Kulturpresseschau: «Lieber ein Verriss als Ignoranz»

Von

|

Drucken Drucken

By Lukas Meyer

Pianist Oliver Schnyder redet mit Mark van Huisseling in der «Weltwoche» über sein Verhältnis zur Musikkritik. Zuerst äus­sert Journalist van Huisseling sei­ne Meinung über eine – posi­ti­ve – Besprechung eines Auftrittes von Schnyder und vor allem über die Journalistin und die Zeitung: «Ich über­le­ge mir, wes­halb jemand, der ent­we­der so viel weiss oder so gut bluf­fen kann, beim ‹Landboten› in Winterthur gelan­det ist.» Schnyder meint, beson­ders wich­tig sei­en ihm Kritiken nicht: «Ich habe kein Argus-Abo. Und weiss nicht, wie reprä­sen­ta­tiv Kritiken sind, ob das die Leute noch lesen. Ich hof­fe aber, dass sie über­le­ben, es ist eine Form von Wertschätzung von gesell­schaft­li­cher Seite; lie­ber einen Verriss als Ignoranz.»

*

In der deut­schen «Welt» sieht Ioan Holender, ehe­ma­li­ger Direktor der Wiener Staatsoper, ein ande­res Problem in die­sem Fach: «Äquidistante, sach­li­che und kun­di­ge Musikkritiker gibt es kaum mehr, die mei­sten las­sen sich durch diver­se Vorberichte, Interviews, Reiseempfehlungen und sogar Bücherschreiben über die Protagonisten von die­sen selbst bezah­len. Wie kann ein Musikkritiker Negatives über ein Opernhaus schrei­ben, wenn er ein bezahl­tes Buch über des­sen Direktor schreibt?»

*

Im glei­chen Kontext stellt das Bundesamt für Kultur eine etwas ande­re Frage, näm­lich «Where the hell is the press?». Unter die­sem Titel ermög­licht es sechs Musikjournalistinnen und ‑jour­na­li­sten am Anfang ihrer Karriere ein von Ane Hebeisen (Der Bund) und Yann Zitouni (RTS) beglei­tes Mentoringprogramm im Rahmen des Festivals «Bad Bonn Kilbi». Als Modell dürf­ten die­sem Projekt auch die Living Cases von kulturkritik.ch Pate gestan­den haben, die nach zwei Pilotdurchführungen 2011 und 2012 im lau­fen­den Jahr in einer stark aus­ge­wei­te­ten Form ange­bo­ten wer­den – mit je einem Fokus auf einem Schweizer Musik‑, Film‑, Literatur- oder Theaterfestival.

*

Roman Bucheli, Literaturkritiker der «Neuen Zürcher Zeitung», schreibt unter dem Titel «Ein Leben nach dem Papier» über den Stand sei­ner Profession – und sieht das Internet erfreu­li­cher­wei­se nicht als Bedrohung, son­dern als Chance: «Das Digitale muss dar­um nicht der Totengräber der ana­lo­gen Kritik sein, es könn­te viel­mehr Plattform wer­den für eine kri­tisch-ana­ly­ti­sche Kompetenz, wie es sie seit Lessing immer wie­der gege­ben hat.»

*

Nicht Bucheli, son­dern sei­ne Kollegin Andrea Köhler schreibt in der «NZZ» – sehr dif­fe­ren­ziert und nicht nur nega­tiv – über den neu­en Roman von Dan Brown und wider­legt damit den «Telegraph»-Journalisten Michael Deacon, der den Bestseller-Autor («Illuminati», «The Da Vinci Code») gegen die erwar­te­ten Verrisse sei­ner Kollegen in Schutz nimmt. «Wer küm­mert sich dar­um, was die Kritiker sagen? Sie sind Snobs. Du hast eine Million Fans, von Barack Obama bis zu Britney Spears», lässt Deacon in einem fik­ti­ven Dialog Browns Agenten sagen, und schliesst so: «Vielleicht wür­de er sich eines Tages, inspi­riert von der wun­der­schö­nen Frau Brown, der roman­ti­schen Dichtung zuwen­den.» Ob er damit die Kritiker für sich gewin­nen könn­te?

*

Die vier­tel­jähr­lich erschei­nen­de Zeitschrift «The Paris Review» fei­ert die­ses Jahr ihren 60. Geburtstag. Unter ande­rem führt sie unter den Rubriken «The Art of Fiction» und «The Art of Poetry» Werkstattgespräche mit Schriftstellern und Poeten. Dasselbe gibt es unter «The Art of Criticism» mit Kritikern und Experten, wie Literaturwissenschaftler George Steiner. Das sehr aus­führ­li­che Gespräch vom Herbst 1994 wirft einen Blick auf sein Leben und sei­ne Laufbahn, sei­ne Lese- und Schreibgewohnheiten und die Krise des Intellektuellen («man of let­ters»): «Früher woll­ten die Leute von einem kul­ti­vier­ten Nicht-Spezialisten etwas über Literatur und Kunst hören. Heute sagen mei­ne Kritiker, ich sei ein zu weit gestreck­ter Generalist in einem Zeitalter, in dem das nicht mehr gemacht wird, in dem nur das spe­zia­li­sier­te Wissen gefragt ist.»

*

Ob Generalist oder Spezialist: Vielleicht aus­schlag­ge­ben­der als das Berufsbild ist sei­ne jewei­li­ge per­sön­li­che Interpretation durch den Kritiker. Besonders anschau­lich wird dies anhand der Bildstrecke mit Arbeitsplätzen von Kreativen (zu denen Journalisten, wenig­stens die besten, hof­fent­lich gezählt wer­den dür­fen), von Mark Twain über Joan Miro bis zu Yves Saint Laurent.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/kulturpresseschau-lieber-ein-verriss-als-ignoranz/

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo