Tanzpädagogen mit Leidenschaft

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Von Sylvia Mutti – Seit rund einem Jahr führt das Tänzerpaar Gabriel und Brittney Otevrel im Herzen von Bern eine Ballettschule mit einem brei­ten Kursangebot unter­schied­li­cher Niveaus von der tän­ze­ri­schen Früherziehung bis zu Open Classes, von klas­si­schem Tanz über Contemporary Dance bis zu Akrobatik für Kinder. Ein Gespräch über Pädagogik und die Freude am Tanz.

Über dem Spiegel des Ballettsaals steht in sil­ber­nen Buchstaben ein Zitat von Mata Hari geschrie­ben: «Der Tanz ist ein Gedicht und jede Bewegung ist ein Wort» Was bedeu­tet Dir die­se Zeile? 

Gabriel Otevrel (GO): Wir haben die­se Worte gewählt, weil sie für jeder­mann, vom Laien bis hin zum Profi, sehr ein­fach zu ver­ste­hen sind. Tanz besteht nicht nur aus einem ein­zel­nen Element, es wer­den vie­le Bewegungen anein­an­der­ge­reiht, hin­zu gesel­len sich die Gefühle, wor­aus sich schliess­lich ein Ganzes ergibt. Tanz ist mehr als blos­se Bewegung, er drückt das gesam­te Leben aus, dazu gehö­ren auch die Seele, Gefühle, Leidenschaft und die Liebe.

Der Satz soll die Schüler und Schülerinnen inspi­rie­ren, die hier trai­nie­ren?

GO: Ja. Der Spruch, den ich eigent­lich zuerst anbrin­gen woll­te, stammt von Maurice Béjart: «In mei­nem Leben sehe ich mei­ne Werke und in mei­nen Werken sehe ich mein Leben.» Für mich war die­ser Spruch sehr per­sön­lich, doch ist er viel­leicht zu abstrakt, als dass jeder ihn erfas­sen könn­te. Tänzer sein ist ein Lebensstil. Der Tanz ist sehr viel­schich­tig. Erst nach vie­len Jahren der Zusammenarbeit mit ver­schie­de­nen Choreografen und Pädagogen beginnt man, die­se Vielfältigkeit zu ver­ste­hen.

Seit rund einem Dreivierteljahr seid Ihr nun in Bern. Ihr habt die­se Schule von Jiri Halamka nach dem Tod sei­ner Frau Ivana über­nom­men, obwohl Ihr eben gera­de ein Engagement als Choreografen beim Alaska Dance Theatre ein­ge­gan­gen seid. Was hat Euch dazu gebracht, den­noch nach Bern zu kom­men?

GO: Für mich als Tänzer, der eine inter­na­tio­na­le Karriere gehabt hat, war der Beruf auch mit einem Zigeunerleben ver­bun­den. Selbst wenn man fest bei einer Compagnie enga­giert ist, ist man mal hier, mal dort, auf Tournee, stän­dig unter­wegs. Man lebt immer sehr unge­wiss und sehr im Moment, weiss nie ganz genau, was in einem Jahr oder in zwei Jahren pas­siert. Unter sol­chen Umständen ist eine Lebensplanung nicht wirk­lich mög­lich. Die ver­gan­ge­nen fünf Jahre waren für uns bei­de ein stän­di­ges Hin und Her zwi­schen zwei Kontinenten, auf denen man ver­such­te, die Arbeit als Tänzer, Lehrer, Ballettmeister und Choreograf mit­ein­an­der zu ver­bin­den. Nun sind wir in unse­rem Leben an einen Punkt ange­langt, ins­be­son­de­re durch die Geburt unse­res Sohnes, wo wir ger­ne hät­ten sagen kön­nen: Hier wol­len wir blei­ben, hier kön­nen wir für die Zukunft pla­nen.

Ausserdem ist die Arbeit an einer Ballettschule und am Theater grund­ver­schie­den. In den letz­ten fünf Jahren haben wir an der Schule mei­ner Eltern in Augsburg und in Form von Gastspielen für ande­re Tanzorganisationen und Kompanien mit pro­fes­sio­nel­len Tanzschaffenden als Gastchoreographen und Tänzer gear­bei­tet. Diese bei­den Bereiche sind grund­ver­schie­den und sind mit­ein­an­der nicht zu ver­glei­chen oder zu ver­bin­den. Sie bedin­gen eine inne­re Umstellung. Schliesslich ist alles im Leben ein Prozess und was frü­her, als man sel­ber noch als Profi aktiv war, wich­tig gewe­sen ist, ist heu­te nicht mehr wesent­lich. Das Wissen dar­um, wäh­rend der akti­ven Laufbahn am Theater getanzt und mit den­je­ni­gen Künstlern gear­bei­tet zu haben, mit denen man woll­te und sich erträum­te, unter­stützt die inne­re Befriedigung und Zufriedenheit. Heute geht es mir dar­um, mit Leuten zu arbei­ten die Freude am Tanzen haben, egal, ob Anfänger, Fortgeschrittene oder Profis.

Brittney Otevrel (BO): In Bern lebt man sich sehr schnell und leicht ein weil die Menschen sehr ange­nehm sind. Auch die Leute in der Schule sind ganz anders drauf als in ande­ren Schulen, an denen wir bis­her unter­rich­tet haben. Sie wol­len ler­nen, sind moti­viert und das macht Spass.

Es ist nicht das erste Mal, dass Du, Gabriel, in der Schweiz bist. Du hast in Basel unter Spörli getanzt und in Lausanne bei Béjart. Im Eingangsbereich hängt ein Porträtfoto von ihm. Was bedeu­tet Dir die­ser Lehrer und Choreograf?

GO: Béjart hat nicht nur als Tänzer son­dern auch als Mensch sehr viel zu mei­ner Entwicklung bei­getra­gen. Er sprüh­te vor Zitaten. Sein Vater war der fran­zö­si­sche Philosoph Gaston Berger, mit dem sich Maurice immer wie­der aus­tausch­te. Béjart phi­lo­so­phier­te oft beim Choreografieren, das war sei­ne Art, wie er sei­ne Arbeit den Tänzern nahe brach­te und wie sich die­se wei­ter­ent­wickel­te. Er hat mir vie­les gesagt, was mir im Leben wei­ter­ge­hol­fen hat. Deswegen ist es mir wich­tig, sein Bild zu sehen, wenn ich täg­lich hier rein­kom­me.

Die erste Inspiration, die Du erfah­ren hast, stammt aller­dings von Deinen Eltern. Sie waren Deine ersten Lehrer. Was haben sie Dir bei­gebracht oder, anders gefragt, was macht einen guten Tanzpädagogen aus?

GO: Es gibt zwar vie­le Lehrer, aber es gibt nur weni­ge gute Lehrer, die auch gute Pädagogen sind. Das ist für mich ein Unterschied. Ein guter Lehrer, der auch ein Pädagoge ist, kann nicht nur eine Technik ver­mit­teln son­dern auch eine Philosophie, die er sich in sei­ner lang­jäh­ri­gen Tänzerlaufbahn ange­eig­net hat. Ausserdem ist es wich­tig, die «alte Schule» mit dem revo­lu­tio­nier­ten «moder­nen» Tanz und sei­ner Technik ver­bin­den zu kön­nen. Prägend war sicher die Geschichte mei­ner Eltern, die damals mit Nichts vom Osten, aus der Tschechoslowakei, in den Westen geflo­hen sind und sich dann durch viel Arbeit und Leidenschaft etwas auf­bau­en konn­ten. Tanz war ihr Leben und sie haben sich durch nichts unter­krie­gen las­sen, es ging immer irgend­wie vor­an. Diese Energie für Arbeit spü­re ich auch in mir. Sie haben mir vor­ge­lebt, nicht auf­zu­ge­ben. Meine Eltern unter­rich­ten nach der Vaganova-Technik und waren inso­fern sehr gute Pädagogen als sie wuss­ten, wie mit ver­schie­de­nen Körpern zu arbei­ten ist und es auch ver­stan­den, eine Philosophie in ihren Unterricht mit­ein­zu­be­zie­hen und wei­ter­zu­ge­ben. Ein guter Pädagoge oder Lehrer soll sei­ne Schüler füh­ren und auf jeden spe­zi­ell ein­ge­hen kön­nen, denn jeder Körper ist anders gebaut und jedes Kind oder jeder Tänzer hat eine ande­re Persönlichkeit. Unterrichtet man an einer Akademie, kann man sich die Kinder aus­su­chen, die für eine bestimm­te Technik die erfor­der­li­chen kör­per­li­chen Bedingungen mit­brin­gen. An einer pri­va­ten Ballettschule muss die Technik dage­gen des Öfteren ver­än­dert wer­den, damit auch Schüler, die den Tanz nicht als Profi anstre­ben wol­len, Fortschritte erzie­len kön­nen. Ein guter Pädagoge ent­wickelt sich erst mit der Zeit, das ist ein Prozess, der wäh­rend vie­len Jahren viel Erfahrung und Wissen mit sich bringt.

Einen Schwerpunkt Eurer Ballettschule bil­det die tän­ze­ri­sche Früherziehung. Was macht man mit Kindern, die vier, fünf Jahre alt sind? 

BO: Ganz wich­tig ist, dass Kinder Freude am tan­zen fin­den und die­se behal­ten. Man darf nicht zu früh mit der Arbeit an der Stange begin­nen oder mit dem Ballettvokabular. Ich erzäh­le klei­ne, bild­haf­te Geschichten, die sie spie­le­risch mit dem Köper umset­zen, ohne dass sie aber wis­sen, was sie dabei ler­nen: die Positionen, Körperspannung, gute Haltung, Koordination. Ich ach­te bei­spiels­wei­se immer dar­auf, dass die Kinder am Anfang und am Schluss jeder Übung ruhig daste­hen, damit sie sich dar­an gewöh­nen, sich von Anfang bis Ende zu kon­zen­trie­ren. Über Rhythmus-Spiele mit klat­schen, stamp­fen oder sprin­gen wird bei­spiels­wei­se Musikalität geför­dert, ande­res dient dazu, das Gedächtnis zu trai­nie­ren.

Für die Kleinen ist es wahn­sin­nig anstren­gend, den Körper zu koor­di­nie­ren. Man glaubt nicht, wie schwie­rig es sein kann, auf einem Bein zu ste­hen.

GO: Es ist eigent­lich wie bei den Erwachsenen: Die Bewegung muss vom Kopf in den Körper und dann in die Muskulatur über­ge­hen. Der Körper erin­nert sich dar­an. Es ist ein­mal ein Mädchen mit moto­ri­schen Störungen zu uns in den Unterricht gekom­men, und es frag­te sich zunächst, ob sie die Stunde über­haupt wird mit­ma­chen kön­nen. Nach eini­ger Zeit in der tän­ze­ri­schen Früherziehung haben sich die Bewegungsstörungen zwar nicht ein­ge­stellt, doch deut­lich ver­rin­gert.

BO: Wollen Kinder eine Übung erfolg­reich schaf­fen, müs­sen sie auf die Korrektur hören. Sie sind begei­stert, wenn sie auf ein­mal auf einem Bein ste­hen kön­nen, wäh­rend es vor paar Sekunden noch nicht geklappt hat und mer­ken sehr schnell, was sie machen müs­sen, damit eine Übung funk­tio­niert oder schön aus­sieht. Später müs­sen sie nicht mehr bewusst dar­über nach­den­ken, denn der Körper macht alles von allei­ne. Und weil wir das eben auf eine spie­le­ri­sche Weise ein­üben, wis­sen die Kinder gar nicht, dass sie eigent­lich die Technik für spä­ter ler­nen. In der tän­ze­ri­schen Früherziehung geht es zunächst ein­fach dar­um, den eige­nen Körper ken­nen­zu­ler­nen und die Bewegungen zu kon­trol­lie­ren, was auch hilf­reich ist, wenn man spä­ter ande­re Tanzarten ler­nen will. Ausserdem trai­niert der Tanz bei­de Körperseiten glei­cher­mas­sen, wäh­rend im Alltagsleben, vor allem bei Rechtshändern, über­wie­gend die rech­te Seite ver­wen­det wird.

Wie kommt es, dass so vie­le Kinder – und wir reden natür­lich vor allem von Mädchen – mit Ballett begin­nen aber, sobald es schwie­rig wird, wie­der damit auf­hö­ren? Wissen Mädchen von vier Jahren über­haupt, was Ballett ist oder wird das nicht als typisch weib­li­ches Hobby von den Müttern an die Kinder her­an­ge­tra­gen und wenn ja, aus wel­chen Motiven her­aus? Haben Eltern häu­fig fal­sche Vorstellungen davon, was auf ihre Kinder zukommt?

GO: Bei den klei­nen Mädchen hat es natür­lich schon etwas damit zu tun, dass sie in erster Line ger­ne ein rosa Kleidchen anzie­hen möch­ten und sich dar­in wie eine Prinzessin füh­len. Tänzerische Früherziehung bedeu­tet aber nicht, dass in der Klasse ein­fach gespielt wird, son­dern dass auch dort bereits eine Grundlage geschaf­fen wird, auf der man auf­bau­en und von der aus eine wei­te­re Stufe erreicht wer­den kann. Es ist mög­lich, dass sich so man­cher unter der tän­ze­ri­schen Früherziehung etwas ande­res vor­stellt, als was in Wirklichkeit gebo­ten wird. Wir fra­gen die Eltern im Vorfeld immer, ob ihr Kind denn schon auf­pas­sen kann: hat es die Fähigkeit, sich ruhig irgend­wo hin­zu­stel­len und das nach­zu­ma­chen, was der Lehrer vor­gibt? Manchmal ist es auch ein­fach bes­ser, noch zu war­ten und in einem Jahr wie­der­zu­kom­men.

BO: Eine Mutter schil­der­te mir ganz erstaunt, dass ihre Tochter alle Tänze mit­samt den Geschichten von Luftballons, Bäumen und Vögeln aus der Stunde zu Hause vor­ge­führt habe, und sie selbst habe erst dann rea­li­siert, wie spas­sig alles für das Kind sei, auch wenn es von aus­sen sehr akku­rat und geord­net aus­se­he. Vielleicht kom­men sie am Anfang tat­säch­lich nur, weil sie die­ses Kleidchen tra­gen wol­len, doch ich hof­fe immer, dass sie über die Systematik schliess­lich ein Interesse am Tanz selbst ent­wickeln. Man sieht bei klei­nen Kindern sehr schnell, wer sich freut und wer nicht.

GO: Wer früh mit etwas anfängt, dem fällt es auch wäh­rend der Entwicklung in der Pubertät schwe­rer, etwas, wor­in er schon viel Zeit inve­stiert und viel gelernt hat, ein­fach so auf­zu­ge­ben. Es prägt das Selbstbewusstsein eines jun­gen Menschen, das ist heut­zu­ta­ge enorm wich­tig. Das Wissen, etwas zu kön­nen, etwas zu beherr­schen, etwas durch eige­ne Arbeit gelei­stet zu haben, ist die beste Selbstbestätigung für ein Kind.

Man hört häu­fig, im Ballett wer­de Disziplin bei­gebracht. Diese Haltung zu Erziehung ist eher kon­ser­va­tiv und heut­zu­ta­ge wie­der sehr in Mode, da gewis­se poli­ti­sche Kräfte mehr Disziplin und Drill einer ver­weich­lich­ten Jugend gegen­über for­dern. Man bewun­dert oder erschau­dert vor den bra­chia­len Erziehungsmethoden aus China und Fernost. Wie stehst Du zur Disziplin?

GO: Erziehung soll­te im Unterricht nicht pas­sie­ren müs­sen, wir wol­len den Kindern den Tanz und vor allem die Freude am Tanz nahe­brin­gen. Disziplin wird im Ballett mit Sicherheit gelernt. Wir leben in einer moder­nen Welt, die haupt­säch­lich von der Technologie bestimmt wird. Alles ist sehr viel schnelllebi­ger gewor­den, vie­le Dinge altern rasant, doch man darf nicht ver­ges­sen, dass Ballett eben noch «alte Schule» ist. Ich muss immer noch hier, im Ballettsaal, mei­nen Einsatz brin­gen, um mich zu ver­bes­sern und Fortschritte zu machen. Ballett ist sicher eine Kunst, in der Disziplin gefor­dert ist, denn Ballett ist nicht ein­fach und bedeu­tet kon­ti­nu­ier­li­che Arbeit, wenn man vor­an­kom­men will.

Mir fällt auf, dass die über­wie­gen­de Mehrheit der Leute, die auch nur hob­by­mäs­sig trai­nie­ren, über eine höhe­re Schulausbildung ver­fügt. Nur habe ich die Huhn-Ei-Problematik noch nicht gelöst: sind die­se Leute intel­li­gent und begrei­fen Tanz ein­fach oder kön­nen sie sich durch­beis­sen, kön­nen Scheitern aus­hal­ten, wes­we­gen ihnen vie­les in unter­schied­li­chen Bereichen des Lebens gelingt?

GO: Menschen, die sich Ballett aus­su­chen und sich damit ein biss­chen befas­sen, brin­gen von Natur aus schon eine ganz ande­re Einstellung mit, auch die Kinder. Unsere Schule ist, wie die mei­sten Ballettschulen, haupt­säch­lich von Tänzern geprägt, die den Tanz aus Freude und Leidenschaft an der Bewegung aus­üben. Diejenigen Leute, die zu uns kom­men, sind nicht nur moti­viert, sie sehen auch, dass uns wich­tig ist, was im Ballettsaal pas­siert, dass uns die Menschen nicht egal sind, was wie­der­um viel dazu bei­trägt, dass sie ger­ne kom­men. Sie wol­len arbei­ten und sie wol­len gefor­dert wer­den. Es geht mir dar­um, mit Menschen zusam­men­zu­ar­bei­ten, die Spass haben. Allerdings haben wir auch Klassen, in denen wir Talente för­dern. In weni­gen Fällen besteht die Möglichkeit, aus dem Hobby mehr zu machen, wenn dies auf­tritt, möch­ten wir die­se Schüler auf ihren näch­sten Schritt vor­be­rei­ten.

Wie beur­teilst Du die Rolle der Eltern, wenn Kinder sich einem Hobby wid­men. Hier ist es bei­spiels­wei­se mög­lich, zuzu­schau­en. Wie viel Kontakt oder Einmischung lässt Du zu? 

GO: Wir begrüs­sen es sehr, wenn Eltern sich inter­es­sie­ren und oft zuschau­en, damit sie sehen, was wir mit den Kindern machen. Wir suchen die Gespräche mit den Eltern, in denen Dinge geklärt und über die Entwicklung und Arbeit des Kindes gespro­chen wer­den kann. Eine Einmischung in unse­re Arbeit las­sen wir aller­dings nicht zu, da wir über das nöti­ge Wissen und die nöti­ge Erfahrung ver­fü­gen, Tänzer wei­ter­zu­ent­wickeln. In der Vergangenheit konn­ten wir schon vie­le Erfolge fei­ern, indem wir Kinder an Tanzakademien oder Theater ver­mit­telt haben, jun­gen Tänzern die Möglichkeit gege­ben haben, Profi zu wer­den. Es gehört aber auch viel Vertrauen von­sei­ten der Eltern dazu.

Muss man Eltern manch­mal brem­sen, sind sie zu ehr­gei­zig?

GO: Es gibt Eltern, die über­ehr­gei­zig sind, das habe ich auch schon erlebt. Während mei­ner Zeit als Ballettmeister am Boston Ballet muss­te ich lei­der oft mit­er­le­ben, wie die­se Geschichten in den mei­sten Fällen nicht gut aus­ge­gan­gen sind. Nur ist es für mich sehr schwer, Eltern dar­auf anzu­spre­chen.

Muss man Schüler manch­mal brem­sen?

GO: Dass sie zu hart arbei­ten? Nein. Man muss sie höch­stens brem­sen, falsch zu trai­nie­ren. Manchmal glau­ben Schüler, sie müss­ten fünf, sechs Klassen am Tag besu­chen. Arbeiten sie aber nicht intel­li­gent, dann bringt das über­haupt nichts. Talent fängt im Kopf an.

Würdest Du jun­gen Leuten auch davon abra­ten, den Tänzerberuf zu ergrei­fen?

GO: Ja, das machen wir, vor allem dann, wenn Kinder sich wirk­lich fal­sche Hoffnungen machen. Da sehe ich es als unse­re Aufgabe, Dinge rich­tig zu stel­len, um spä­te­re Probleme zu ver­mei­den. Solche nega­ti­ven Mitteilungen wer­den zwar nicht ger­ne gehört, aber es ist bes­ser, das Thema früh anzu­spre­chen, als jeman­dem fal­sche Illusionen zu machen, denn die Konkurrenz ist rie­sig. Es gibt so vie­le gute Tänzer für so weni­ge Stellen und wenn man dann spä­ter auf der Strasse lan­det und wie­der ein Engagement sucht, dann ist es ein­fach nur depri­mie­rend. Es gehört sehr, sehr viel dazu, Tänzer zu wer­den. Man muss die kör­per­li­chen Voraussetzungen erfül­len, die sind aber manch­mal nur zweit­ran­gig, denn wer das Talent, die Intelligenz im Kopf nicht mit­bringt, kann kei­ne Karriere bestrei­ten. Man muss wis­sen, wie man etwas umset­zen kann, nur Arbeit allei­ne genügt nicht.

Ist man jemals zu alt, um mit Ballett zu begin­nen?

GO: Für eine Profikarriere wäre es ide­al, mit fünf zu begin­nen. Es ist aller­dings nie zu spät, um zu genies­sen, was Ballettunterricht dem Körper Gutes tun kann. Wenn jemand vom Ausdruck des klas­si­schen Balletts fas­zi­niert ist, dann soll er sich wagen, eine Anfängerstunde für Erwachsene zu besu­chen. Beim Ballett trai­niert man den gan­zen Körper, und das beson­ders scho­nend. Fast alle Muskelpartien kom­men zum Einsatz, beson­ders die Bauch- und Rückenmuskulatur, was wie­der­um die Wirbelsäule festigt und die Körperspannung erhöht. Durch die Schrittkombinationen stärkt man aus­ser­dem die Konzentration, tut also etwas für den Kopf. Gerade für älte­re Menschen ist Ballett ein idea­ler Sport um den Muskelabbau zu stop­pen und sich wie­der in Balance zu brin­gen.

Tanzen macht nicht nur Spass, es mache sogar intel­li­gent! Gemäss neu­sten Forschungsberichten soll Tanz egal wel­cher Art Alterskrankheiten wie Parkinson oder Demenz auf­hal­ten oder gar ver­hin­dern.

GO: Wir haben tat­säch­lich eine Dame bei uns, die an Demenzproblemen lei­det. Der Tanz hel­fe ihr all­ge­mein im Leben, denn beim tan­zen muss man schnell etwas auf­zu­neh­men, ver­ste­hen und es wie­der­ho­len.

Ihr seid kürz­lich Eltern gewor­den. Wird der Kleine mal Tänzer?

GO: Wenn er das will, wer­den wir ihn auf jeden Fall unter­stüt­zen. Sollte er mal als Hobby mit dem Tanzen begin­nen, hof­fe ich aller­dings, dass er ent­we­der rich­tig gut oder rich­tig schlecht wird (lacht). Ich möch­te nicht, dass er Tänzer wird und dann irgend­wo im Mittelmass rum­düm­pelt, dafür ist die­ser Beruf ein­fach zu hart. Als ich damals selbst mit Ballett und Akrobatik ange­fan­gen habe, war es zunächst ja nur ein Hobby, doch jede ande­re Sportart ist mir nach­her immer leicht gefal­len, weil ich das Verständnis für mei­nen Körper und die Koordination schon mit­ge­bracht habe.

BO: Ich hof­fe, dass er mal an irgend­et­was Freude fin­den kann und dies, was immer es ist, über eine lan­ge Zeit aus­übt.

Haben sich Eure Erwartungen in Bern bis­her also erfüllt?

GO: Wir sind glück­lich, hier zu sein. Jeden Tag öff­nen wir mit Freude die Türe unse­rer Ballettschule, um mit unse­ren Schülerinnen und Schülern und ande­ren tanz­be­gei­ster­ten Menschen die gemein­sa­me Leidenschaft für den Tanz tei­len zu kön­nen. Diese Menschen, sowie die Ballettschule sind zum Mittelpunkt unse­res Lebens gewor­den. Gerade die­je­ni­gen, wel­che die Zeit des Übergangs nach dem Tod von Ivana Halamka mit­ge­macht haben, als zunächst für die Schule kei­ne Zukunft vor­aus­zu­se­hen war, haben uns die Treue gehal­ten, uns eine Chance gege­ben und schliess­lich auch mit­ge­hol­fen, die Schule neu auf­zu­bau­en. Hier herrscht eine schö­ne Harmonie, die Atmosphäre ist sehr posi­tiv und man hat das Gefühl, Teil einer gros­sen Familie zu sein.

www.city-ballett-otevrel.ch

 


«Ich möch­te
Tänzerin wer­den»
Von Sylvia Mutti

Die zwölf­jäh­ri­ge Aurora di Rocco ist ein gros­ses Tanztalent. Mit ihrem ernst­haf­ten Ausdruck, den wachen Augen und den zum Knoten geschlun­gen Haaren ist das zier­li­che Mädchen eine Ballett-Elève, wie sie im Buche steht.

Ensuite: Aurora, wie lan­ge tanzt Du schon Ballett?

Aurora di Rocco: In die­sem August wer­den es neun Jahre.

Da bist Du aber eine sehr früh Berufene! Wie bist Du damals zum Tanzen gekom­men?

Die Tochter einer Freundin mei­ner Mutter ging ins Ballett, und da mei­ne Mutter ein Hobby für mich such­te, haben sie mich ein­mal mit­ge­nom­men. Seither bin ich dabei geblie­ben.

Wie wich­tig ist Dir die Unterstützung durch die Eltern?

Sie ist mir sehr wich­tig, denn ich weiss, dass es nicht alle Eltern tun wür­den. Meine Eltern sind immer für mich da, wenn ich Hilfe brau­che.

Seit unge­fähr einem Dreivierteljahr tanzt Du nun bei Gabriel und Brittney Otevrel. Was gefällt Dir an die­ser Schule?

Mit gefällt der Unterricht und ich fin­de dass Gabriel und Brittney gute Lehrer sind.

Aber sie sind gewiss auch streng und kri­ti­sie­ren auch viel. Warum macht Dir das nichts aus?

Ich fin­de es rich­tig, kor­ri­giert zu wer­den, denn man weiss danach, was man falsch gemacht hat und kann sich ver­bes­sern, was nicht geht, wenn man immer nur hört, was gut ist.

Du siehst danach Deine Fortschritte?

Ich sel­ber eigent­lich nicht, aber die ande­ren fin­den, dass ich Fortschritte gemacht habe.

Was gefällt dir am Tanzen oder am Ballett beson­ders?

Wenn man es rich­tig gut kann, fin­de ich es sehr schön, wenn die Schritte flies­send inein­an­der über­ge­hen.

Beim Ballett wirkt alles so leicht­füs­sig, doch das ist har­te Arbeit. Wie oft trai­nierst Du?

Ausser don­ners­tags und sonn­tags, jeden Tag. Die mei­sten Trainings fin­den abends statt, des­we­gen ist es auch kein Problem von der Schule her.

Fällt es Dir manch­mal auch schwer, Dich zu moti­vie­ren? Du inve­stierst ja sehr viel Freizeit in den Tanz.

Das Training fällt mir eigent­lich nicht schwer, denn ich mache es ja für mei­ne Zukunft. Ich möch­te Tänzerin wer­den auf einer gros­sen Bühne, und ich habe gleich­wohl noch Zeit, mich mit mei­nen Freundinnen zu tref­fen.

Interessierst Du Dich auch für ande­re Tanzarten als fürs Ballett?

Ich gehe noch ins Akrobatik und kürz­lich haben wir Kleinen mit ein wenig Contemporary ange­fan­gen. Das hat auch Spass gemacht.

Du hast fest vor, Tänzerin zu wer­den. Wäre es sehr schlimm, wenn es nicht klappt?

Ich fän­de es ein­fach sehr scha­de, doch ich wür­de wahr­schein­lich auch etwas ande­res fin­den, das mir gefällt. Was das aber sein könn­te, weiss ich noch nicht.

Bild: Die zwölf­jäh­ri­ge Aurora di Rocco / Foto: zVg.

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