Selfiejournalismus auf der Anklagebank

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Von Dr. Regula Stämpfli - Fake News sind in aller Munde und trotz­dem noch lan­ge nicht im Kopf ange­kom­men. Im Januar 2017 stan­den Hannah Arendts «Totalitarismus» und George Orwells «1984» auf der Amazon-Bestsellerliste. Doch je mehr klu­ge Autorinnen und Autoren über anti­de­mo­kra­ti­sches Denken in den neu­en und alten Medien schrei­bend nach­den­ken, umso weni­ger kom­men die­se Analysen dort an, wo sie hin­ge­hö­ren: in die Politik, in die Recherche, in die Kontrolle der Mächtigen und letzt­lich in die Re-Demokratisierung der noch exi­stie­ren­den Verfassungsstaaten.

Vor Weihnachten hat der Fall Relotius die Medienwelt erschüt­tert. Der mehr­fach preis­ge­krön­te «Spiegel»-Reporter Claas Relotius hat sei­ne publi­zier­ten Geschichten oft frei erfun­den oder Tatsachen mit eige­nen Fiktionen aus­ge­schmückt. Damit beein­druck­te der Starjournalist sei­ne Kollegen und erfüll­te offen­sicht­lich die Erwartungen der «Spiegel»-Leserschaft. Claas Relotius ist kein Einzelfall, son­dern die Spitze eines Medien-Machtssystems, das Geschichten zwar nicht so bra­chi­al erfin­det wie Claas Relotius, jedoch vie­le «News» ver­kauft, die wenig mit Recherche, Machtkontrolle, Transparenz und Information zu tun haben. Die Personalisierung und Skandalisierung wich­ti­ger poli­ti­scher Zusammenhänge ver­wan­delt den zeit­ge­nös­si­schen Newsjournalismus in ein Rating‑, Klick- und Fiktionssystem. Dieser Affektjournalismus greift nun auch inner­halb der Journalisten um sich: Die Attacken gegen die Mitglieder der eige­nen Zunft ver­schär­fen sich; es wird aber kei­ne grund­sätz­li­che Kritik an der Art und Weise der Newsproduktion gelei­stet, son­dern nach alter Rudelmanier auf den «Mann» (meist auf die Frau) geschos­sen. Ich könn­te davon eini­ge Beispiele aus der Schweizer Presse erzäh­len. Ich wer­de mich indes­sen hüten, da selbst ein der­art mäch­ti­ger Mann wie der ehe­ma­li­ge Chefredakteur des «Guardian», Alan Rusbridger, der mit sei­nen Recherchen gan­ze Staaten in die demo­kra­ti­schen Knie zwin­gen konn­te, nach­dem er sei­ne Kollegen an der Fleet Street der Korruption, ille­ga­ler Abhörpraktiken und der Erpressung über­führt hat­te, plötz­lich sel­ber zum Abschuss frei­ge­ge­ben wur­de.

Wie dies sein kann, davon erzählt Alan Rusbridger in «Breaking News. The Remaking of Journalism and Why It Matters Now» aus dem Jahr 2018. Ein beacht­li­ches Buch, doch sehr typisch, dass es nicht lan­ge auf den Bestsellerlisten stand und von den Medienkollegen kaum bespro­chen wur­de: wie eigent­lich alle Bücher, die sich kri­tisch mit der Wirkung des zeit­ge­nös­si­schen Journalismus aus­ein­an­der­set­zen, von den Journalisten ger­ne tot­ge­schwie­gen wer­den.

Alan Rusbridger war von 1995 bis 2015 Chefredaktor des lin­ken «The Guardian». In sei­ne Amtszeit fie­len unzäh­li­ge spek­ta­ku­lä­re Medienfälle, die Rusbridger auch vor Gericht erfolg­reich zugun­sten der Pressefreiheit aus­focht. Er war in engem Kontakt mit Julian Assange und Edward Snowden. Dies sind Kapitel, die sich wie ein Krimi lesen. «The Guardian» stand unter Rusbridger alles durch: den Arabischen Frühling, die Druckversuche aus den USA wegen dem Material rund um Wikileaks und Edward Snowden, die Aufdeckung unzäh­li­ger Steuerhinterziehungsskandale. Doch die Aufdeckung des Abhörskandals rund um die Rupert-Murdoch-Medien hät­ten Rusbridger fast gebro­chen. Er beschreibt, dass er sich nie ein­sa­mer und ver­letz­li­cher gefühlt habe als in den Monaten, in denen der «Guardian» die Straftaten des Medien-Tycoons (des­sen Hauptakteure im Abhörskandal übri­gens wie­der nett im Geschäft sind) auf­ge­deckt habe. Einem Journalisten, egal wie preis­ge­krönt, egal wie unab­hän­gig, egal wie wahr­heits­su­chend, wird die Kritik im eige­nen Lager NIE ver­zie­hen. Es ist, als sähen sich Journalisten sel­ber als Elite, über jeden Verdacht und über jede Recherche in den eige­nen Reihen erha­ben. Ein Denken, das die Philosophin Hannah Arendt als unab­ding­ba­re Voraussetzung für demo­kra­ti­sches Handeln for­dert, ein Denken, das kri­tisch bleibt, vor allem immer wie­der gegen sich sel­ber, ist für die mei­sten Journalisten ein abso­lu­tes No-Go. Dass sie sich durch die­ses Verhalten sel­ber abschaf­fen, ist nur den wenig­sten bewusst. Dabei sind schon vie­le Medien ent­we­der ver­schwun­den oder sie wer­den von Billionären gekauft, die die per­fek­te PR-Bühne für ihr Unternehmen mit Journalismus schmücken. Dies und eine Armada von Anwälten an der Seite, lässt jede Medienkritik, jede Machtkontrolle, jede Recherche schon bei der Frageformulierung ver­stum­men. Dass dies für Demokratien ver­hee­rend ist, dar­über wird nicht gere­det, son­dern die Journalisten tun so, als wären sie die Garantie der Demokratie, wenn viel zu oft das Gegenteil der Fall ist.

Rusbridgers Buch über die bri­ti­sche Elite, über die gras­sie­ren­de Korruption inner­halb der höch­sten Ränge von Politik und Medien erzählt unend­lich viel über die Etablierung des anti­de­mo­kra­ti­schen Denkens in den Medien sel­ber. Es ist ein Dokument – mei­nem «Trumpism»-Buch nicht unähn­lich –, das in ein paar Jahrzehnten her­an­ge­zo­gen wer­den muss, wenn erklärt wer­den soll, wes­halb sich die west­li­chen Demokratien durch den Niedergang der Vierten Gewalt sel­ber zer­stört haben. Es ist erschüt­ternd, zu sehen, dass «Breaking News» zwar in eini­gen ein­schlä­gi­gen Kreisen durch­aus Beachtung fand – wie­der­um mei­nem «Trumpism»-Buch nicht unähn­lich –, doch inner­halb der Medien mit System run­ter­ge­spielt wur­de. Als dann Alan Rusbridger nicht nur den «Guardian» ver­liess, son­dern den eigent­lich ver­spro­che­nen Posten der Stiftungsleitung für den «Guardian» nicht über­neh­men konn­te, ergoss sich die Häme der Kollegen bis nach Deutschland und in die Schweiz. Wie gesagt: Die gefähr­lich­ste Recherche momen­tan ist die Wahrheitssuche dort, wo es weh­tut: im Herzen des Klüngelsystems zwi­schen Elite, Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit. Dies hat nichts mit «Lügenpresse» zu tun, im Gegenteil. Die Medien sind heil­froh, dass es die Idioten von rechts gibt, die die Presse völ­kisch und natio­nal zer­stö­ren wol­len. So müs­sen sie sich nicht der all­fäl­li­gen Mittäterschaft stel­len, die seit Jahren dazu bei­trägt, dass sich die west­li­chen Demokratien in rechts­po­pu­li­sti­sche und auto­ri­tä­re Staaten ver­wan­deln. Wie gesagt: Rusbridgers und mein Buch wer­den in 50 Jahren als Quellen her­an­ge­zo­gen wer­den, wenn es dar­um geht, zu ver­ste­hen, was gera­de vor unser aller Augen pas­siert.

Nach der Lektüre von «Breaking News» war mir erneut klar, dass die wesent­li­chen Fragen zum Zerfall der Vierten Gewalt nicht gestellt wer­den. Woran gehen Demokratien zugrun­de? Ist es der tech­no­lo­gi­sche Wandel? Ist es die Weltwirtschaftskrise, seit die Banken 2008 von den Steuerzahlern «geret­tet» wur­den? Ist es der Fremdenhass? Ist es die Migration? Liegt es am Sterben der Bienen (Stichwort Klimawandel)? Die Antworten wären eben­so leicht zu fin­den wie die kla­ren Antworten, die die Demokratien stär­ken wür­den. Doch statt­des­sen domi­nie­ren Identitäts- und Affektthemen und die Experten in den Medien sind Vermesserideologen, deren Statements nicht nur heis­se, son­dern auch übel rie­chen­de Luft ver­strö­men.

Demokratien und die Menschen gehen an üblen Menschenbildern, anti­de­mo­kra­ti­schen Fiktionen, Lügen und Ideologien zugrun­de. Aufgepasst: Die kön­nen durch­aus auch in den lin­ken, pro­gres­si­ven und sich selbst rüh­men­den Kultkreisen vor­kom­men. «Wie Selfies und Fakes die Demokratie aus der Welt klicken» lau­tet nicht von unge­fähr der Titel einer mei­ner Vorträge zur Gegenwart – sehr zum Unmut mei­ner Schweizer Kollegen. Es wäre auch die Aufgabe der Journalisten, die­se Fiktionen nicht nur auf­zu­decken, son­dern genü­gend Informationen zu lie­fern, um die Aufgabe jedes Einzelnen in der Demokratie, näm­lich die der Mitgestaltung, erfül­len zu kön­nen. Was indes­sen meist getan wird, ist eine flä­chen­decken­de Schlacht gegen alles, was Selbstkritik beinhal­ten könn­te. Damit wird jedoch genau das, was Menschen zu Menschen macht, und letzt­lich der Mensch sel­ber dem Scheiterhaufen der Geschichte über­ge­ben.

Alan Rusbridgers «Breaking News» ist ein für alle Journalistinnen und Journalisten schmerz­haf­tes Buch. Es gehört zur Basislektüre an jeder Journalistenschule – mei­nem «Trumpism» nicht unähn­lich. Doch auf­ge­passt: Wahrsprechende wer­den, wie Alan Rusbridger erle­ben muss­te, nicht vom Feind, son­dern meist von den eige­nen Kreisen fer­tig­ge­macht.

 

Alan Rusbridger, Breaking News. The Remaking of Journalism and Why It Matters Now. Edinburgh 2018, ISBN 978 78689 093 1

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