Praxis Neumarkt I – Glück ist, wenn man es packt

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By Christian Felix

Das Theater Neumarkt hat sich zwei Tage lang der Glücksforschung ver­schrie­ben. Am Freitag ging die erste Etappe über die Bühne. Zwei mal zwei Gesprächpartner such­ten nach dem Glück. Wenn man sich auf eine Suche begibt, tut man das, weil etwas fehlt. Also: Wo ist das Glück auf der Strecke geblie­ben? – In der indu­stri­el­len Revolution. Bei die­ser Umwälzung jeden­falls lan­den Gespräche über das mensch­li­che Glück immer wie­der, zumal der Journalist Daniel Binswanger zunächst den Wirtschaftswissenschafter Hans Christoph Binswanger befragt. Die indu­stri­el­le Revolution wird zur (fal­schen) Metapher einer Art Vertreibung aus dem Paradies.

Die wirt­schaft­li­che Voraussetzung

Während man dem Gespräch folgt, hat man H.C. Binswangers Definition von Glück viel­leicht schon über­hört. Er beschreibt Glück als Abwesenheit von Not. Die Wirtschaft habe dabei die Aufgabe, die Menschen aus­rei­chend mit lebens­not­wen­di­gen Gütern zu ver­sor­gen. Natürlich ent­steht so an sich noch kein Glück, aber es wird ermög­licht. Damit ist man auf der Glücksuche soweit gekom­men, wie wenn man auf die Frage «Wo liegt das Theater Neumarkt?» ant­wor­ten wür­de: «In Eurasien». Im wei­te­ren Verlauf des Gesprächs geht es um Biswangers – bemer­kens­wer­te – wirt­schaft­li­che Hypothesen. Dabei wird immer deut­li­cher, dass sich die Ökonomie und das Glück doch eher wie Wolf und Schaf zuein­an­der ver­hal­ten.

Das kriegt theo­re­tisch halb Zürich mit. Live. Aus dem Saal twit­tern Gäste über #PraxisNeumarkt oder über ihre eige­nen Konten. Und wer zu die­ser Zeit in der Langstrasse zufäl­lig bei Perla-Mode vor­bei kommt, sieht die Twitterbeiträge auf einem Bildschirm im Schaufenster. Dieses Experiment will die Mauern des alt­ehr­wür­di­gen Barockgebäudes am Neumarkt spren­gen. Das ist Folgerichtig: Mauern und Grenzen gehö­ren sicher zu den ärg­sten Feinden des Glücks.

Wenn Dieter Meier glück­lich ist…

Gerade die Lebenserfahrung des Multitalents Dieter Meier zeigt dies. Sein Gesprächspartner, der Journalist Finn Canonica von «Das Magazin», ver­mu­tet sogar, Dieter Meier hät­te neben der Musik, der Kunst, dem Weinbau… sogar das Talent zum glück­lich sein. Meier wider­spricht: «Ich bin nur immer glück­lich, wenn ich dich sehe, Finn!» Dabei scheint es aller­d­nigs so, als ob Dieter Meier den Mann vom Magazin ein wenig zum Narren hiel­te. Jedenfalls rutscht er auf schma­len Kufen durch das Gespräch. Er gibt einen Heldenopus zum Besten, mit sich selbst als Protagonisten, nimmt sich dabei aber auf die Schippe, so dass er das Publikum mit­samt Twitterati in der Tasche hat. Die Besucher lachen. Dieter Meier macht sie glück­lich. Nur dies­mal die zwit­schern­den Gäste nicht. Sie kom­men kaum noch nach mit ihren Daumen auf den Handys.

Canonica lässt der­weil nicht locker, bohrt nach: Was sind die glück­lich­sten Momente im Leben eines Dieter Meiers? Die Antworten über­ra­schen. Am schön­sten ist es, wenn es zunächst ganz lang­wei­lig, ganz elend lang­wei­lig ist. Dies erst erzwingt krea­ti­ves Tun. Zum Beispiel Schreiben. Wenn man dann völ­lig selbst­ver­ges­sen voll in der Sache auf­geht, ist es plötz­lich da, viel­leicht ganz unbe­merkt und kurz: Das Glück. Es ist das Glück des Kindes im Spiel. Ist der Kritiker in die­sem Moment, in dem er schreibt, eben­falls glück­lich? Die Antwort ist ein Seufzer. Der Kritiker heisst nicht Dieter Meier.

Das Paradies

Offensichtlich schil­dern alle Metaphern vom ver­lo­re­nen Paradies nichts ande­res als den Verlust des Kindheitsglücks. Dieter Meier konn­te die­ses aus­ser­or­dent­lich genies­sen. Seine Eltern ver­zich­te­ten ganz dar­auf, ihn zu erzie­hen. Womit jetzt schon zwei beson­ders gar­sti­ge Feinde des Glücks demas­kiert wären: Die Ökonomie und die Pädagogik. Man muss also zuge­ben: Am ersten Tag der Praxis Neumarkt för­dert die Glücksforschung durch­aus Erkenntnisse zum Vorschein. Es sind unvoll­stän­di­ge, bruch­stück­haf­te Einsichten, oft in die Beschaffenheit des Unglücks, manch­mal in das Wesen des Glücks.

Wie das Twitter-Experiment aus­ging, ent­zieht sich der Kenntnis des Kritikers. Er hät­te dazu gleich­zei­tig vor dem Perla-Mode in der Langstrasse ste­hen müs­sen. Dass er dort jedoch von ande­ren Versprechen des Glücks abge­lenkt wor­den wäre, ist schwer zu ver­mu­ten. Im Theater selbst sorg­te das Zwitschern für Heiterkeit, eine gute Stimme und klei­ne Momente des Glücks.

RSS-Quelle:: http://www.kulturkritik.ch/2014/praxis-neumarkt/

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