«Electro-Swing muss krea­tiv sein»

Von

|

Drucken Drucken

Von Hannes Liechti – In der Serie «Musik für» wer­den jeweils eine oder meh­re­re Persönlichkeiten aus dem Berner Kulturleben mit einer aus­ge­wähl­ten Playlist kon­fron­tiert. Diesen Monat trifft es die Berner Electro-Swing Pioniere Kilian Spinnler und Dominique Dreier aka Klischée.

Seit gerau­mer Zeit trei­ben Klischée ihr Unwesen: Sie ver­mi­schen guten alten Swing mit moder­nen Electrobeats und fin­den damit gros­sen Anklang: Als Vorband von Parov Stelar konn­ten sie sich letz­tes Jahr im Bierhübeli einem brei­ten Berner Publikum vor­stel­len. Danach ging es steil berg­auf: Bis heu­te waren die bei­den Jungs, die live von einem Sänger und einem Videokünstler unter­stützt wer­den, etwa in London oder Berlin anzu­tref­fen; im Juli sind sie gar auf dem Gurten gebucht. Kilian Spinnler und Dominique Dreier blicken auf ein ereig­nis­rei­ches Jahr zurück und kom­men­tie­ren Altes und Neues aus der Swing-Szene.

 

Benny Goodman
«Sing, Sing, Sing (With a Swing)»
ab dem Album «The Famous 1938 Carnegie Hall Jazz Concert» (Columbia, 1938)

 

Kilian Spinnler: Das klingt alt, sehr alt. Die Aufnahme raschelt wun­der­bar und das sind tol­le Trommel-Soli! Ein Song, der in jedem zwei­ten Electro-Swing-Track gesam­plet wird. Wir haben ihn aber noch nie ver­wen­det. Wir zie­hen unbe­kann­te Songs vor.

Das ist Benny Goodman mit sei­nem Orchestra im berühm­ten Live-Konzert in der New Yorker Carnegie-Hall vom Januar 1938. «Sing, Sing Sing» von Louis Prima war das letz­te Stück des Sets und wur­de dank die­ser Version zum Jazzstandard.

Dominique Dreier: Das war die Big-Band-Zeit der 30er-Jahre. Die rie­si­gen Orchester waren nötig, damit sie über­haupt so laut waren, wie wir heu­te im Club. Ich fin­de die­sen alten Swing gera­de auch des­halb toll, weil es Tanzmusik war!

Kilian: Diese Musik hat Spass gemacht, die Menschen haben dazu getanzt. Der Groove gefällt mir. Ich habe frü­her in einer Big-Band gespielt und den Sound dort ken­nen und lie­ben gelernt.

 

Django Reinhardt & The Quintet
of the Hot Club of France
«Minor Swing» (Paris, 1937)

 

Kilian: Gypsy-Jazz von Django Reinhardt. Die euro­päi­sche Variante des Jazz mit dem unver­kenn­ba­ren Django-Stil. Ich lie­be Gypsy-Jazz-Gitarren – viel mehr als ande­re Gitarren, wie etwa aus dem Rock.

Dominique: Typisch für die­se Musik ist der enor­me Drive. Django betont sowohl den rhyth­mi­schen Aspekt der Gitarrensaiten als auch den klang­li­chen. Wir möch­ten die­sen Stil auch in unse­re Stücke brin­gen und haben sogar schon ver­sucht, die Gitarre ein­zu­spie­len: Ich drück­te links die Akkorde und Kilian schlug dazu mit der rech­ten Hand an. (bei­de lachen)

Kilian: Wir laden zur Aufnahme unse­rer Tracks immer auch Musiker ins Studio ein und ver­su­chen so, ein aku­sti­sches Element in unse­ren Sound zu brin­gen.

Was macht die fran­zö­si­sche Swing-Variante von Django Reinhardt aus?

Kilian: Schon rein klang­lich: Das hier hat einen ganz ande­ren Charme als die Benny Goodman-Nummer: Ich ver­bin­de den Sound sofort mit Frankreich, mit Paris – all die­se Klischées eben. (lacht)

Dominique: Ein Gypsy-Stück ist näher am heu­ti­gen Pop-Song als eine Big-Band-Nummer. Bei einer Big-Band tre­ten immer wie­der neue Teile auf, die Stücke sind in stän­di­ger Bewegung: Bläser-Einwürfe, Klavierpart, Soli. Der Gypsy-Swing hat dage­gen eine aus­ge­präg­te­re Liedstruktur.

 

Yolanda Be Cool feat. DCUP
«We No Speak Americano»
ab der Single «We No Speak Americano»
(Superstar Entertainment, 2010)

 

Der Superhit des Electro-Swings aus dem Jahr 2010.

Dominique: Überhaupt nicht mein Fall. Viele Leute redu­zie­ren Elektro-Swing auf die­ses Lied.

Obwohl das ja eigent­lich gar kein Swing ist. Die Vorlage ist ein nea­po­li­ta­ni­sches Lied von Renato Carosone aus dem Jahr 1956.

Kilian: Den Leuten fehlt manch­mal das Feingefühl, auf die ver­schie­de­nen Sounds zu ach­ten. Sobald es «um-tscha, um-tscha» macht, ist es Electro-Swing. Viele, die uns zum ersten Mal hören, sagen: «Ihr klingt ja wie ‹Americano›». Der Track ist aber gut pro­du­ziert. Rein klang­lich fett gemacht…

Dominique: …aber nicht wirk­lich krea­tiv!

Kilian: Ja, zum Beispiel besteht das Hauptelement des Songs aus die­sen hohen, sich wie­der­ho­len­den Tönen. Das Gesang-Sample von Carosone dage­gen erscheint nur gele­gent­lich als Einwurf. Vom Arrangement her geht das eher in Richtung House und Techno.

Was macht guten Electro-Swing aus?

Kilian: Der krea­ti­ve Umgang mit dem Sample.

Dominique: Wenn die Samples gut ver­ar­bei­tet wer­den und man sie nicht wie­der erkennt, ist alles mög­lich. Solange es nicht ein­fach ein Loop ist, der eins zu eins über­nom­men und mit Drums unter­legt wird, wie in die­sem Beispiel.

Kilian: Guter Electro-Swing muss aber nicht zwin­gend aus Samples bestehen. Die Instrumente kön­nen auch selbst ein­ge­spielt wer­den.

 

Parov Stelar
«Jimmy’s Gang»
ab dem Album «The Princess»
(Etage Noir Recordings, 2012)

 

Dominique: Parov Stelar hat den Electro-Swing popu­lär gemacht. Wir haben letz­tes Jahr mit ihm im Bierhübeli gespielt. Das war eine super Plattform für uns.

Kilian: Er hat auch eine tol­le Live-Show. Ich habe aber den Eindruck, dass er immer club­bi­ger wird: Sowohl von den Sounds her als auch har­mo­nisch. Im Club funk­tio­niert das gut.

Electro-Swing fin­det doch vor allem im Club statt.

Kilian: Es gibt schon Interpreten, wie zum Beispiel Caravan Palace oder Caro Emerald, die radio­taug­lich sind und mit ihren Bands Festivals rocken. Parov Stelar macht das ja auch. Grundsätzlich kommt der Electro-Swing aber aus dem Club. Parov hat als DJ ange­fan­gen und das Set suk­zes­si­ve zu einer Live-Show aus­ge­baut.

War der Bierhübeli-Auftritt Höhepunkt der bis­he­ri­gen Bandgeschichte?

Kilian: Es war ein erster Höhepunkt. Wir hat­ten damals noch nie vor so vie­len Leuten gespielt…

Dominique: …wir began­nen über­haupt erst ein hal­bes Jahr vor­her auf­zu­tre­ten.

Kilian: Das eigent­li­che Highlight war für mich der Auftritt in Berlin. Die Party hat um sie­ben Uhr Abends mit Lindy-Hop und altem Swing begon­nen. Bis in die frü­hen Morgenstunden wur­de es dann immer elek­tro­ni­scher.

Dominique: Das war ein Gesamtkonzept: Im Publikum waren vie­le stil­echt mit Anzug und Zylinderhut oder Abendkleid und Federboa anzu­tref­fen.

 

45 Degré feat. Spenzas Overdub Orchestra
«M.U.S.I.Q.U.E.»
ab dem Album «Caméléon»
(Schtubu Recordings, 2011)

 

Dominique: Das ist das Hauptprojekt von unse­rem Sänger William Bejedi. Er unter­stützt uns regel­mäs­sig live.

Kilian: Einer von mei­nen Lieblingstracks von sei­nem Album. Funky Shit. Ich habe für «Caméléon» zwei Beats bei­gesteu­ert: «Foutre le fire» und «Mistake».

Dominique: Für mei­ne Maturarbeit habe ich eine CD pro­du­ziert und da war er auch dabei. William kommt ja aus der Hip Hop-Ecke und war Mitglied der Briger Crew Stockitown.

Wie ist es zu eurer Zusammenarbeit gekom­men?

Dominique: Die Zusammenarbeit mit ihm hat sich rela­tiv spon­tan erge­ben. Er war bei uns im Studio, um Tracks für «Caméléon» auf­zu­neh­men. Dann haben wir einen von unse­ren Songs mit ihm aus­pro­biert und waren sofort begei­stert. Mittlerweile hat er sich ganz gut ein­ge­lebt.

Kilian: Er ist eine Rampensau und ein Entertainer, und hat eine star­ke Bühnenpräsenz. Das hat uns sehr gehol­fen, den Kontakt mit dem Publikum zu hal­ten.

Dominique: Zurück zum Track: Spenza von Spenzas Overdub Orchestra ken­nen wir auch schon lan­ge. Er ist einer der meist­un­ter­schätz­ten Produzenten.

Kilian: Wir sind gros­se Fans von ihm und sehr stolz dar­auf, dass er einen Remix von uns gemacht hat.

Seid ihr eine Live-Band oder ein DJ-Set?

Dominique: Ein DJ-Set sind wir nicht. Wir kön­nen die Tracks live frei arran­gie­ren und ich spie­le dazu Synthesizer und pro­gram­mie­re Drums.

Kilian: Wir spie­len mit dem Gedanken, das Set noch mehr aus­zu­bau­en und viel­leicht Instrumente dazu zu neh­men. Aber so, wie wir jetzt unter­wegs sind, kön­nen wir über­all spie­len. Um sich einen Namen zu machen, ist das opti­mal. Wir müs­sen fle­xi­bel blei­ben, um auch an klei­ne­ren Orten auf­tre­ten zu kön­nen.

 

Klischée
«Tin Tin»
ab dem Album «Jockey Tunes #2 – EP»
(Galopp Records, 2011)

 

Kilian: Wow, die­se Bass-Drum! Einer der ersten Tracks, die wir online gestellt haben.
Dominique: Einer der weni­gen, die wir über­haupt online gestellt haben! Wir haben gute Feedbacks zu «Tin Tin» gekriegt. Es gibt mitt­ler­wei­le eini­ge DJs von Belgien bis Österreich, die ihn regel­mäs­sig auf­le­gen.

Kilian: Der Track hat eine ziem­lich lan­ge Geschichte durch­ge­macht. Wir sind immer noch nicht fer­tig damit…

Dominique: …wir haben ihn kom­plett umar­ran­giert. In der Endversion wird er ziem­lich anders sein. Irgendwann muss­ten wir aber einen Song aufs Internet stel­len – zu vie­le haben uns danach gefragt.

Kilian: So wie er jetzt ist, mit die­sem Drum-Intro, ist er sehr auf DJs aus­ge­rich­tet. Gut, der Schluss ist ein wenig zu abrupt für einen DJ.

Dominique: Es hat wahr­schein­lich noch kei­ner einen schö­nen Übergang mit die­sem Schluss geschafft. Wir könn­ten da mal einen Contest aus­schrei­ben. (lacht)

Kilian: Wir haben einen Trompeter ins Studio geholt, der uns die­se «Zirkusmelodie», wie er sie nennt, ein­ge­spielt hat.

Was dür­fen wir von Klischée die­ses Jahr erwar­ten?

Kilian: Wir wer­den die Weltherrschaft an uns reis­sen. (lacht) – Nein, es wird sicher ein Release geben. Vielleicht anfangs Sommer, viel­leicht erst im Herbst. Ganz sicher noch in die­sem Jahr. Wir haben mitt­ler­wei­le genü­gend Material für ein 90-Minuten-Set. Das müs­sen wir jetzt ver­dich­ten, um es ver­öf­fent­li­chen zu kön­nen. Für den Club müs­sen die Tracks nicht fer­tig sein, man kann es sich dort erlau­ben, das eine oder ande­re aus­zu­pro­bie­ren. Wenn du aber etwas her­aus­gibst, dann muss das defi­ni­tiv und per­fekt sein.

Dominique: Und wir wer­den wei­ter­hin spie­len, so viel wir kön­nen. Wir haben auch Remixanfragen bekom­men und wer­den sicher in die­ser Richtung etwas tun.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2012

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo