TORI AMOS – Eine Frau ist eine Frau

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Von Lukas Vogelsang - Sie wird als Diva gehan­delt, erscheint als extro­ver­tier­te Rothaarige und ist für Männer gefähr­lich emo­tio­nal. Tori Amos ist eine hal­be Indianerin, 1963 in Newton (North Carolina) unter dem Namen Myra Ellen Amos als Tochter eines bap­ti­sti­schen Priesters gebo­ren. Bereits mit zwei­ein­halb Jahren soll sie mit Klavierspielen begon­nen, mit vier Jahren in einem Kirchenchor gespielt und gesun­gen haben. Mit fünf Jahren sei sie als jüng­ste Schülerin des „Peabody Conservatory“ in Baltimore auf­ge­nom­men wor­den. Nur: Ihre eigen­wil­li­gen und gefühls­be­ton­ten Interpretationen klas­si­scher Musikstücke sties­sen nicht auf Musikgehör und so muss­te Tori Amos mit zehn Jahren die Schule ver­las­sen. 1983 zog sie nach Los Angeles und änder­te Ihren Namen in Tori Amos. Sie ist eine rot­haa­ri­ge Löwin geblie­ben. Sie weiss was sie will und wie sie es errei­chen kann.

Auf ihrer ersten Platte, die zwar als tota­ler Flop ende­te (Y Kant Tori Read), such­te Sie als Hardrock-Girl den schnel­len Erfolg im Musikbusiness. Die Band löste sich auf – Tori Amos lern­te dazu, und zwar schnell. Bereits vier Jahre spä­ter erreich­te sie mit dem Album Little Earthquakes den inter­na­tio­na­len Durchbruch. Allen war klar: Es IST eine bemer­kens­wer­te Frau.

Kennzeichnend für ihre Musik und Texte sind die öffent­li­chen Verarbeitungen von per­sön­li­chen Lebensprozessen. Die in der Biographie feh­len­den Jahre haben Spuren hin­ter­las­sen, die sich nicht aus der Geschichte weg­ra­die­ren las­sen. Tori Amos nimmt kein Blatt vor den Mund, erzählt uns von ihren Schmerzen und Freuden, ihrem Beziehungsleben, ist ehr­lich und unbe­schreib­lich weib­lich. Dazu kommt, dass die Frau enorm gescheit und talen­tiert ist. Sie spielt das Klavier oder bes­ser den Flügel, wie ein Engel und hat eine unge­wohnt krea­ti­ve Melodieführung. Live auf einer Bühne bleibt beim Publikum der Unterkiefer hän­gen – Tori Amos berührt, ver­führt, flü­stert, bricht aus. Ihre Texte sind im Wechsel zwi­schen Erlebnisbeschreibung und Groteske, kei­ne ein­fa­chen Liebeslieder mit lee­rem Inhalt. Doch gleich­zei­tig stellt sie in „Silent all the­se years“ die Frage: Was soll so umwer­fend an wirk­lich tie­fen Gedanken sein? Ihre Konzerte – vor allem die Soloparts – sind von einer Innigkeit, die Magie aus­strah­len und Tiefenwirkung zei­gen. Davon sind nicht nur Männer fas­zi­niert, auch Frauen idea­li­sie­ren Tori Amos. Ein Vorzeigemodell der Frau der Zukunft?

Vor zwei Jahren ist Tori Amos Mutter gewor­den: „Ein Kind zu bekom­men brach­te mich zu dem Punkt, an dem ich mir selbst sag­te: ‚Okay, jetzt ist jemand ande­res dran, der Mittelpunkt dei­nes Lebens zu sein’. Ich bin lan­ge genug den sel­ben Weg wie Scarlet gegan­gen, doch nun ist es an der Zeit, mich um mei­ne Tochter Natashya zu küm­mern. Andere sol­len die Fackel auf­neh­men, sol­len sie zu neu­en Menschen und in wei­te­re Gegenden tra­gen.“

Sie hat nie dem Klischee des Glamours ent­spro­chen, aber ihre 9 Alben über 12 Millionen mal ver­kauft und für eini­ge Grammies nomi­niert. Sie ist kei­ne Madonna und muss auch nicht durch skan­dal­träch­ti­ges Verhalten Aufmerksamkeit erkau­fen. Keine Klatschseite hat was zu berich­ten, und wenn, so nur über die Plattenhülle von „Boys for Pele“, auf der Tori Amos mit einem sau­gen­den Schweinchen an der nack­ten Brust für aller­lei Spekulationen sorg­te. Ihr letz­tes Album „Scarlet’s Walk“ ist weit­ge­hend zu Hause im Heimstudio in Cornwall, mit den ver­trau­ten Mitmusikern John Evans (b) und Matt Chamberlain (dr) und ihrem Ehemann und Toningenieur Mark Hawley auf­ge­nom­men wor­den. Es ist eine rei­fe Liebeserklärung an ihre Heimat Amerika, ein Roman und gleich­zei­tig eine kri­ti­sche Geschichte der ame­ri­ka­ni­schen Selbstfindung nach dem 11. September. Politisch und nach­denk­lich beleuch­tet sie dar­in die Gegenwart Amerikas, was nicht nur auf Gegenliebe stösst. Tori Amos könn­te auch uns Helvetiern eine Stütze sein, wenn sie meint, dass heu­te die Menschheit mehr denn je eine Erfahrung einer Liebesbeziehung zu Land und Leuten brau­che – sei­en es die schö­nen oder die Schattenseiten.

 

DISCOGRAPHIE

Y Kant Tori Read
Das Kultalbum noch vor dem Ruhm. Nur ganz sel­ten noch zu fin­den. Atlantic 1988

Little Earthquakes
Damit hol­te sie sich die inter­na­tio­na­le Annerkennung. Warner Music 1992

Crucify
Eine klei­ne Singlesammlung mit den Coverversionen von „Angie“ (Rolling Stones) und „Smells like teen spi­rit“ (Nirvana). Atlantic 1992

Under the pink
Ein über­ra­schen­des Album mit viel Tiefgang und der Manifestierung des typi­schen Amos-Sounds. Warner Music 1994

Boys for Pele
Eine unglaub­lich fein­füh­li­ge, emo­ti­ons­ge­la­de­ne und pri­va­te Musik. Tori Amos ver­ar­bei­tet eini­ge schwie­ri­ge Zeiten. Atlantic 1996

Unplugged in New York
So klingt Tori Amos live. Betörend, doch die CD ist schwer zu krie­gen… Bootleg 1996

From the choir­girl hotel
Das Aufbäumen einer rot­haa­ri­gen Löwin. Kraftvoll und mit Biss. Atlantic 1998

To Venus and back
Stimme und Klavier, sen­si­bel und schön. Atlantic 1999

StrangeLittleGirls
Gelungene Coverversionen von bekann­ten Männersongs über Frauen (die wie­der­um aus­ge­wählt wur­den von Männern!) Atlantic 2001

Scarlet’s Walk
Ein ver­ton­ter Roman, eine ame­ri­ka­ni­sche (all­ge­mei­ne) Zeiterscheinung und Kritik, eine Mutter und ein rei­fes Album mit einem herz­zer­reis­sen­den „Gold dust“. Die Limited-Edition sind zudem eini­ge Videos zu sehen und noch ein paar Leckerbissen mehr… EPIC 2002

 

ensuite, Februar 2003
Bild: Kurt Markus

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