so rosa

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Von Peter J. Betts – «so rosa / wi du rosa / bisch / so rosa / isch / ke loui süsc» – dies ist die erste der bei­den Strophen von Kurt Martis bekann­te­stem Exponat in einem Zyklus von vier­zig Werken in Berner Umgangssprache (Copyright by Hermann Luch-ter­hand-Verlag, 1967). Das Gedicht und der Zyklus heis­sen «rosa loui», und der Zyklus endet mit einem Fünfzeiler «hom­mage à rabelais», in dem die Schönheit der wüsten Wörter als Brunnen in der Wüste der schö­nen Wörter besun­gen wird. Bezeichnend. Höchst aktu­ell. Leider. Wenig rosi­ge Aussichten. Fühlbar bei­spiels­wei­se bereits, wenn Marti fast ein Jahrzehnt vor­her in einem drei­tei­li­gen Siebenzeiler die Perspektiven der «Grünen Politik» (für deren postu­lier­te Anliegen, soweit echt, sein Herz immer vehe­ment geschla­gen hat) sehr real­pes­si­mi­stisch, gewis­ser­mas­sen kon­kret skiz­ziert: Dort wird der – grü­ne – Bauer (Landwirt? Autor von Bauten?) zum Bauer (Käfig – ohne Fragezeichen), hin­ter des­sen gol­de­nen Stäben der Vogel Freiheit (den­noch vogel­frei?) singt. Poetische Überlegungen zur Kosten-Nutzen-Ethik? Jene Zeilen fin­den Sie im Zyklus «repu­bli­ka­ni­sche gedich­te» (erstes Copyright by Tschudi-Verlag, St. Gallen 1959), noch näher an der Quelle der Konkreten Poesie, deren Vater Eugen Gomringer ist. Ja, der Goldene Käfig – «… Ach, wir Armen!», wie schon Gretchen beim Betrachten von Kostbarkeiten klagt. Ziel der «Grünen Politik» ist nicht nur das Bekämpfen von Atomkraftwerken. Es geht offen­bar auch um die Freiheit der Kreatur, die Würde – mög­lichst – natür­li­cher Landschaft, das Fördern eines engen Bezugs zwi­schen den Menschen einer­seits und ander­seits der Pflanzen- und Tierwelt. Es geht min­de­stens um Koexistenz, viel­leicht gar um das Erleben und Ermöglichen not­wen­di­ger sym­bio­ti­scher Verhältnisse unter «art­ge­rech­ter» Wahrung der betei­lig­ten Individualitäten. Ökotourismus ermög­licht zum Beispiel, dass der Mensch als halb­wegs orga­ni­scher Bestandteil der Zivilisationsautomatik zum Rest der Erde, einen Bezug ent­wickelt, ohne ihm über­mäs­sig zu scha­den. Dazu braucht es mög­lichst intak­te Naturräume. Die ech­ten Bedürfnisse der Menschen und der übri­gen Naturexponate müs­sen erfüllt wer­den. Geht es um die Quadratur des Kreises? «Blauer Bach gegen grü­nen Strom» titelt «Der Bund» am 18. Januar den ein­drück­li­chen Artikel von Timo Kollbrunner über eine die­ser Zwickmühlen. Viele schö­ne Wörter sind in der Sache gefal­len. Ob am Ende eine Wüste bleibt, in der sogar die Brunnen der wüsten Wörter ver­trock­nen wer­den? Die Ausbaupläne des Atomkraftwerks Mühleberg wer­den mit har­ten Wörtern und schö­nen Worten von «den Grünen» (aber kei­nes­wegs nicht nur von ihnen) bekämpft. Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie sol­len mit­welt­scho­nend die nöti­ge Elektrizität pro­du­zie­ren, und par­al­lel dazu soll unser Energieverbrauch rigo­ros gedros­selt wer­den. Bevor die AKW-Lobby den Schwanz ein­zie­hen muss, kommt ihnen der Kampf gegen den CO2-Ausstoss wegen der pro­gno­sti­zier­ten Klimakatastrophe zu Hilfe: Kernenergie ist mit­welt­freund­lich, wenig­stens CO2-neu­tral. Dagegen kön­nen, dür­fen Grüne doch nichts haben, im Prinzip, oder? Auch hier fal­len schö­ne Wörter. Alles geschieht aus­schliess­lich im Interesse der Umwelt, heisst es. Und natür­lich müs­sen die Wasserkraftwerke aus­ge­baut wer­den, beson­ders auch als Zugeständnis an die Grünen. Und im glei­chen Sinne spre­chen Exekutive über ihre Ziele, Bäche und Flüsse zu rena­tu­ra­li­sie­ren. Auch hier vie­le schö­ne Wörter. Doch rosi­ge Aussichten? Kollbrunner schreibt: «… Kraftwerke haben Tradition im Rosenlauital. Bereits im ersten Jahrzehnt des ver­gan­ge­nen Jahrhunderts wur­de «Schattenhalb 1» gebaut. Es soll­te den Betrieb der Grossen-Scheidegg-Bahn sicher­stel­len. Die Bahn wur­de nie gebaut, das Kraftwerk aber blieb. 1926 folg­te das zwei­te Werk, im Herbst die­ses Jahres wird «Schattenhalb 3» in Betrieb genom­men, mit dem der Energiegewinn der bei­den älte­ren Werke opti­miert wer­den soll … Die Menschen, denen das Erhalten des Tals am Herzen liegt, haben sich dage­gen nicht gewehrt, weil sie geglaubt hat­ten, damit hät­ten «das Rosenlauital und der Tourismus ihre Schuldigkeit für die Bereitstellung von Energie getan». Auch die Elektrowerke Reichenbach (EWR) hat­ten ein wei­te­res Ausbauprojekt erar­bei­tet, dies aber in unver­brief­ter Übereinkunft mit den direkt betrof­fe­nen Menschen «wohl­über­legt in der Schublade ruhen las­sen»; durch­aus auch aus Respekt vor dem Wert des «ursprüng­li­chen Tals mit sei­ner jahr­hun­der­te­al­ten Tourismustradition». Es war «eigent­lich unbe­strit­ten, dass man den Bachlauf vom Gschwandtenmaad bis ins Zwirgi unbe­rührt las­sen wür­de». Vor neun Jahren wur­den die EWR von der BKW gekauft. Die BKW hat nun das Sagen. Für die Bernischen Kraftwerke gel­ten die münd­li­chen Übereinkünfte nicht. Im Dezember hat die BKW das Konzessionsgesuch für «Schattenhalb 4» ein­ge­reicht. Für den Wert von Tal und dem viel­fäl­ti­gen Leben dar­in hat die BKW wenig Sinn, so lan­ge für sie die Kasse stimmt. Die Betroffenen wer­den aktiv. Vielleicht wer­den mit der Zeit auch böse Wörter fal­len müs­sen, bis viel­leicht auch die­ser Brunnen in der zu erwar­ten­den Kulturwüste ver­trock­nen muss. «Nach Golde drängt, / Am Golde hängt / Doch alles! Ach wir Armen», sagt Gretchen (Faust I, Abend). Erst vor sehr kur­zer Zeit wur­de der Verein «schat­ten­halb 4» offi­zi­ell gegrün­det, gleich­na­mig wie das Projekt, für des­sen Realisation das Konzessionsgesuch ein­ge­reicht wor­den ist. Aber als vehe­men­ter Kerntrupp der Gegnerschaft. Es wer­den tat­säch­lich wohl auch wüste Wörter fal­len müs­sen: Das enge, gewun­de­ne Strässchen eig­net sich sicher nicht für den Transport der für das Projekt not­wen­di­gen schwe­ren Baumaschinen und das umfang­rei­che Material. Zuerst wird wohl also die Strasse aus­ge­baut. Vereinsmitglieder fürch­ten, dass dadurch eine neue belieb­te «Töff-Rennstrecke» und über­haupt ein stark ver­mehr­tes Verkehrsaufkommen zu erwar­ten sind. Gretchens Gold als Köder: Das gan­ze Tal bis hin auf die Grosse Scheidegg soll an das öffent­li­che Stromnetz ange­schlos­sen wer­den. Kollbrunner: «… damit wür­de das Rosenlauital sei­nen Status als CO2-frei­er und in Sachen Energie unab­hän­gi­ger Ferienort ver­lie­ren – und damit in einer Zeit, in der Energieeffizienz zu einem immer wich­ti­ge­ren Gut wird, einem nicht unbe­deu­ten­den tou­ri­sti­schen Standortvorteil … Die Folgen der BKW-Bestrebungen, auf Kantonsgebiet CO2-neu­tra­le Energie, so genann­ten grü­nen Strom zu gewin­nen, sind aus Sicht des jun­gen Vereins gera­de­zu para­dox (mei­ner Ansicht nach sogar reich­lich zynisch): Im Gegenzug zur Kastration sei­ner Hauptattraktion, dem Reichenbach, wür­de das Rosenlauital Strom erhal­ten, den sei­ne Bewohner nicht wol­len (das Hotel Rosenlaui bezieht etwa den benö­tig­ten Strom aus einem eige­nen Kraftwerk – gespeist von Wasser, das einer Quelle auf eige­nem Grundstück ent­springt.). Und (es erhält) eine Strasse, die für eine Art von Tourismus sor­gen wür­de, den sie auch nicht wol­len. Fürwahr kei­ne rosi­gen Aussichten.» Der Verein stellt sicher eine leicht über­seh­ba­re Minderheit dar – hat das eine Chance in einer Demokratie? Wollen Sie etwas unter­neh­men? Der Vogel im Rosenlauital wird viel­leicht sein Lied der Freiheit hin­ter gol­de­nen Käfigstäben sin­gen müs­sen. Eine Frage nach der Kultur einer Politik? So vie­le impli­zi­te Widersprüche, dass die Grünen sich wohl kaum geschlos­sen dafür wer­den ein­set­zen kön­nen. Gesichter dür­fen doch nicht ver­lo­ren wer­den. Anderseits: Sind wider­spruchs­freie Kultur, Politik, Kulturpolitik über­haupt mög­lich? Wäre so etwas über­haupt wünsch­bar? Gar end­lich eine ech­te Chance und – etwa rosig? Qua-dra­tur des Kreises. Konkrete Poesie: gra­phi­sche Gruppierung wohl­über­leg­ter Worte; den Lesenden ist es über­las­sen, die­se Konstellationen zum Sprechen zu brin­gen. Kultur als Spielanleitung zum – Handeln?

ensuite, März 2010

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