Grosse Operationen

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(Constantin Seibt) –

In den letz­ten Wochen sprach man ziem­lich viel von die­sem Brief hier an die Chefredaktion des «Tages-Anzeigers». Dazu kann ich als Angestellter nicht viel sagen. Ausser, dass eine Debatte immer eine gute Idee ist.

Der Funke

Vielleicht kann man in zehn Jahren davon spre­chen, wenn alles schon längst eine Fallstudie ist. So wie der WOZ-Relaunch im Jahr 2003. Er hat mich eini­ges an Respekt gelehrt: Wie gefähr­lich der Umbau einer Zeitungsredaktion sein kann.

Es war ein unver­gess­lich heis­ser Sommer, der heis­se­ste seit über 100 Jahren. Als wir bei einem Redaktionsfest das Bier im Fluss küh­len woll­ten, war der Fluss wär­mer als das Bier.

Wir arbei­te­ten fast ohne Pause. Tags mach­ten wir die Zeitung. Nachts arbei­te­ten wir am neu­en Konzept. Wir schlie­fen sel­ten, aber wir hat­ten einen kla­ren Plan.

Wir, das war vor allem die Inlandredaktion. Sie war seit zwei Jahren im Amt – im Herbst 2001 war die Vorgängergeneration aus ver­schie­de­nen Gründen fast kom­plett gegan­gen. Es war der idea­le Zeitpunkt dafür. Pünktlich zum Start der neu­en Crew fie­len die Türme des World Trade Center, die New Economy-Blase platz­te, die Börse geriet in Panik, die Swissair ging bank­rott, im Parlament in Zug brach­te ein Irrsinniger 14 Leute um, zwei Schweizer Flugzeuge stürz­ten ab, der Gotthardtunnel brann­te.

Erfahrung zähl­te plötz­lich nicht mehr viel. Eine neue Zeit kam. Die Neunzigerjahre waren vor­bei.

Wir ver­such­ten, die lin­ke «Wochenzeitung» für die Schweiz neu zu den­ken. Erinnere ich mich recht, waren die wich­tig­sten Punkte etwa fol­gen­de:

  1. Keine Moral mehr. Den Neoliberalismus als böse zu geis­seln, hat­te nicht funk­tio­niert. Es ging dar­um, zu zei­gen, dass er nicht ren­tier­te.
  2. Kein Jammern mehr. Die 90er-Jahre waren in der Schweiz die Zeit der Siege für SVP plus Banken und der Niederlagen der Linken. Man muss­te den Kampf sport­lich auf­neh­men: mit Statistiken, Kaltblütigkeit, guter Laune.
  3. Keine Angst mehr. Man muss­te mit dem Gegner reden, statt ihn nur zu ana­ly­sie­ren.
  4. Keine Nebenschauplätze mehr: nicht das Idyll der letz­ten kol­lek­ti­ven Bauern schil­dern, son­dern die zen­tra­len Kämpfe im Bundeshaus. Und die zen­tra­len Debatten in der Ökonomie.
  5. Keine Depression mehr. Wenn die Welt schon nicht genug Vergnügen lie­fer­te, dann wenig­stens die Texte dar­über. Eine Linke konn­te sich alles lei­sten, nur nicht Langweile.

Kurz, wir ver­such­ten eine ande­re Haltung: näher, kalt­blü­ti­ger, per­sön­li­cher, smar­ter. In den Worten von Raymond Chandler «von einer har­ten Fröhlichkeit».

Zugegeben, die­se Ziele hat­ten viel von unfai­rer Polemik gegen die frü­he­re Generation. Aber wir woll­ten kei­ne Gerechtigkeit, son­dern Zeitung machen.

Und von Zeit zu Zeit gelang uns das nicht schlecht.

Im Prinzip funk­tio­nier­te die Inland-Redaktion zu die­ser Zeit nicht sehr anders als die New-Economy-Start-Ups: Wir sas­sen in einem hip­pen Quartier vor bun­ten Macs, bestell­ten Pizza, hiel­ten Aktien von einem Unternehmen, das kei­nen Gewinn abwarf, arbei­te­ten bis in die Nacht vor den Bildschirmen, leb­ten im ewi­gen Flow der Nachrichten und waren über­zeugt, dass die Zukunft uns gehör­te.

Kein Wunder, rich­te­ten wir ziem­lich schnell den Blick über die Ressortgrenze auf die gesam­te Zeitung. Mit der Frage, was zu machen war.

Es war uns klar, dass eine Zeitung den Wendekreis eines Tankers hat­te. Und dass man nicht zu wenig Energisches tun konn­te.

Der Plan

Der Relaunch hat­te zwei Gründe. Einen ästhe­ti­schen: In der Zeitung war zu viel Grau. Auf den Schwarzweissbildern sahen die mei­sten Porträtierten aus, als hät­ten sie gera­de den Atomkrieg über­lebt. Dazu kamen sei­ten­wei­se altern­de Max-Frisch-Epigonen, altern­de Freejazzer, altern­de Untergrund-Basken – über das Leben wur­de alles gesagt, aus­ser, dass es manch­mal schön war.

Und es gab einen öko­no­mi­schen Grund: Fast seit ihrer Gründung pen­del­te die WOZ zwi­schen 12’000 und 14’000 ver­kauf­ten Ausgaben, egal wie dick oder gut das Blatt war. Das ver­ur­sach­te ein chro­ni­sches Defizit von etwa 100’000 Franken pro Jahr. Kein Wunder, muss­te die Zeitung alle vier Jahre eine Wenn-ihr-nicht-spen­det-brin­gen-wir-uns-um-Selbstmord-Kampagne fah­ren.

Kurz:  Wir woll­ten dop­pelt raus aus dem Ghetto. Aus dem Ghetto der Klischees von und über uns; aus dem Ghetto des Auflagedeckels. Wir muss­ten hin zu 20’000 Exemplaren.

Nach einer halb­jäh­ri­gen Kaskade von Sitzungen brach­ten wir Folgendes auf die Reihe:

  • Zwei gros­se und zwei klei­ne neue Ressorts: Wirtschaft und Leben, Wissen und Sport. Plus neue Leute.
  • Ein neu­es Layout. Neu mit mög­li­chen Farbfotos.
  • Eine neue Druckerei.
  • Eine neue Buchhaltung samt neu­er Buchhaltungssoftware.
  • Eine neue Werbeagentur.
  • Deren Meisterstück: eine Fundraising-Kampagne, die knapp eine Million Cash für den Neustart brach­te.

Es war ein end­lo­ser, erschöp­fen­der, glück­li­cher Sommer. Ende September erschien die erste Nummer der neu­en Zeitung. Tags dar­auf reg­ne­te es – zum ersten Mal seit Monaten. Wir stie­gen aufs Dach und waren nass und gerührt. Die Doppelschichten hat­ten ein Ende. Jetzt konn­ten wir uns wie­der aufs Zeitungmachen kon­zen­trie­ren, dach­ten wir.

Doch die­ser Gedanke war ein schreck­li­cher Fehler. Tatsächlich fing die Arbeit erst an.

Die Feuer

Zeitungen sind Routinemaschinen. Sie bestehen fast nur aus Abläufen. Zur Produktion jeder Nummer sind Hunderte Entscheidungen not­wen­dig, die mei­sten davon fal­len auto­ma­tisch. Und der Relaunch hat­te – trotz end­lo­ser Planung – den Organismus der Zeitung ver­letzt. So wie zwei neu ange­näh­te Zusatzarme einen Körper ver­let­zen wür­den.

Von Tag eins an bra­chen über­all in der Redaktion klei­ne Feuer aus. Die Abschlussredaktion war von der Textmenge über­la­stet und koch­te. Die neu­en Ressorts fan­den sich schwer. Einige der neu ange­heu­er­ten Leute muss­ten ein­ge­ar­bei­tet wer­den: eini­ge waren ein Gewinn, ande­re ein ern­stes Problem. Die neue Buchhaltungssoftware pro­du­zier­te kon­stant klei­ne Fehler und gros­sen Ärger. In den Ressorts mit Spannungen – etwa im Kulturteil – brach offe­nes Mobbing aus.

Ein Kollektiv wie die WOZ hat vie­le Vorteile; aber nicht die kla­rer Zuständigkeiten. Niemand war auf einen Schwelbrand die­ser Hartnäckigkeit vor­be­rei­tet. Überall lösch­ten irgend­wel­che Leute. Mehrere Friedensdelegationen wur­den etwa in den Kulturteil geschickt, wo sie sofort ange­grif­fen wur­den: Man streck­te eine hel­fen­de Hand hin­ein und zog einen blu­ti­gen Stumpf her­aus. Und auch das Herz des Umbaus, das Inland, war erschöpft: Wir hat­ten zwecks Kontrolle meh­re­re Leute als Statthalter in die neu­en Ressorts geschickt. Nun fehl­ten sie.

Ende Jahr war klar, dass wir etwas tun muss­ten. Im Januar wähl­te die WOZ zum ersten Mal zwei Chefinnen: noch ohne viel Kompetenzen, aber nach har­tem Wahlkampf, in gereiz­ter Atmosphäre.

Es war ein Minimum an for­mel­ler Autorität. Und sie kam kei­nen Augenblick zu spät.

Das Feuer

Denn eines der Feuer erwies sich als fast töd­lich. Es war das Feuer in der Buchhaltung. Der neue Buchhalter war ein älte­rer Herr mit Schnauz, ein­ge­stellt als erfah­re­ner Finanzchef eini­ger KMUs. Er blieb der unauf­fäl­lig­ste Mann des gan­zen Betriebs. Das ein­zi­ge Bemerkenswerte an ihm war ein gele­gent­li­ches grund­lo­ses Kichern. Doch das irri­tier­te nie­man­den: Ein Buchhalter, dach­ten wir.

2003 hat­te die WOZ einen über­ra­schend soli­den Jahresabschluss: Erstmals seit Jahren mit Gewinn. Danach erhiel­ten wir nur noch eine Zahl: die ste­tig stei­gen­de Abokurve, die nicht sen­sa­tio­nell, aber kon­stant stieg.

Die Zahlen zum Frühlingsquartal kamen nicht. Der Buchhalter ver­schob den Termin von Woche zu Woche. Die Verlagsleitung war mit den ande­ren Feuern im Haus beschäf­tigt, aus­ser­dem mit einer Weiterbildung zum Thema Controlling. Es wur­de Sommer, bis sie ernst­haft Druck mach­te. Und ein Ultimatum setz­te, die Zahlen in spä­te­stens zwei Wochen zu lie­fern.

Das war das letz­te Mal, dass jemand den Buchhalter sah. Er kam nicht mehr zur Arbeit. Anfang August brach man die bei­den gros­sen Korpusse unter sei­nem Schreibtisch auf. In bei­den fand man je einen Berg mit Belegen, Rechnungen, Mahnungen, die mei­sten unge­öff­net.

Die neue Buchhalterin brauch­te vier Monate, um das Chaos auf­zu­ar­bei­ten. Das Ergebnis war, zusam­men­ge­fasst:

  1. Unsere Einnahmen waren zwar line­ar gestie­gen. Aber unse­re Ausgaben expo­nen­ti­ell.
  2. Der erstaun­lich bril­lan­te Jahresabschluss 2003 war dadurch ent­stan­den, dass über die Hälfte aller Druckereirechnungen nicht ein­ge­rech­net waren. Tückischerweise hat­te das die Revision nicht bemerkt, da sich durch den Relaunch fast alle Positionen geän­dert hat­ten.
  3. Nach dem Gesetz hät­ten wir unse­re Bilanz hin­ter­le­gen müs­sen. Der ein­zi­ge Weg dar­an vor­bei war, inner­halb der näch­sten drei Monate einen Drittel der Zeitung zu kap­pen. Und einen Drittel der Mitarbeiter.

Die Schmelze

Seitdem weiss ich, wie es in den letz­ten Tagen Roms aus­ge­se­hen hat. Zwar ging alles zivi­li­siert zu; aber im Kleinen war es der Zusammenbruch der Zivilisation.

Innert Tagen schmol­zen die Hierarchien im Blatt und es ent­stand eine ein­zi­ge, unkla­re Masse. Jeder rede­te mit fast jedem, jeder such­te irgend­wel­che Hebel zu drücken – doch kei­ner hat­te mehr den Transmissionsriemen zur Macht. Diese hat­te zu exi­stie­ren auf­ge­hört.

Das Problem war, dass eine um einen Drittel klei­ne­re Zeitung eine ande­re Zeitung war: Man brauch­te ein neu­es Konzept dafür. Nur konn­te man nicht seri­ös über das Konzept reden, ohne dass man dadurch Vorentscheidungen für die Entlassungen traf. Und man konn­te nicht seri­ös über Entlassungen reden ohne ein Konzept für eine neue Zeitung.

Die Sitzungen dazu ver­lie­fen chao­tisch: Zu eini­gen erschie­nen gera­de ein­mal fünf Leute, zur näch­sten fünf­zig, die ver­lang­ten, ohne wei­te­re Debatte abzu­stim­men. Die Ergebnisse waren fast durch­ge­hend unbrauch­bar: 16:14 Stimmen bei 15 Enthaltungen.

Nichts gab nie­mand eine Legitimation. Wenn man mit einem Kollegen rede­te, war man immer in zwei von den sechs wich­tig­sten Punkten einig – nur mit jeder Person in zwei ande­ren Punkten. Es räch­te sich nun, dass das ehe­mals ziem­lich ent­schlos­se­ne Inland seit dem Relaunch nicht mehr mit­ein­an­der gere­det hat­te. Wir hat­ten zu viel zu tun und waren der Sympathie für­ein­an­der sicher. Jetzt, in der Krise, war die Sympathie geblie­ben, aber die gemein­sa­me Linie war weg.

Überhaupt war es gespen­stisch, wie sich das Verhältnis zu den Mitmenschen änder­te. In jeder Redaktion gibt es Leute, deren Arbeit man für poli­tisch exzen­trisch, ästhe­tisch zwei­fel­haft oder schlicht etwas lang­wei­lig hält. Und eigent­lich ist das kein Problem, denn eine Zeitung ist kei­ne Kaderpartei, sie braucht Vielfalt. In der Krise änder­te sich das: die freund­li­che Gleichgültigkeit, Grundlage aller ver­nünf­ti­gen Gesellschaften, ver­schwand. Und mach­te dem Gedanken Platz: Was macht der da noch hier? Jeder von uns hat­te plötz­lich Schlangen im Herz und eine schwar­ze Liste im Kopf.

In den zähen, ergeb­nis­lo­sen Monaten von Krisensitzungen löste sich das Problem der Entlassungen fast kom­plett. Aber auf die schlech­te­ste Weise: vie­le Leute gin­gen. Es waren oft die besten, die eine ande­re Stelle krie­gen konn­ten. Und die freund­lich­sten, die es nicht aus­hiel­ten, dass ande­re statt ihnen ent­las­sen wür­den. Sie stürz­ten sich in das eige­ne Schwert.

Am Ende stan­den drei Konzepte zur Wahl:

  1. Die Reduktion aufs Wesentliche. Wir muss­ten einen Grossteil der neu­en Ressorts wie­der ein­reis­sen, so schlimm das auch war. Und dar­aus ein gross­zü­gi­ges Inland bau­en: Mit der Kraft zu Recherchen und der Möglichkeit, dazwi­schen das unver­zicht­ba­re Leichte zu lie­fern. Denn das Kerngeschäft der WOZ war es, die lin­ke poli­ti­sche Zeitung für die Schweiz zu sein.
  2. Opfersymmetrie oder genau­er: Gärtchen zu Schrebergärtchen. Alle Ressorts blei­ben, die Budgets wer­den unter­schieds­los um etwa 30% gekürzt. Also am stärk­sten im Inland.
  3. Die WOZ wird vor allem wegen des Kulturteils gele­sen. Deshalb muss der Kulturteil aus­ge­baut wer­den.

Das erste Modell war das, was ich ver­trat; das zwei­te war das, was die neue Redaktionsleitung ver­trat; das drit­te war das Projekt des Kulturteils.

Die Sitzung dazu ende­te im Chaos, mit unkla­ren Mehrheiten. Und mit einem Fehler von mir: Ich spot­te­te zu gereizt über das Modell des Kulturteils. Die Kulturredakteurin brach in Tränen aus. Mit jeder Träne, die über ihr fal­ti­ges, güti­ges Gesicht rann, sank mei­ne Reputation.

In der Woche dar­auf wur­de prak­tisch ohne Diskussion ein sechs­köp­fi­ger Ermächtigungsausschuss ein­ge­setzt, mit der Diktatorenmacht, alles zu ent­schei­den, ohne Rekurs. Vom Inland war nur noch eine Person dabei.

Der Ausschuss ent­schied sich für Opfersymmetrie. Und Gärtchen zu Schrebergärtchen. Wegen der Abgänge muss­te nur noch eine ein­zi­ge Redakteurin ent­las­sen wer­den.

Ich hielt die Entscheidung für eine Nicht-Entscheidung: für eine Verurteilung sämt­li­cher Ressorts zu Jahren von Ressourcenproblemen. Und dadurch zu har­ter, frucht­lo­ser Abfüllarbeit: mir garan­tier­tem Grau in der Zeitung, weil man nicht mehr sorg­fäl­tig arbei­ten konn­te. Es wur­de Zeit zu gehen, zer­zaust, mit­schul­dig, in Freundschaft und dank­bar für ein gros­ses Abenteuer.

Die näch­sten zehn Jahre gaben mir Unrecht. Die Abonnentenzahlen sta­gnier­ten zwar. Und die Zeitung hat­te enor­me Qualitätsschwankungen. (Okay, wel­che hat das nicht?) Aber ein eiser­ner Einstellungsstopp und har­te Budgetkontrolle brach­ten die WOZ in nie erträum­te schwar­ze Zahlen. Mit mehr­fa­chen Gehaltserhöhungen. Die WoZ ist eines der weni­gen Beispiele gelun­ge­ner Austeritätspolitik.

Der Rauch

In der offi­zi­el­len Geschichtsschreibung der WoZ gilt der Relaunch 2003 als Beispiel dafür, was pas­siert, wenn eine klei­ne rück­sicht­lo­se Gruppe Pläne macht, ohne auf Mehrheit, Tradition und Routiniers Rücksicht zu neh­men. Und als Mahnung für Bescheidenheit und eine kon­se­quen­te Sparpolitik.

Das hat was. Meine Gegenargumente wären: 1. Es war not­wen­dig, die Zeitung zu öff­nen. 2. Dass die Zeitung ein­fach über­rollt wur­de, stimmt nicht wirk­lich: Es gab zum Teil wochen­end­lan­ge Sitzungen, zu jedem Punkt einen Wettberb der Ideen, über alles Abstimmungen. 3. Die zen­tra­le Ursache des Scheiterns war die Katastrophe in der Buchhaltung: Denn für den Fall eines aus dem Ruder lau­fen­den Budgets hät­ten wir einen Plan B gehabt.

Aber das ist längst Vergangenheit. Trotzdem habe ich noch eini­ge Jahre dar­über nach­ge­dacht, was man hät­te anders tun kön­nen. Und machen müss­te, wenn man wie­der die Chance zu einer sol­chen Operation hät­te.

Ich den­ke, fol­gen­des:

  1. Bei einer gros­sen Operation – Relaunch, Fusion, Ausbau, Abbau – kommt die här­te­ste Arbeit nicht vor­her, beim Planen. Sondern nach­her. Im Prinzip müss­te man vor Tag X eini­ge der besten Leute drei Wochen in die Ferien schicken, auf dass sie in den Monaten danach frisch sind: zum Feuer löschen.
  2. Einer der gröss­ten Fehler war, dass die ver­ant­wort­li­chen Leute nach dem Relaunch wegen der täg­li­chen Arbeit zu lan­ge nicht mehr syste­ma­tisch mit­ein­an­der spra­chen. Zu den Punkten: Was ist los, was wol­len wir, was tun wir. Das räch­te sich bit­ter in der Krise, als Einigkeit gebraucht wor­den wäre.
  3. Um- und Ausbauten nei­gen dazu, aus Rücksicht auf bestehen­de Strukturen das gewünsch­te Neue in zusätz­li­chen Anbauten unter­zu­brin­gen. Mit vier neu­en Ressorts war der Relaunch 2003 zu umfang­reich: ein klas­si­scher Imperial Overstrech. Misstrauisch wer­den soll­te man immer dann, wenn das Organigramm mas­siv erwei­tert wird. (Das klas­si­sche Beispiel: Wenn – wie bei vie­len Fusionen – ein neu­er Mittelbau an fri­schen Chefs ent­steht.)
  4. Der Relaunch 2003 wur­de als zu radi­kal kri­ti­siert; er war eher zu wenig radi­kal. Man hät­te das Neue nicht in Anbauten, son­dern im Kern unter­brin­gen sol­len: In einem um Wirtschaft und Leben erwei­ter­ten Inland etwa, oder mit dem Umbau der WoZ in ein pflicht­stoff­ar­mens Magazin wie die «Weltwoche». Und dazu mit Tabubrüchen. In Fall der WoZ etwa: Mit einem Mechanismus, dass Entlassungen über­haupt mög­lich sind, bei mie­ser Arbeit oder Mobbing.  Keine Ahnung, ob die­ser Kampf im Redaktionskollektiv hät­te gewon­nen wer­den kön­nen. Aber er hät­te sich gelohnt.
  5. Kleine Fehler kom­men in Redaktionen zwar unver­meid­lich vor: Dort malt man al fres­co. Aber in der Buchhaltung sind sie ein mas­si­ves Warnsignal. Man müss­te sofort mit der gros­sen Kelle dahin­ter.

Soweit die erste Hälfte zu grös­se­ren Zeitungs-Operationen. In der näch­sten Folge ein inter­es­san­tes Relaunch-Modell aus Schweden.

Und zum Schluss noch ein aktu­el­les PS: Die WoZ hat die­se Woche für eine Überwachungs-Sondernummer ein bril­lan­tes Erpressungs-Video auf­ge­schal­tet. Man muss es sich anse­hen. Und dazu die­se sehr lusti­ge Seite über den Schweizer Geheimdienstchef. Das Fest dazu steigt Samstag, 20 Uhr, im Club Voltaire, Zürich, Eintritt 19.84 Franken.

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Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.

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