Nolde in Berlin: Über das Urteilen in Kunst und Politik

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Von Dr. Regula Stämpfli - Künstler sind viel­schich­tig. Manchmal auch Verbrecher. „Caravaggio hat gemor­det. Veit Stoss hat einen Schuldschein gefälscht, Bernini sei­ne Geliebte mit einem Rasiermesser ent­stel­len las­sen.“ So schreibt die Süddeutsche Zeitung in „Buch Zwei“ vom 15./16. Juni 2019. Wenig klug ist es indes­sen, die­se Verbrechen mit Emil Noldes üblen Antisemitismus zur Hitlerzeit gleich­zu­stel­len. Caravaggio, Stoss und Bernini waren als Personen kri­mi­nell, Emil Nolde reih­te sich in sei­nen Schriften in die Organisation des staat­lich sank­tio­nier­ten Massenmordes am euro­päi­schen Judentum ein. Soviel Unterscheidungskraft muss sein in einer Zeit, in der post­mo­dern alles mit­ein­an­der ver­gli­chen, ver­wech­selt, um letzt­lich völ­lig recht- und moral­los ent­schei­den­de demo­kra­ti­sche Orientierung auf den Müllhaufen der Geschichte zu wer­fen. Die Frage, ob man noch Nolde auf­hän­gen soll oder nicht, ist kei­ne ethi­sche, son­dern eine durch und durch poli­ti­sche. Wer wie der Historiker Horst Bredekamp die Nolde-Diskussion sei Ausdruck einer „extre­men Ethnisierung der Kultur“, liegt völ­lig falsch.

Denn das Thema ist nicht die Politisierung der Kultursphäre mit engen zeit­gei­sti­gen Normen, son­dern die extre­me Ethnisierung der Politik, die pri­va­te Stories zum poli­ti­schen Programm erhebt. Man könn­te auch behaup­ten: Alte und neue Medien puschen kul­tu­rel­les Storytelling, das unter­halt­sa­men, ärger­li­chen Netz-Tratsch pro­du­ziert, die Leute mit völ­li­gen Nebensächlichkeiten zumüllt und die noch exi­stie­ren­den Demokratien, d.h. ein frei­er, öffent­li­cher Diskurs mit gros­ser Gestaltungsmacht, abschafft.

Völlig absurd wird in der „gros­sen Gereiztheit“ (Bernhard Pöksen) gegen das Phantom „Politischen Korrektheit“ gepol­tert oder zwecks Selfie-Inszenierung ver­mark­tet. Beide Seiten: Die PC-Hasser und die PC-Inszenierer*innen arbei­ten so kräf­tig am Aufstieg der rechts­extre­men Schlägertruppen mit. Denn die Aggression schrei­en­der Schlagzeilen und bru­ta­le Wirklichkeiten (ein 13jähriger bricht sei­ner Lehrerin den Kiefer) pro­du­ziert in jedem ein­zel­nen von uns nur Ohnmacht und Demokratie-Hoffnungslosigkeit.

Der von Horst Bredekamp beschwo­re­ne „Bildersturm“ der gegen­wär­ti­gen Kunstszene ist in Wahrheit anti­de­mo­kra­ti­sches Medienspektakel einer dem Tode geweih­ten Branche. Was mich zurück­führt zur völ­lig ver­que­ren Mediendiskussion rund um den Antisemiten Emil Nolde.

Die Frage ist nicht „Aufhängen“, son­dern WERK
Das Konzept eines Künstlers als Privatperson ist nach Arendt unmensch­lich: „Nur ein Privatleben füh­ren heisst in erster Linie, in einem Zustand leben, in dem man bestimm­ter, wesent­lich mensch­li­cher Dinge beraubt ist.“ So schreibt Hannah Arendt in ihrer Vita acti­va. Sie argu­men­tiert, dass zum Menschsein unab­ding­lich das Gesehen- und Gehörtwerden gehört, dass Menschen sich durch Handlungen mit ande­ren Menschen ver­bin­den, sich damit auch ver­pflich­ten und Verantwortung über­neh­men. Wer bei sei­nen Handlungen auf Privatheit pocht, besteht auf die Abwesenheit von Welt, von kon­kre­ten poli­ti­schen Zusammenhängen, vom sich gestal­tend in der Welt mani­fe­stie­ren.

Wer Privatheit dar­über hin­aus „mit allen Menschen“ gleich­setzt im Sinne „in uns allen steckt das Böse“, pro­pa­giert und beharrt auf einer Beziehungslosigkeit zwi­schen Menschen, einem seit dem Existentialismus sehr belieb­ten wie fal­schen Konzept in der Politik. Politisches Handeln ist immer öffent­li­ches Handeln. Totalitäre Systeme kenn­zeich­nen sich nach Hannah Arendt durch Privatheit aus im Sinne, dass alle öffent­li­chen Räume, das Dazwischen, die Welt ver­nich­tet wer­den, die not­wen­dig sind um sich frei als Gleiche unter Gleichen öffent­lich zu äus­sern und gemein­sam Welt zu gestal­ten. Die Nationalsozialisten legi­ti­mier­ten ihre abgrund­tie­fen Verbrechen meist damit, als rei­ne Befehlsempfänger gehan­delt und als „Personen“ sich aber kei­ner­lei Schuld haben zukom­men las­sen. Hannah Arendt räumt in „Eichmann in Jerusalem“ ein, dass es der „Stolz zivi­li­sier­ter Rechtsprechung“ sei, „den sub­jek­ti­ven Faktor immer mit in Rechnung zu stel­len“, ver­weist mit Fug und Recht aber dar­auf, dass dies nur dann fasst, wenn „die Absicht Unrecht zu tun“ fehlt.

Emil Nolde war blut­rün­sti­ger Antisemit. Er kämpf­te ver­zwei­felt um die Anerkennung des Führers. Sein Werk war eine Hommage an den Führer, selbst wenn die­ser es als „ent­ar­tet“ ver­un­glimpf­te. Wer hier auf die Idee kommt, mit Hinweis auf den Wert des Kunstwerkes an sich zu argu­men­tie­ren, ver­kennt das Politische am Akt jedes Menschen, sich in der Welt zu mani­fe­stie­ren. In „Eichmann in Jerusalem“ ist Hannah Arendt dies­be­züg­lich sehr prä­zi­se. Anstelle der dama­li­gen Richter setzt Arendt ihre eige­ne Urteilsbegründung: „Sie haben das wäh­rend des Krieges gegen das jüdi­sche Volk began­ge­ne Verbrechen das gröss­te Verbrechen der über­lie­fer­ten Geschichte geahnt, und Sie haben Ihre Rolle dar­in zuge­ge­ben. Sie haben hin­zu­ge­fügt, dass Sie nie aus nie­de­ren Motiven gehan­delt, die Juden nie­mals gehasst hät­ten und dass Sie den­noch nicht anders hät­ten han­deln kön­nen und sich bar jeder Schuld fühl­ten. (…) Sie haben auch gesagt, dass Ihre Rolle in der ‚Endlösung der Judenfrage’ ein Zufall gewe­sen sei und dass kaum jemand an Ihrer Stelle anders gehan­delt hät­te, ja dass man gleich­sam jeden belie­bi­gen Deutschen mit der glei­chen Aufgabe hät­te betrau­en kön­nen. Daraus wür­de fol­gen, dass nahe­zu alle Deutschen so schul­dig sind wie Sie, und was Sie damit eigent­lich sagen woll­ten, war natür­lich, dass, wo alle, oder bei­na­he alle, schul­dig sind, nie­mand schul­dig ist. Dies ist in der Tat eine weit­ver­brei­te­te Meinung, der wir uns jedoch nicht anschlies­sen kön­nen.“

Emil Nolde könn­te man zugu­te­hal­ten, es sei rei­nes Missgeschick, dass er in die fal­sche Zeit hin­ein­ge­bo­ren wur­de. Zudem wiegt der Hinweis, Nolde sein ein gros­ser Künstler gewe­sen, dar­über hin­aus einer, der von den Nazis mit dem Stempel „ent­ar­tet“ leben muss­te, zu sei­nen Gunsten. Doch eben­so schwer wiegt die Tatsache, dass Emil Nolde unbe­dingt mit­hel­fen woll­te, die Politik des Massenmordes mit sei­nem Werk aktiv zu unter­stüt­zen. Kein Mensch hat das Recht auf Gehorsam.

 Emil Noldes Werk wur­de vom Künstler ange­fer­tigt im Bestreben, dem eige­nen Antisemitismus Ausdruck zu geben. Dies in einer Art und Weise, die als Form der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Vorstellung von Kunst ent­ge­gen­lief. Doch böse Kritiker allein haben noch nie einen guten demo­kra­ti­schen Künstler gemacht. Die Rezeption von Noldes Werk legi­ti­miert nicht Noldes Politik. Denn wenn ein Künstler den Willen kund­tut und dies mit sei­nem Werk auch mani­fe­stie­ren will, die Welt nicht mit dem jüdi­schen Volk tei­len zu wol­len, dann ist des­sen Kunst nicht ein­fach „Privatsache“ und von ihm zu tren­nen. Dies ist ein völ­lig unde­mo­kra­ti­sches Verständnis von Politik, indem pri­va­te Massstäbe (dik­ta­to­ri­sche, reli­giö­se, anti­se­mi­ti­sche, frem­den­feind­li­che etc.), die sich im Falle von Nolde auch in des­sen Werk mani­fe­stie­ren, von deren poli­ti­schen Implikationen völ­lig tren­nen will. Zumal im Werke Noldes die anti­se­mi­ti­schen und frau­en­ver­ach­ten­den künst­le­ri­schen Vernichtungsfeldzüge schon 1919 bspw. im Gemälde „Die Grotesken“ offen­sicht­lich sind. 1933 arbei­te­te Nolde einen „Entjudungsplan“ aus, im August 1934 unter­zeich­ne­te Emil Nolde den „Aufruf der Kulturschaffenden“ und beleg­te damit die Gefolgschaft zu Adolf Hitler. Emil Noldes Nationalsozialismus war also durch­aus nicht ein­fach ein Vergehen, wie einen Schuldschein fäl­schen oder eine pri­va­te Vendetta gegen die Ex-Freundin zu unter­neh­men, son­dern Ausdruck poli­ti­scher Überzeugungen, sein poli­ti­sches Werk, das er auch in sei­ner Kunst aus­drück­te.

Die Frage, die eine Besucherin laut „Süddeutsche Zeitung“ ins Besucherbuch der Ausstellung „Emil Nolde. Eine deut­sche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“, eine Ausstellung, die offen­sicht­lich „über­rannt“ wird: „Kann ich ein Bild wür­di­gen, wenn sein Maler ein Nazi war?“ ist des­halb typisch für eine deut­sche Nachkriegszeit, die seit Jahrzehnten in Teilen ein Storytelling bestärkt, das – dem natio­nal­so­zia­li­sti­schen Geschichtsverständnis übri­gens gar nicht so fern – behaup­tet, Personen von Politik zu tren­nen statt zu unter­schei­den was pri­vat und was poli­ti­sches Handeln in Wirklichkeit sind und wie sich die­se Unterschiede mani­fe­stie­ren. Wer im öffent­li­chen Raum dem Anderen den Zugang ver­weh­ren will und dies mit Verweis auf pri­va­te Freiheiten tut, will ganz bewusst Demokratie abschaf­fen. Dieser Arendt-Gedanke könn­te durch­aus in ande­ren Debatten soge­nannt „umstrit­te­ner Künstler“ auf­ge­nom­men wer­den.

 Kunst ist frei. Doch im Falle von Emil Nolde geht es nicht um künst­le­ri­sche Freiheit, son­dern um ein zeit­ge­nös­si­sches Verständnis von Politik. Wie mein­te noch Hannah Arendt? „Kultur und Politik (…) gehö­ren zusam­men, denn es geht nicht um Wissen oder Wahrheit. Es geht viel­mehr um das Urteilen und die Entscheidfindung, um den ver­nünf­ti­gen Meinungsaustausch über die Sphäre des öffent­li­chen Lebens und der gemein­sa­men Welt, und die Entscheidung, wel­che Vorgehensweise zu tref­fen ist, liegt dar­in, wie die­se von nun an aus­se­hen soll und wel­che Art von Dingen dar­in erschei­nen sol­len.“ (Aus den „Lectures on Kant’s Political Philosophy, Übers. durch die Autorin)

 

 

Dr. phil Regula Stämpfli ist Kolumnistin, lehrt u.a. an der Universität St. Gallen Hannah Arendt, Demokratietheorie, Medien und Digitale Transformation. «Die Vermessung der Frau» war 2013 ein Bestseller, ihr neu­stes Buch «Trumpism. Ein Phänomen ver­än­dert die Welt» geht nach 6 Monaten in die zwei­te Auflage.

 

 

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