Loco-motivo: Das etwas ande­re Radio

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Von Luca Zacchei – Einmal pro Monat sen­det Radio loco-motivo auf der Frequenz von RaBe: Betroffene, Angehörige und Profis the­ma­ti­sie­ren gemein­sam die Psychiatrie vor dem Mikrophon. Anlässlich des ein­jäh­ri­gen Jubiläums von Radio loco-motivo, hat ensuite mit Gianni Python, dem Initianten der Sendung, gespro­chen.

Gianni, du hast in Chile auch in einer psych­ia­tri­schen Klinik gear­bei­tet. Welche Erfahrungen hast du dort gesam­melt?

In der Clinica Valparaíso habe ich als Praktikant gear­bei­tet. Dort habe ich Aufwühlendes erlebt, aber auch eine tol­le Idee mit­ge­nom­men: das Radio von und für Psychiatrie-Erfahrene. Diese Idee stammt ursprüng­lich aus Südamerika und ist dort stark ver­brei­tet. Im sehens­wer­ten Dokumentarfilm «Radio La Colifata» wird sie sehr schön wie­der­ge­ben. In Chile war das klei­ne Sende-Zimmer der Klinik nur mit dem not­wen­dig­sten Material bestückt: einem Tisch, einem Mikrophon und Eierschachteln, damit die Geräusche bei der Aufnahme gedämpft wur­den. Das Radio wur­de dabei als Therapie-Methode ein­ge­setzt. Die Patienten wur­den von einem Journalisten unter­stützt und spra­chen bei­spiels­wei­se über Sport, Gedichte und Kulinarisches. Die Sendungen wur­den damals aber nicht live im Äther gesen­det.

Wie wur­de das Projekt Radio loco-motivo in der Schweiz gebo­ren?

Als ich in Chile gelebt und gear­bei­tet habe, bin ich schwer erkrankt. Zurück in der Schweiz konn­te ich aus die­sem Grund nur eine Teilzeit-Beschäftigung aus­üben. Ich habe für das Ambulatorium im Breitenrain Freizeitaktivitäten orga­ni­siert. Das Radio-Projekt schien mir eine logi­sche Erweiterung die­ser Aktivitäten zu sein. Es muss­ten aber meh­re­re Zufälle wie Zahnräder inein­an­der­grei­fen, damit Radio loco-motivo zum Leben erweckt wur­de. Mein ehe­ma­li­ger Ausbildner in der Psychiatrie war in der Zwischenzeit Pflegedirektor bei den Universitären Psychiatrischen Diensten gewor­den. Am Mittagstisch habe ich ihm die Idee von Radio loco-motivo erläu­tert. Er war davon begei­stert. Die anschlies­sen­de Unterstützung durch wei­te­re Partner, wie bei­spiels­wei­se die Radioschule klipp + klang und die Interessengemeinschaft Sozialpsychiatrie Bern, haben unse­re Umsetzung über­haupt mög­lich gemacht.

Wieso heisst das Radio «loco-motivo»?

Im Spanischen heisst loco «ver­rückt» und motivo «Motivation» bzw. «Antrieb». Es schien mir eine pas­sen­de Bezeichnung zu sein, damit die Wurzeln aus Südamerika bei­be­hal­ten und gleich­zei­tig die Betroffenen nicht dis­kri­mi­niert wer­den. Ich bin zwar wahr­lich die Lokomotive der Idee. Auf Spanisch heisst die­ses Wort aber eigent­lich «loco­mo­to­ra» und nicht «loco­mo­tivo».

Welche Hindernisse muss­ten bei der Projektumsetzung über­wun­den wer­den?

Zunächst ein­mal muss­te ich Radiokurse besu­chen und die Technik von Grund auf ler­nen. Ich hat­te über­haupt kei­ne Vorkenntnisse. Bei RaBe wur­de zudem ein Sende-Konzept vor­aus­ge­setzt. Und natür­lich muss­te ich wäh­rend die­ser Zeit auch auf mei­nen Gesundheitszustand ach­ten und nicht über­trei­ben.

Wie vie­le Leute durf­ten bis­lang bei Radio loco-motivo Radioluft schnup­pern?

Anfangs gab es zir­ka 25 Interessierte. Nach dem Pilotprojekt sind 6 bis 8 Psychiatrie-Erfahrene übrig geblie­ben, wel­che alle­samt die Radio-Kurse von klipp+klang besucht, Theatersprachkurse und Computerworkshops absol­viert haben. Diese Menschen neh­men aktu­ell an der Produktion der Sendungen aktiv teil und defi­nie­ren die Inhalte selb­stän­dig.

Welche Beiträge wer­den auf Radio loco-motivo aus­ge­strahlt?

Der Fokus liegt auf der Aufklärung und Sensibilisierung, damit die Betroffenen ent­stig­ma­ti­siert wer­den. Aber auch unter­hal­ten­de Beiträge fin­den bei uns Platz. Die Sendungen wer­den jeweils ein­mal pro Monat auf RaBe aus­ge­strahlt, und zwar mitt­wochs zwi­schen 17.00 und 18.00 Uhr.

Am 29. Mai fei­ert Radio loco-motivo sein ein­jäh­ri­ges Jubiläum. Wie lau­tet dein Fazit?

Die Resultate für die Betroffenen sind sehr posi­tiv. Dank Radio loco-motivo sind sie selbst­be­wuss­ter und siche­rer gewor­den. Da sehe ich Parallelen zu den Ergebnissen in Chile: das Radio als Hilfe zur Selbsthilfe. Wenn es zum Beispiel dar­um geht, Beiträge zu gestal­ten, dann müs­sen die Psychiatrie-Erfahrenen die Termine orga­ni­sie­ren und pünkt­lich beim Interview-Partner erschei­nen. Dort tre­ten sie als Radioleute auf, neh­men somit eine völ­lig ande­re Rolle ein und wer­den des­halb auch anders wahr­ge­nom­men. Die Menschen füh­len sich zudem in einem geschlos­se­nen Sendezimmer geschützt und sind eher bereit, ihre Probleme einem brei­te­ren Publikum zugäng­lich zu machen. Dies geschieht zumeist ganz spon­tan. Der Zuhörer bleibt für die Moderatoren unbe­kannt. Wahrscheinlich ist die­se Distanz not­wen­dig, damit die Patienten sich öff­nen kön­nen. So kön­nen sie nicht ver­ur­teilt wer­den.

Und wohin geht die Reise von loco-motivo?

Bislang sen­den wir nur auf RaBe. Mein Wunsch wäre es, die­se Idee in wei­te­ren Städten der Schweiz umzu­set­zen. Wenn ich die Resultate bei den Betroffenen sehe, dann macht es durch­aus Sinn, dass die­se Form der Therapie natio­nal ange­bo­ten wird. Die posi­ti­ve Entwicklung, wel­che ich bei ein­zel­nen Betroffenen im letz­ten Jahr mit­er­lebt habe, sprengt jede Vorstellung! Während bei den kon­ven­tio­nel­len Gruppentherapien die Betroffenen nor­ma­ler­wei­se eine «pas­si­ve» Rolle aus­üben, über­neh­men sie beim Radiomachen mehr Verantwortung und stär­ken so ihr Selbstbewusstsein.

Ensuite wünscht Dir und loco-motivo viel Glück auf die­ser Reise!

Infos: www.radiolocomotivo.ch

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2013

 

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