Stabilität, die

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Von Frank E.P. Dievernich – Lexikon der erklä­rungs­be­dürf­ti­gen Alltagsphänomene (XXVIII): Hört man dem Kommunikationsstrom zu, der uns täg­lich umspült, so fällt auf, dass die Häufigkeit des Ausspruchs: «So isch es ja» (Alternativen: «Ja, so isch es»; «Genauso isch es»; «Jawohl, so isch es») zunimmt. Er stellt eine über­höh­te Form der Bestätigung dar. Er ist ver­ba­le Versicherung und Unsicherheitsabsorption. Er ist eine Bekräftigungsform, die etwas als real, unver­rück­bar und alter­na­tiv­los dar­stel­len soll. «So isch es ja» ist der Schlussstein einer Kommunikation, ist der Kontingenzkiller par Excellence. «So isch es ja» ist der Erfolgskern wenn nicht der Schweizerischen Kultur, so denn doch ihrer Wirtschaft und Organisationen.

In einer Zeit in der bekannt ist, dass die Dinge vor allem nur mehr einen Schein-Charakter haben, der bei genau­er Betrachtung mit einer Fülle von Gegenargumenten dekon­stru­iert wer­den kann, ist es für eine sta­bi­le Berechnung wich­tig, sich auf einen Fixpunkt zu eini­gen, der vor­gibt, er sei sta­bil. Mit die­ser Krücke lässt es sich dann im Strom der Unberechenbarkeiten wan­kend aus­hal­ten. «So isch es ja» ist nicht nur das Erfolgsrezept der Schweiz, son­dern zugleich die Erfolgsformel von Organisationen. «So isch es ja» besie­gelt die Optionenvielfalt und redu­ziert auf Eindeutigkeit – und die­se ist es, die dazu führt, dass (ziel­ge­rich­te­tes) Handeln erfol­gen kann. Dort, wo Handeln mit dem bestä­ti­gen­den Ausspruch des «Jawohl, so isch es» kom­bi­niert wird, ist kein Platz mehr für das Beobachten, für das Zweifeln, für das Unterbrechen. In einer sol­chen Welt kann man in der Tat nicht anders, als zu glau­ben, dass im Handeln das Erfolgsgeheimnis liegt. Wird sich strikt dar­an gehal­ten, so stellt sich Erfolg ein, vor­aus­ge­setzt, das Umfeld kann mit den Ergebnissen auch etwas anfan­gen. In einer Zeit, in der Wandel als Normalzustand und Puls der Gesellschaft gilt, ist es beru­hi­gend, dass auf die Beständigkeit, das Klare, das Stabile ver­wie­sen wer­den kann. Organisationen, die das Prinzip «Ja, so isch es» anwen­den, gekop­pelt an ledig­lich tem­po­rä­re Wahrnehmungsöffnungen, sind heu­te erfolg­reich. Dagegen kann man natür­lich Sturm lau­fen, weiss man wohl, dass dar­in ein Stück Borniertheit zu ver­mu­ten ist, was einen auf die Palme brin­gen kann. Aber sind nicht tat­säch­lich jene Gruppierungen, Organisationen und sogar Nationen erfolg­reich, die die­sem Prinzip nach­kom­men?

Drei Beispiele: Schweizerische Unternehmen sind seit Jahren ver­läss­lich an der Spitze von Innovationsrankings zu fin­den. Wohl kaum zeich­net sich jedoch auf den ersten Blick die Schweiz als ein Land mit auf­fäl­lig schril­len und krea­ti­ven Köpfen aus. Und doch steht die Schweiz wie kein ande­res Land für Innovationen. Dabei, meta­pho­risch aus­ge­drückt, sind ihre Berge Chancen und Risiken zugleich. Die Einengung auf einen Kanal för­dert die Konzentration auf das, was vor einem liegt. Andererseits ver­hin­dert es, zu sehen, was sonst noch Relevantes pas­siert. Aber was kann schon in einer sich pro­sti­tu­ie­ren­den Aufmerksamkeitsgesellschaft so rele­vant sein, dass man sich wirk­lich irri­tie­ren las­sen soll­te? In Schweizerischen Innovationsprozessen ist in der Tat die Phase zu beob­ach­ten, in der nicht mehr nach links und rechts geschaut wird, in der schlicht weg umge­setzt, also gehan­delt wird. Zuvor wird sich jedoch aus­ge­tauscht, zuvor wird betrach­tet, wel­che Ideen im Raum sind, was man Innovatives tun könn­te. Es sind nicht die bun­ten und schrä­gen Kreativvögel, die das zu lei­sten ver­mö­gen, son­dern viel­mehr die Tüftler und, im besten Sinne des Wortes, Verwalter. Sie set­zen am Bestehenden an, an der Leidenschaft, Details ver­bes­sern zu wol­len. Innovation wird hier zu einem struk­tu­rier­ten Produktionsprozess im «Kanal», bzw. «Tal der Berge». Ist der Prozess ein­mal am Laufen, kann ihn nichts unter­bre­chen. Darauf kann man ver­trau­en.

Ein ähn­li­ches Verhalten ist im Einzelhandel zu beob­ach­ten. Lassen Sie sich auf die­ses Experiment ein, bege­ben Sie sich zum Beispiel in Bern in das alt­ein­ge­ses­se­ne Warenhaus Loeb. Suchen Sie sich dort einen Pullover aus und fra­gen Sie das dor­ti­ge Verkaufspersonal, ob es die­sen nicht auch in einer ande­ren Farbe und Grösse gibt. Was dann geschieht ist hoch­span­nend: Sollten Sie nach 30 Sekunden auf den Gedanken kom­men, dass es Ihnen doch nicht so wich­tig ist, einen Pullover erwer­ben zu wol­len, so ist es nicht mehr mög­lich, den Prozess des Suchens auf Verkäuferseite zu stop­pen. Auch ein bestimm­tes aber freund­li­ches Draufhinweisen, dass Sie es sich wirk­lich anders über­legt haben und doch ein T‑Shirt kau­fen wol­len, ändert nichts an der Ausführung des zuvor erteil­ten Auftrags. Sie haben eine Frage gestellt – «so isch es ja» – und da wer­den Sie wohl Geduld auf­brin­gen, bis die Frage auch beant­wor­tet ist. In der Tat, ohne hier Schleichwerbung betrei­ben zu wol­len, bei Loeb bekommt der Kunde was er sucht. Im Marketingjargon wür­de man von erfolg­rei­cher Kundenorientierung spre­chen, egal, wie man ein sol­ches Verhalten noch beschrei­ben könn­te. Verlässlichkeit wird in einer Dienstleistungsgesellschaft, die den Kunden nicht so ernst nimmt, zum ent­schei­den­den Wettbewerbsvorteil.

Schliesslich, um ein letz­tes Beispiel zu nen­nen, wer­fen wir einen Blick in unser Nachbarland Deutschland. Dort ist der Erfolg der (Wieder-)Kanzlerin Merkel auf die «So isch es ja»-Haltung zurück­zu­füh­ren. Während rechts und links und süd­lich der Germanenrepublik die wirt­schaft­li­chen Kartenhäuser zusam­men fal­len, herrscht in Deutschland jed­we­der tie­fe­ren Analyse das Gefühl, dass man der ein­zi­ge sta­bi­le Felsen in Europa ist. Und wenn es nicht das Gefühl der Stabilität ist, so dann doch der Wunsch danach. Wie einst Konrad Adenauers Wahlslogan, ohne das expli­zit zu sagen, regiert Angela Merkel nach dem Prinzip «Keine Experimente». Dass Sparen und die Konsolidierung der Haushalte das ein­zi­ge Rezept ist, um sich wirt­schaft­lich zu erho­len, ist Mantra gewor­den. Wie sol­len Spanier, Griechen, Portugiesen und Italiener eine Alternative kre­ieren kön­nen, die Chance auf Durchsetzung hat, wenn Deutschland als Leuchtturm ver­meint­li­chen wirt­schaft­li­chen Erfolgs bloss zu sagen braucht: «Sparen – jawohl, so isch es. (Und bleibt es.)».

Zurück zu unse­ren Organisationen, sei­en es Wirtschaftsunternehmen oder poli­ti­sche Parteien, sie alle tra­gen in ihrem orga­ni­sier­ten und auf Wiederholung basier­ten Grundkonzept den Leitsatz «Ja, so isch es». In dem gan­zen markt­wirt­schaft­li­chen Innovationshype erfährt die Stabilität ein Revival. Sie rüstet sich für ihre eige­ne Hochkonjunktur, in dem sie der Kontingenz, dem Einspruch, der Alternative, der Andersartigkeit, schliess­lich der Innovation durch ihre Präsenz einen Riegel vor­schiebt. In dem gan­zen Strudel an Veränderungsprojekten, die orga­ni­sa­ti­ons- und gesell­schafts­weit lan­ciert, abge­bro­chen und wie­der neu auf­ge­setzt wer­den, ist der Verweis auf das Beständige eine wohl­tu­en­de Entlastung. Nicht anders ist zu erklä­ren, dass der Verweis auf Werte immer wie­der auch ein Erfolgsrezept ist. Vom Standpunkt der Beständigkeit aus lässt es sich in einem tur­bu­len­ten Umfeld aus­hal­ten. Man weiss, wo man steht. Jetzt steht mal wie­der Weihnachten vor der Tür – oder? «Ja, so isch es!» Das wird kei­ner bezwei­feln. Amen.

*bewirt­schaf­tet von frank.dievernich@hslu.ch vom Competence Center General Management der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2013

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