Love and Crime oder wie man Erwachsen wer­den kann

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Von Fabienne Naegeli – Wiederaufnahme: «Gelber Mond. Die Ballade von Leila und Lee.»: Den 17-jäh­ri­gen Lee kennt jeder. Er trägt eine Mütze und ist eine klei­ne Stadtberühmtheit im nega­ti­ven Sinne. Seine Mutter Jenny ist depres­siv und alko­hol­ab­hän­gig. Sein Vater ver­schwun­den und mit sei­nem Stiefvater Billy hat er Schwierigkeiten. Von der Schule geflo­gen, stän­dig in Konflikte mit den Behörden ver­wickelt, hält er die Sozialarbeiter auf Trab. In naher Zukunft will er Zuhälter oder Verbrecher wer­den. Leila ist das kom­plet­te Gegenteil von Lee. In einem behü­te­ten Elternhaus auf­ge­wach­sen, Mutter und Vater sind bei­de Ärzte, geht sie zur Schule, schreibt gute Noten und wird ein­mal Englisch stu­die­ren. Sie ist sehr schweig­sam, fin­det sich selbst dumm und ihren Körper häss­lich. Um sich real und leben­dig zu füh­len, schnei­det sie sich mit einer Rasierklinge. Ihre Freitagabende ver­bringt sie im 24h-Supermarkt vor dem Zeitschriftenregal mit ihren gelieb­ten Promi-Klatsch-und-Tratsch-Magazinen, wo sie eines Abends zufäl­lig auf Lee trifft. Er bedrängt die stil­le Leila, wie er sie fort­an nennt, und macht ihr das Angebot auf den Friedhof zu gehen, um etwas zu trin­ken. Er gibt ihr das Gefühl etwas Besonderes zu sein, wes­halb sie mit ihm den Laden ver­lässt. Lees Stiefvater Billy und sei­ne Mutter Jenny haben sich beim A‑ha-Song «Take on me» in einer Karaokebar ken­nen­ge­lernt. Um die Beziehung zu ver­tie­fen, hat er ihr einen Ring gekauft. Diesen hat Lee jedoch gestoh­len und ver­hö­kert. Plötzlich taucht Billy auf dem Friedhof auf. Grob schubst er Lee, will wis­sen wo der Ring ist, fasst Lees Mütze an, des­sen Heiligtum, und wird des­halb von sei­nem Stiefsohn umge­bracht. Aufgrund des Mordes wird Lee von der Polizei gesucht. Gemeinsam mit Leila flüch­tet er ins schot­ti­sche Hochland. Dort, weiss Lee auf­grund einer Postkarte, lebt irgend­wo sein leib­li­cher Vater, der frü­her ein Gangster, der König von Glasgow war. In der schnee­be­deck­ten Wildnis tref­fen die zwei auf den Wildhüter Frank, der sie bei sich auf­nimmt, ohne sie an die Polizei zu ver­ra­ten. Sie jagen Hirschkühe, hacken Holz, strei­chen das Boot und put­zen das Haus. Frank erzählt von frü­her, von einem Mädchen in einer Blues-Bar. Sie hören Platten und er trinkt Whiskey. Doch die­ses schein­bar frei­heit­li­che und unab­hän­gi­ge Leben nimmt ein jähes und über­ra­schen­des Ende. «Gelber Mond. Die Ballade von Leila und Lee» zeigt zwei unter­schied­li­che, schick­sals­haft zusam­men­ge­führ­te Jugendliche auf der ver­zwei­fel­ten Suche nach ihrer Identität. Im Prozess des Erwachsenwerdens ent­decken sie Grenzen, hadern mit sich und ihrer Umwelt. Die span­nungs­ge­la­de­ne, melan­cho­li­sche Geschichte erzählt von ihren Sorgen und Wünschen sowie dem Umgang mit Ängsten und Erwartungen. Thematisiert wird eine pro­blem­be­la­ste­te Familiensituation, von den Boulevardmedien insze­nier­te Wirklichkeit und die Auseinandersetzung mit der eige­nen Vergangenheit. Nach der erfolg­rei­chen Schweizer Erstaufführung im ver­gan­ge­nen Mai folgt nun die Wiederaufnahme von David Greigs jüng­stem Drama «Gelber Mond. Die Ballade von Leila und Lee.» Der schot­ti­sche Autor liess sich von der ame­ri­ka­ni­schen Legende um den Mörder Stagger Lee inspi­rie­ren und schuf ein Stück, das der lite­ra­ri­schen Form gemäss epi­sche, lyri­sche und dra­ma­ti­sche Elemente mit­ein­an­der ver­bin­det. Regisseur Olivier Bachmann und Musiker Pascal Nater lies­sen sich in ihrer dyna­mi­schen und musi­ka­li­schen Inszenierung von der poe­ti­schen und rhyth­mi­schen Sprache des Textes lei­ten. Auf und zwi­schen den in Plastik ein­ge­wickel­ten Baumstämmen agie­ren die drei Schauspielenden mal distan­ziert in der Rolle des Erzählers, dann ver­kör­pern sie eine Figur. Teils spre­chen sie in direk­ter Rede, manch­mal in der drit­ten Person. Schnell wird zwi­schen Dialog und inne­rem Monolog gewech­selt. Gekonnt sprin­gen sie rap­pend, tan­zend und Songs von A‑ha und Lloyd Price live sin­gend zwi­schen den Zeitebenen vor und zurück. Alternative Handlungsmöglichkeiten und Perspektivenwechsel kön­nen so aus­pro­biert und damit ein ande­rer Geschichtsverlauf ima­gi­niert wer­den.

Foto: zVg.
ensuite, September 2011

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