Musikalischer Besuch aus Rom

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Von François Lilienfeld - Auf sei­ner Frühjahrestournée wird das Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia di Roma fünf Konzerte in der Schweiz geben, orga­ni­siert vom Migros-Kulturprozent. Sie wer­den diri­giert von Sir Antonio Pappano, der seit Oktober 2005 künst­le­ri­scher Leiter des Orchesters ist. Dieser 1959 in London gebo­re­ne Musiker stammt von ita­lie­ni­schen Eltern ab und hat in den USA Klavier, Komposition und Dirigieren stu­diert. Seine Aktivitäten sind viel­sei­tig – sie umfas­sen sowohl die Oper wie das sym­pho­ni­sche Repertoire – und inter­na­tio­nal, mit Schwerpunkten in Italien und Grossbritannien.

Ich hat­te am 21. März Gelegenheit, mich mit ihm an sei­nem Wohnsitz in England tele­fo­nisch zu unter­hal­ten. Seit dem XIX. Jahrhundert iden­ti­fi­ziert man Musik aus Italien fast aus­schliess­lich mit Opern. Was für eine Rolle spielt das 1908 gegrün­de­te Santa-Cecilia-Orchester in die­sem Umfeld? Kann man sagen, dass es das sym­pho­ni­sche Leben in Italien prägt?

Seit über hun­dert Jahren ist die­ses Orchester eine sym­pho­ni­sche Oase in einem Land, das von der Oper beherrscht wird. Es hat von Anfang an gros­se Dirigenten und Komponisten ange­zo­gen und wur­de von Mahler, Furtwängler, Toscanini, de Sabata diri­giert, um nur weni­ge Beispiele zu nen­nen. Zu Beginn war das Niveau wohl noch nicht so hoch – Mahler jeden­falls hat sich dar­über beklagt! In den 1950er-Jahren jedoch war die Qualität so gut, dass Decca zahl­rei­che Opern mit der Santa Cecilia ein­spiel­te. Nach die­ser Serie schlum­mer­te der Klangkörper vor sich hin. Als ich Chefdirigent wur­de, hat­te ich das Gefühl, ich müs­se Dornröschen auf­wecken …

Doch die sehr inten­si­ve Arbeit hat sich gelohnt. Heute spie­len wir in Rom eine wich­ti­ge Rolle, sind aber auch viel auf Reisen und besu­chen regel­mäs­sig die Aufnahmestudios. Zunächst war vor allem die lyri­sche Qualität ein Markenzeichen, kom­ple­xe­re Werke muss­ten erst erar­bei­tet wer­den, das Orchester muss­te sich neu erfin­den («had to reinvent its­elf»). Wir dür­fen nicht ver­ges­sen, dass am Anfang sei­ner Geschichte die­ser Klangkörper von der Virtuosität und dem Humor Rossinis geprägt war. Dieser Einfluss führ­te zur Musik Haydns, spä­ter zu den ande­ren Komponisten der Wiener Klassik. Auf die­sen Wurzeln basier­te die wei­te­re Arbeit. Heute füh­ren wir sogar Bachs Passionen und die h‑moll-Messe auf; die Johannes-Passion steht auch die­se Saison wie­der auf dem Programm. Wir spie­len jedoch wei­ter­hin auch Opern, schliess­lich wol­len wir unser Erbe nicht ver­ges­sen.

Vor Kurzem wur­de Ihre Aufnahme der 1. Symphonie von Sir Edward Elgar ver­öf­fent­licht. Nun sind Sie, nach Sir John Barbirolli, der zwei­te eng­li­sche Dirigent ita­lie­ni­scher Abkunft, der sich mit die­sem Komponisten beschäf­tigt; so viel ich jedoch her­aus­fin­den konn­te, hat noch nie ein ita­lie­ni­sches Orchester eine Elgar-Symphonie ein­ge­spielt …

Ich glau­be, damit haben Sie recht …

Wird denn Elgars Musik in Italien über­haupt gespielt?

Sehr sel­ten; ab und zu erklin­gen die «Enigma»-Variationen und das Cello-Konzert. Aber wenn man bedenkt, dass Elgar den ersten Satz die­ser Symphonie 1912 in Rom geschrie­ben hat, ist es schon erstaun­lich und bedau­er­lich, dass die­ses Meisterwerk so lan­ge brauch­te, bis es in die­sem Land zum Erklingen kam. Als ich mit der Probenarbeit begann, hat­te ich eine kla­re Vorstellung von die­sem Stück. Als wir beim drit­ten Satz, Adagio, anlang­ten, hat­te das Orchester den «Spirit» die­ser Musik bereits in sich auf­ge­nom­men.

Auf Ihrem kom­men­den Tournéeprogramm ste­hen zwei Werke von Respighi: «Fontane di Roma» und «Pini di Roma». Welchen Stellenwert hat die­se Musik in Grossbritannien?

Es gab eine Zeit, da wur­den wir fast für jedes Konzert ersucht, Werke von Respighi zu spie­len. Und jetzt heisst es immer wie­der: «Play it again!» Die Stücke wur­den für das Santa-Cecilia-Orchester geschrie­ben. Es sind «Showpieces», die aber eine gros­se Sensibilität erfor­dern. Die ita­lie­ni­schen Orchester sind in die­ser Atmosphäre zu Hause, sie erin­nert an das Opernhaus.

2004 haben Sie für die dama­li­ge EMI eine Tristan-Gesamtaufnahme mit Nina Stemme und Placido Domingo ein­ge­spielt. Damals hiess es, dies wäre wahr­schein­lich das letz­te grös­se­re Opernprojekt in einem Aufnahmestudio, die «Krise» der CD wür­de sol­che Ausgaben bald unmög­lich machen. Wie sehen Sie die Zukunft der CD? Ändern sich die Hörgewohnheiten so stark, dass der Albtraum eines aus­schliess­li­chen Musikkonsums ab Smartphone Wirklichkeit wer­den könn­te?

Das wäre furcht­bar! Aber wis­sen Sie, man hört so viel Negatives über die Situation der CD, dabei sind nie mehr Aufnahmen ver­öf­fent­licht wor­den als heu­te. Und es stimmt auch nicht, dass nur noch in öffent­li­chen Vorstellungen mit­ge­schnit­ten wird. Ich habe vor Kurzem «Madama Butterfly » und «Aida» im Studio auf­ge­nom­men. Ich glau­be, eine neue CD braucht einen kla­ren Zweck («a com­pel­ling rea­son»), die ihr Erscheinen recht­fer­tigt. Eine Aufnahme ist nicht dafür da, Geld zu ver­die­nen. Sie soll ein Dokument sein, eine Art aku­sti­sche Photographie, was natür­lich nicht ohne finan­zi­el­le Reserven geht.

Was sind Ihre Projekte für die kom­men­den Monate?

Neben der bereits erwähn­ten Johannes-Passion wer­de ich in Covent Garden «Butterfly» und «Meistersinger » gleich­zei­tig ein­stu­die­ren, was nicht gera­de ein gesund­heits­för­dern­des Unternehmen ist! Später folgt Othello. Für näch­ste Saison pla­nen wir «La Bohème» in London und «Król Roger» (König Roger) von Karol Szymanowski, ein Werk, das ken­nen­zu­ler­nen einen gros­sen Genuss ver­spricht.

Sir Antonio, ich dan­ke Ihnen für die­ses Gespräch. Wir wer­den in einer spä­te­ren Ausgabe auf die CD mit der Elgar-Symphonie zurück­kom­men.

Hier erst ein­mal die Konzertdaten in der Schweiz:
Di., 2. Mai: Zürich, Tonhalle
Mi., 3. Mai: Bern, Kultur Casino
Do., 4. Mai: Genf, Victoria Hall
Fr., 5. Mai: Luzern, KKL
So., 7. Mai: Lugano, Auditorium

Neben den zwei Stücken von Ottorino Respighi steht das 1. Klavierkonzert von Tschaikowski auf dem Programm; Solist ist Yuja Wang, aus­ser in Lugano, wo Beatrice Rana die­se Rolle über­nimmt.

 

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