Mit der Moll-Tonleiter die Rolltreppe hin­auf

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Von Luca D‘Alessandro – Scala Nobile titelt das Prestigeprojekt des Tessiner Jazzgitarristen Sandro Schneebeli. Mit sei­nem mul­ti­na­tio­na­len Musikensemble hat er 2011 am Estival Jazz Lugano das Album «Scala Nobile – Live At Estival 2011» auf­ge­nom­men, wel­ches die­ser Tage beim Basler Label Unit Records erscheint. Im November folgt die Schweizer Tournee, unter ande­rem mit Halt im BeJazz Club Bern-Liebefeld. ensuite-kul­tur­ma­ga­zin hat Sandro Schneebeli getrof­fen.

Sandro Schneebeli, der Name «Scala Nobile» erin­nert mich an eine Rolltreppe. Auf Italienisch sagt man ja Scala mobi­le …

Ich will zei­gen, dass ich mich in ste­ti­ger Bewegung befin­de. Möglichst nach oben, immer bereit, Neues zu ent­decken. So gese­hen hat die­ses Wortspiel mit der Rolltreppe durch­aus sei­ne Berechtigung. Doch wich­ti­ger scheint mir der Bezug zu mei­ner Lieblingstonleiter, dem har­mo­ni­schen Moll.

Im Volksmund auch ara­bi­sches Moll genannt: Das passt zu dir. Du ver­einst Strömungen aus aller Welt.

Ich bin ein sehr offe­ner Mensch und tau­sche ger­ne Erfahrungen aus. Diese haben einen direk­ten Einfluss auf mei­ne Musik. Ich kom­me gera­de aus Kairo zurück, wo ich mit ägyp­ti­schen, spa­ni­schen, hol­län­di­schen, bra­si­lia­ni­schen und Schweizer Musikern gear­bei­tet habe. Ein Grossprojekt, das mich in den kom­men­den Monaten bestimmt zu neu­en Taten inspi­rie­ren wird. Ich könn­te mir durch­aus vor­stel­len, ara­bi­sche Gesänge in mei­ne Arrangements auf­zu­neh­men, oder Klänge, die an ein Oud erin­nern (ori­en­ta­li­sches Saiteninstrument, Anm. d. Red.).

Bleiben wir bei dei­nem aktu­el­len Projekt, dem CD/DVD-Doppelpaket «Scala Nobile – Live At Estival 2011». Ein Livemitschnitt, der orche­stral daher­kommt, und das trotz der rela­tiv klei­nen Formation: fünf Leute plus zwei Gäste.

Wir set­zen unse­re Instrumente viel­fäl­tig ein: Manchmal muss ein har­mo­ni­sches Instrument als Perkussionsinstrument hin­hal­ten, wäh­rend die Gitarre die Bass-Rolle über­nimmt, oder das Akkordeon zu einem Soloinstrument mutiert. Es ist Musik, die ich sowohl in der Duo- oder Trio- als auch in der Septett-Formation machen kann: Egal wie gross, das Resultat ist jedes Mal über­wäl­ti­gend. Als Duo klingt es nicht weni­ger inten­siv, als es das als Quartett oder Septett tut. Logischerweise vari­iert die Lautstärke, trotz­dem: Die Musik hat stets den­sel­ben Spirit. Sie geht direkt ins Herz der Hörerinnen und Hörer, wo sie all­mäh­lich Spannung auf­baut, um am Ende in star­ke Melodien und Rhythmen zu mün­den.

Rhythmus ist wesent­li­ches Element dei­ner Arbeit: Mit Stephan Rigert als Perkussionisten hast du einen Spezialisten an Bord. Als Bandleader gibst aber du den Takt vor.

Als Leader gebe ich har­mo­ni­sche und melo­di­sche Strukturen vor. Rhythmisch habe ich auch mei­ne Vorstellungen, doch liegt es an mei­nen Spezialisten, mir zu zei­gen, wie sich die­se am besten umset­zen las­sen. Du sagst es rich­tig: Stephan Rigert ist in Profi. Er weiss haar­ge­nau, was er tut, und das gefällt mir an ihm. Auch Bassist Dudu Penz gibt mir wert­vol­le, rhyth­mi­sche Hinweise, die er aus sei­nem bra­si­lia­ni­schen Fundus schöpft. Jedes Bandmitglied trägt mit sei­nen Erfahrungen zum Gelingen von Scala Nobile bei.

Ein äus­serst erfolg­rei­ches Projekt …

Ja. Im ägyp­ti­schen Alexandria haben wir vor drei­tau­send Leuten gespielt. Du glaubst es nicht, das Publikum hat sich benom­men, als wäre es an einem Rockkonzert. Nach jedem Stück gab es aus­gie­bi­gen Applaus. Die Leute hör­ten den Rhythmus und die Melodien, nah­men die Einflüsse aus ihrem kul­tu­rel­len Background wahr und klatsch­ten im Takt. Das gibt es bei uns in der Schweiz nicht so oft.

Mit Paul McCandless an der Klarinette und Bruno Amstad als Sänger hast du zwei Gäste mit auf der Bühne, die du ins Geschehen ein­bin­den musst. Als Bandleader und Gitarrist stehst du ver­mut­lich irgend­wo dazwi­schen, zwi­schen den Soli und der Perkussion.

Nein, ich glau­be nicht, dass ich eine Lücke fül­len muss. In mei­ner Musik sind die Melodien sehr eng mit dem Rhythmus ver­wo­ben. Meine Rolle ist es, das Ganze so zu len­ken, dass am Ende ein homo­ge­nes Konstrukt ent­steht. Die Musik soll den Eindruck erwecken, ein­fach und gut struk­tu­riert zu sein.

Deinem Stil schei­nen kei­ne Grenzen gesetzt. Würdest du trotz­dem sagen, irgend­wo eine Grenze zu spü­ren?

Wenn es die gäbe, hät­te ich schon längst mit Musikmachen auf­ge­hört. Die Grenzenlosigkeit ist das Schöne an mei­nem Beruf. Immer wei­ter­ge­hen zu dür­fen, ist ein Privileg. Im Alten etwas Neues und im Neuen etwas Altes fin­den.

Mit Scala Nobile bist du seit meh­re­ren Jahren unter­wegs. Parallel führst du auch das Boogaloo 4tet. Hast du ein Lieblingsprojekt?

Wenn ich ehr­lich bin, ist Scala Nobile mein klei­ner Favorit. Das Projekt wider­spie­gelt mich als Person und mei­ne Arbeit am besten. Beim Boogaloo 4tet geht es hin­ge­gen um Werke von ande­ren Musikern. Natürlich macht mir auch die­ses Projekt gros­sen Spass. Ich bin froh, das Quartett lei­ten und mit ihm auf die Bühne gehen zu dür­fen. Ah ja, übri­gens wur­de das Boogaloo 4tet die­ses Jahr für den Swiss Jazz Award nomi­niert! Wie dem auch sei: Scala Nobile gibt mir Freiheiten, die ich mit dem Boogaloo 4tet nicht habe. Ich habe sizi­lia­ni­sche Wurzeln, und in den letz­ten Jahren habe ich immer stär­ker das Bedürfnis nach ori­en­ta­li­schen Melodien ver­spürt. Mein Aufenthalt in Ägypten zeig­te mir, wie stark mei­ne Herkunft der ara­bi­schen Kultur ähnelt. Ich spü­re das. Ich ver­mu­te, dass einer mei­ner Vorfahren aus dem ara­bi­schen Raum gekom­men sein muss und sich in Sizilien nie­der­ge­las­sen hat. Bestimmt tra­ge ich sei­ne Gene in mir …

Dieser ara­bi­sche Vorfahre ist so etwas wie ein Vorbild für dich. Gibt es ande­re Vorbilder, deren Arbeit du mit­ver­folgst?

Natürlich. Schliesslich bin ich ein Vagabund, was die Musik angeht. Wenn ich jetzt aber alle mei­ne Vorbilder auf­zäh­len wür­de, könn­test du eine gan­ze A4-Seite fül­len. Ich ver­zich­te daher auf die Nennung von Namen.

Bis jetzt haben wir von dir als Musiker gespro­chen. Doch du bist auch dein eige­ner Marketing-Chef. Erstaunlich ist dei­ne Präsenz in den Medien. Kaum ein ande­rer Schweizer Jazzer schafft es, der­mas­sen gut ver­netzt zu sein. Magst du die­se Marketing-Arbeit, oder ist es viel­mehr das «klei­ne Übel», wel­ches ein Musiker über sich erge­hen las­sen muss?

Du musst dich selbst ver­mark­ten, wenn du dei­ne Musik vor­stel­len willst – kei­ne Frage. Natürlich hät­te ich am lieb­sten einen Manager, der mir die gan­ze Promo-Arbeit abneh­men und hel­fen wür­de, auch aus­ser­halb der Schweiz bekann­ter zu wer­den. Meine Mittel sind beschränkt, wes­halb die aktu­el­le CD vor­erst nur in der Schweiz, in Ägypten und ab 2013 in Haiti auf den Markt kommt. Ich hof­fe, dass ich die Vertriebskanäle in Zukunft erwei­tern kann. Ich arbei­te dar­an.

Danke, Sandro, wir sind am Ende ange­langt. Dir gebührt das letz­te Wort.

Oh, dan­ke. Gerne möch­te ich etwas zu mei­nem Publikum sagen: Bitte, lie­be Leute, wenn Ihr an eines unse­rer Konzerte kommt, nutzt die Chance, von uns nicht nur gute Musik zu hören, son­dern mit uns ins Gespräch zu kom­men. Ich fin­de es immer so trau­rig, wenn nach einem schö­nen Konzertabend alle wie von Bienen gesto­chen hin­aus­stür­men und auf dem schnell­sten Weg nach Hause gehen, wäh­rend wir als ein­zi­ge zurück­blei­ben und unser Equipment weg­räu­men. Es wäre doch schön, wenn wir den einen oder ande­ren Gedanken aus­tau­schen könn­ten. Auch kon­struk­ti­ve Kritik ist sehr will­kom­men! Wir tref­fen uns ger­ne mit Leuten, um mit ihnen über Musik zu reden – wäre das nicht der Fall, müss­ten wir uns nach einem ande­ren Job umse­hen.

Sandro Scheebeli – Scala Nobile feat. Paul McCandless & Bruno Amstad
Live At Estival 2011
Unit Records

Foto: zVg.
ensuite, November 2012

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