My Generation

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Von Sonja Wenger – Man mag eine gewis­se Verbundenheit, ja Faszination emp­fin­den mit jenen Personen, die den­sel­ben Jahrgang haben wie man sel­ber. Fragen gibt es genug, die man sich dabei stel­len kann: Wie haben sich im sel­ben Zeitrahmen die ver­schie­de­nen Lebenswege ent­wickelt? Welche Ereignisse der Weltgeschichte haben wen und wie und war­um geprägt oder nicht? Oder gar: Haben Menschen des­sel­ben Jahrgangs ähn­li­che Charakterzüge?

Die Schweizer Regisseurin Veronika Minder hat des­halb in ihrem Dokumentarfilm «My Generation» sechs Menschen ihres Jahrgangs 1948 por­trä­tiert. Drei Frauen und drei Männer der soge­nann­ten Babyboomer-Generation erzäh­len dar­in mit einer fas­zi­nie­ren­den Offenheit über ihr Leben, über erfüll­te oder ent­täusch­te Hoffnungen, über Beziehungen, Liebe, Sex und Politik.

Aus den Erzählungen und ergänzt durch alte Fotos und Filmaufnahmen, ergibt sich so ein erstaun­lich kurz­wei­li­ges Zeitdokument der Schweiz, in dem vie­le Ereignisse gekonnt mit den Lebensgeschichten ver­wo­ben sind: Die 68er-Bewegung, der Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen, Mondlandung, Drogen, Hippies, die Zürcher Studentenbewegung, Jazz, Punk, Tanz und gar die Astrophysik fin­den Platz in «My Generation».

Umso bemer­kens­wer­ter ist dabei, dass Regisseurin Minder in ihrem Film aus­schliess­lich die sechs Porträtierten zu Wort kom­men lässt, und mit Ausnahme des Intros auf jeden eige­nen Kommentar oder auf zusätz­li­che Aussagen von Personen aus dem Umfeld der ProtagonistInnen ver­zich­tet. Dennoch ergibt sich ein aus­ser­ge­wöhn­lich viel­schich­ti­ges und umfas­sen­des Bild der Zeit seit den sech­zi­ger Jahren bis heu­te. Gelungen ist ihr dies durch einen schlau­en Filmschnitt, der immer wie­der Filmaufnahmen ein­blen­det, die die Erzählungen ergän­zen und der einen beein­drucken­den Rhythmus zwi­schen Bewegung und Ruhe schafft. Dadurch kommt auch in jenen Momenten nie Langeweile auf, in der die Menschen über ihre Aussagen nach­den­ken oder sich beim Formulieren Zeit las­sen.

Eine wei­te­re Stärke von «My Generation» ist die bei­na­he scho­nungs­lo­se Offenheit, mit der die Meisten über ihre Erfahrungen, ihre Gedanken und oft auch ihr Scheitern erzäh­len, ohne dass das je pein­lich oder voy­eu­ri­stisch wirkt. Dies, obwohl die Körpersprache und Mimik teil­wei­se Bände spricht und bei eini­gen viel Lebensschmerz durch­schim­mert. Minder ver­fügt zwei­fel­los über jene sel­te­ne Fähigkeit, eine Atmosphäre des Vertrauens schaf­fen zu kön­nen, in der sich Menschen völ­lig öff­nen.

Dass dabei die einen bes­se­re ErzählerInnen sind als die ande­ren liegt in der Natur der Sache: Minder hat mit siche­rer Hand sechs sehr unter­schied­li­che Charaktere her­aus­ge­grif­fen. Die Verkäuferin Patrizia Habegger etwa, die als Hippie nach Indien ging und spä­ter eini­ge har­te Schicksalsschläge ver­ar­bei­ten muss­te. Der Journalist Willi Wottreng, der sich vom radi­kal den­ken­den mao­isti­schen Aktivisten zum «seriö­sen» Bürger wan­del­te, der sei­ne sozia­le Absicherung liebt. Die dun­kel­häu­ti­ge Deutsche Uschi Janowski, die als jun­ge Tänzerin in die Schweiz kam und lan­ge nach ihrer Identität such­te. Der Luzerner Profischlagzeuger Fredy Studer, der sich gegen sei­ne Eltern durch­set­zen muss­te und danach die Musikszene mit­ge­prägt hat. Mary-Christine Thommen, die als jun­ge Frau nur Geborgenheit such­te und sich dann doch als allein­er­zie­hen­de Mutter durch­zu­schla­gen hat­te. Und schliess­lich der Astrophysiker Jean-Pierre Ruder, der sich als Einziger nicht zu sei­nem pri­va­ten Leben äus­sert, dafür eini­ges über sei­nen Beruf erzählt.

Zwar wirkt gera­de Ruder etwas fehl am Platz, da das Fehlen von des­sen Biografie im Vergleich mit der Offenheit der ande­ren umso stär­ker auf­fällt. Doch im herz­er­wär­men­den Gesamtwerk ist für ihn genug Raum. Zwar erfährt man kaum Neues bezüg­lich Zeitgeschichte und Zeitgefühl. Doch die Mischung aus Humor, Ehrlichkeit und teil­wei­se Abgeklärtheit, die die ProtagonistInnen aus «My Generation» an den Tag legen, sowie die über­ra­schen­den Wendungen in ihren Biografien geben dem Film sei­ne eige­ne, per­sön­li­che Existenzberechtigung. Genauso wie Uschi Janowski zu Beginn der Dokumentation gefragt wird, was für sie der Sinn des Lebens sei, und sie am Ende ant­wor­tet: «Dass ich da bin.»

«My Generation». Schweiz 2012. Regie: Veronika Minder. Länge: 93 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, April 2012

 

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