Pandem(an)ie

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Von Luca Zacchei – «Lieber Doktor Zuberbühler. Ich füh­le mich nicht wohl. Bei die­ser Wetterlage schmerzt es auf mei­ner Brust, und wenn ein star­kes Tiefdruckgebiet in der Nähe des Urals wütet, dann spü­re ich ein dump­fes Stechen. Genau hier. Es bleibt aber nicht ewig da, es strahlt nach oben und manch­mal nach unten aus. Seitlich eher sel­ten. Aber in letz­ter Zeit doch öfters, ins­be­son­de­re dann, wenn Sandra Boner SRF Meteo mode­riert. Ich brau­che auf alle Fälle eine Tablette. Eine grü­ne oder eine weis­se. Eventuell eine ecki­ge, mit glat­ten Kanten aber, damit mei­ne gereiz­te Speiseröhre nicht zusätz­lich lei­den muss. Sie sind der Experte und wis­sen sicher Bescheid. Und Sie kön­nen mir sicher auch mit dem fol­gen­den Problem wei­ter­hel­fen. In letz­ter Zeit juckt es auf mei­ner gerö­te­ten Kopfhaut ganz fest. Sind es Kopfläuse? Vielleicht bin ich auf Läuse all­er­gisch. Es juckt näm­lich zwei­fach inten­siv. Und die­se Grippe, Herr Doktor. Unerträglich. Ich habe zudem erfah­ren, dass Tamiflu nicht wirk­lich wei­ter­hilft. Stimmt das? Falls nicht, dann blei­be ich doch lie­ber 0.7 Tage län­ger im Bett. Unter der Decke, wo es ange­nehm warm ist, weit weg von Powerpoint-Präsentationen und Excel-Tabellen. Die rau­ben mir den Schlaf, beson­ders dann, wenn die schlech­ten Quartalszahlen unse­rer Geschäftsleitung prä­sen­tiert wer­den müs­sen. Wissen Sie, ich schla­fe nicht mehr so tief. Am Nachmittag mei­ne ich. Baldrian nützt nichts, Magnesium wirkt abfüh­rend und kann nur mit der rich­ti­gen Menge Imodium neu­tra­li­siert wer­den. Die ent­ge­gen­ge­setz­te Dosierung fällt mir in letz­ter Zeit schwer. Meine Hände zit­tern näm­lich stär­ker. Vielleicht eine Nebenwirkung des Temesta? Und die­se Rückenschmerzen! Die waren am Anfang gar nicht so schlimm. Ich lag wegen der Grippe seit fünf Tagen im Bett und spür­te ein leich­tes Ziehen in mei­nen Lenden. Nachdem das drit­te Perskindol-Patch über Nacht nicht wirk­lich gehol­fen hat­te, muss­te ich mich mit Voltaren ein­rei­ben. Die Stelle konn­te ich aber nicht gut errei­chen und muss­te mich unna­tür­lich ver­ren­ken. Der Hexenschuss war unaus­weich­lich. Zum Glück hat­te ich das Voltaren bereits auf­ge­tra­gen und mit dem Tramadol konn­te ich die Schmerzen fast gänz­lich in den Griff bekom­men. Das Marcumar wirkt hin­ge­gen wun­der­bar, da gibt es nichts aus­zu­set­zen. Das Blut fliesst, das spü­re ich förm­lich. Es pul­siert. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich vol­ler Leben bin. Die Wärme ent­wickelt sich spi­ral­för­mig in mei­nem Bauch. Oh Gott, viel­leicht sind es Bandwürmer! Dies könn­te erklä­ren, wie­so ich in letz­ter Zeit zwi­schen­durch so fröh­lich bin. Vielleicht waren nur mei­ne Bandwürmer glück­lich. Das Glück spür­te ich in mei­nem Bauchnabel beson­ders stark. Und hat­te Angst, dass es bald vor­bei­ge­hen könn­te. So war es dann auch. Und ich fühl­te mich plötz­lich schlapp. Gerade jetzt im Frühling ist die­se Müdigkeit beson­ders schlimm. Vielleicht man­gelt es mir an Eisen? Was mei­nen Sie, Herr Doktor?»

«Herr Sutter, gehen Sie raus, an die fri­sche Luft. Sonne und Luft sind die beste Medizin. Der Körper reagiert auf unse­re psy­cho­lo­gi­sche Verfassung. Und zwi­schen­durch kann eine Grippe auch erlö­send sein, Herr Sutter. Sie dür­fen krank sein und eine Pause ein­le­gen, sich in aller Ruhe rege­ne­rie­ren. Krankheiten gehö­ren zum Menschsein dazu. Übrigens, die Krankheit lässt uns die Gesundheit auch mehr schät­zen. Und sie dür­fen auch Schmerzen emp­fin­den. Diese bewei­sen, dass Sie exi­stie­ren. Die Frage ist eher, wie Sie damit umge­hen kön­nen. Welche sub­jek­ti­ve Erlebnisqualität sie damit impli­zie­ren. Meine Patienten möch­ten für ihre Leiden eine schnel­le Lösung. Sehr oft sind aber Krankheiten Symptome see­li­scher Ungleichgewichte, wel­che ich unmög­lich mit einer Tablette kurie­ren kann. Vielleicht müs­sen Sie in Ihrem Leben etwas ändern, Herr Sutter. Eine Reise könn­te Ihnen gut tun. Eine neue Stelle oder eine Weiterbildung, eine Partnerin. Es ist Frühling, die Zeit der Liebe. Sie kön­nen doch nicht ewig allein blei­ben. Also, lie­ben Sie und las­sen Sie sich lie­ben! Geniessen Sie das Leben. Warten Sie, Herr Sutter. Bevor Sie raus­ge­hen, wer­de ich Ihnen doch noch ein Päckchen Viagra ver­schrei­ben. Von Luft und Liebe allein kann ich nicht leben.»

Illustration: Rodja Galli / www.rodjagalli.com
ensuite, Mai 2014

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