-Geschnatter bringt – und uns näher an das Leben.

*bewirt­schaf­tet von frank.dievernich@hslu.ch vom Competence Center General Management der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013

 

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